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Als sehr interessanter und netter Gesprächspartner erwies sich Bruno Kramm von DAS ICH anläßlich eines Interviews zur Veröffentlichung des neuen Albums anti'christ. Dabei stellte es sich auch gar nicht mal unbedingt als Nachteil heraus, daß wir erst am Tage des Gesprächs der neuen CD habhaft werden konnten, blieb doch so mehr Raum für andere Themen. Freundlicherweise rief Bruno nach dem super pünktlichen ersten Anruf noch ein zweites Mal an, um uns wenigstens einen kompletten Hör-Durchlauf des neuen Albums zu ermöglichen...

Das Ich

Bruno: Und, habt ihr die CD jetzt ganz gehört?

Michael: Ja, so gerade eben.

Bruno: Gut, das war dann ja perfektes Timing!

Michael: Genau.

Bruno: Und, wie war der erste Eindruck?

Michael: Sehr gut!

Bruno: Cool, das ist doch schön...

Michael: Ist eine interessante Mischung aus dem, was Ihr bisher so alles gemacht habt. Kann man wohl so sagen... Bruno: Ja, doch, glaub ich schon...

Michael: Textlich finde ich es sehr ursprünglich, also in Richtung der ersten Sachen, und musikalisch habt Ihr Euch so die letzten zwei, drei Veröffentlichungen vorgenommen. Bruno: Ja, cool! Kann man natürlich immer selber schlecht sagen, aber ich hör mir das immer gerne an.

Michael: Die Platte oder das, was andere darüber sagen? Bruno: Nee, die Platte z.Z. nicht, weil, die hab ich jetzt so oft gehört.

Michael: Gibt es denn musikalisch einige Stücke, die für Euch besonders wichtig sind?
Bruno:
Das ist bei uns beiden momentan eigentlich ziemlich deckungsgleich mit dem, was die Sonic-Leser gewählt haben, und zwar ist das einmal Garten Eden und dann Das dunkle Land.

Michael: Und textlich?
Bruno:
Hm, das ist 'ne gute Frage... Vater! Das ist so ein bisschen das persönlichste von allen.

Michael: Persönlich ist gut... Soweit man das nach einmal hören sagen kann, hat es doch auch etwas anklagendes. Bruno: Schon! Das Album hat eh zwei Ebenen. Man wird sich das schon fragen, warum es anti'christ heißt. Da sind eben zwei Ebenen. Die übergeordnete ist die, die sehr viel mit christlichen Symbolen spielt, aber dann ist in jedem Text unter diesen Symbolen letztendlich noch ein jeweils sehr persönliches Thema versteckt. Und bei einem Titel wie Vater denkt man dann gleich an den himmlischen Vater, aber um den geht es gar nicht in dem Song, sondern um den sehr privaten und persönlichen Vater, und zwar in diesem Falle den von Stephan und von mir. Witzigerweise auch absolut deckungsgleich: in meinem Fall, daß mein Vater mir sehr viel geben konnte, mir quasi alles über Musik beigebracht hat, über Literatur, über Kultur usw., aber dann viel zu früh verstarb, als ich 16 war. Und im Falle von Stefan ein Vater, der ihm relativ wenig gegeben hat, der ganz im Gegenteil sogar eher der Rabenvater ist, den man gar nicht haben möchte, um den er sich eher heute noch kümmern kann. Insofern ist es der Ruf nach dem Vater in der gleichen Art und Weise, nur eben für unterschiedliche Prämissen.

Michael: Es ist also schon irgendwie auch ein Hinweis darauf, daß der Vater für jeden von Euch eine zentrale Figur war oder ist im Leben?
Bruno:
Das ist er ja für jeden. Für den einen negativ, für den anderen positiv.

Michael: Ja, dann kommen wir doch mal zu den Aspekten mehr so drumherum. Ihr habt eine neue Plattenfirma, Massacre, und Ihr habt es direkt geschafft denen auszureden, daß sie für Euch am Anfang eine Single veröffentlichen... Bruno: Ja, das haben wir gleich mal gemacht!

Michael: Wie schafft man das bei einem Label, das mit Euch Geld verdienen möchte?
Bruno:
Na ja, es ist sicherlich ein Pluspunkt, daß es uns schon relativ lange gibt. In solchen Sachen müssen wir uns erst gar nicht mehr großartig durchsetzen, sondern wir sagen einfach, was wir haben wollen, und das wird dann so gemacht. Da bin ich ehrlich gesagt auch sehr froh drüber, daß da nicht mehr jede Diskussion sein muß. Gut, wir müssen natürlich schon erst mal begründen, warum. Weil es heißt halt schon erst: "Äh, wieso? Als Musiker mußt du dich doch freuen, daß wir eine Single von euch machen...". Ich hab das dann erst mal erklärt, warum ich es eigentlich ziemlich doof finde, eine Single zu machen, und letztendlich wurde es dann aber auch verstanden.

Michael: Habt Ihr denn für einen Moment vielleicht auch überlegt: Ja, wir machen die Maxi, und wir tun da Sachen drauf, die es auf den Platten bisher nicht gibt, also keine Remixe, sondern wirklich unveröffentlichte Stücke...
Bruno:
Gut, die Überlegung gibt es immer. Nichtsdestotrotz ist eine Single etwas, das nie so richtig wertig ist. Wir haben natürlich noch Songs über, sogenannte Leftovers, aber die sind halt aus bewußten Gründen nicht mit auf's Album gekommen. Und dann müssen die eben nicht unbedingt auf eine Single drauf. Weil, so wie es jetzt zusammen komponiert ist, ist es homogen. Letztendlich muß eine Single ja auch DEN Single-Track beinhalten, um den es geht, egal, was man sonst noch so mit drauf packt, und dem wollten wir halt unbedingt entgegen wirken. Nicht nur aus dem einen Grund des Ripp Offs, der natürlich der wichtigste ist. Also, daß Singles prinzipiell schon ein gewisser Ripp Off sind, vor allem wenn du dir anschaust, in wie vielen x-verschiedenen Versionen etwas veröffentlicht wird, in der Hoffnung, noch mal in die Charts reinzugehen. Das wird ja sehr häufig praktiziert und damit letztendlich der Kunde nur ausgenommen. Und dann beschweren sich dann alle, vor allem die Labels, die es am häufigsten praktizieren, massiv über die Kopiererei. Das finde ich immer äußerst lustig.

Michael: War das auch ein Grund, nicht weiter bei edel zu bleiben?
Bruno:
Das war auch ein Grund, weil wir keinen Bock mehr hatten auf diese reinen Marketing-Plattenfirmen. Und unser A&R bei Massacre ist ein langjähriger DAS ICH-Fan. Der hat sich damals schon das erste Tape von uns gekauft, bevor wir überhaupt draußen waren, und er hat uns seit damals unterstützt. Insofern war das nicht so ein Fremdgriff, sondern man kennt sich einfach schon lange.

Michael: Das ist natürlich ein großer Vorteil. Ich will noch mal auf den Albumtitel zurückkommen. Wenn ich mir das Artwork so anschaue, dann hat das doch einen sehr deutlichen Bezug so in Richtung Apokalypse und dem Klischee, das man erst mal erwartet, und das dann ja hinterher gar nicht statt findet, nach Deinen Worten vorhin. Habt Ihr da einen spielerischen Ansatz gehabt, daß Ihr so ein bisschen mit der Erwartungshaltung der Leute herum experimentieren wolltet? Bruno: Das natürlich auch. Das ist so ein Punkt; uns wurde von Anfang an immer wieder von irgendwelchen komischen christlichen Organisationen oder so vorgeworfen, hier satanistische Sachen zu machen. Du machst ein Album, das heißt Satanische Verse, und gleich ist es... Anstatt mal darüber nachzudenken, daß es einen Bezug zu dem Buch "Die Satanischen Verse" hatte, wird dann gleich wieder drauf gehauen. Irgendwie, über die Jahre hinweg, entwickelt man da mit der Zeit auch fast schon so eine Art humoristischen Aspekt, der dir sagt: jetzt aber erst recht, damit sie endgültig voll 'nen Schreck kriegen. Das ist natürlich auch dabei, aber letztendlich ist es nicht der eigentliche Anlass gewesen. Es ist ein Teil. Ein weiterer Anlass ist, es soll für uns auch ein Stückchen weit dokumentieren, daß es für uns auch so ein Zurückkehren ist zu unseren Anfängen. Die Geschichte ist die: wir hatten ganz furchtbar viele Projekte zwischen unseren regulären Alben. Einmal dieses Album mit Atrocity, dann gab es ein Soundtrack-Album, das Morgue-Album, dann das Remix-Album, und über die Jahre hinweg haben wir dann schon irgendwie bemerkt, daß wir uns eigentlich durch diesen vielen Projekte ein Stückchen weit von dem, was bei DAS ICH immer der Impuls war, nämlich Musik zu machen, und zwar explizit diese Musik zu machen, so ein bisschen verloren war. Daher war uns klar, daß, wenn wir jetzt wieder reguläre Alben machen wollen, wir versuchen dort anzuknüpfen, wo wir damals angefangen haben. Der Titel anti'christ ist halt insofern nicht neu, der war damals schon für's Propheten-Album geplant. Wir hatten uns nur damals nicht getraut, den zu verwenden, weil wir dachten, da gibt's ganz ganz furchtbar Haue für. Und das ist natürlich auch ein Stückchen Dokumentation. Wie auch ein Song auf dem Album drauf ist, der eigentlich schon für das Propheten-Album geplant war, dann aber nicht drauf kam. Den haben wir dann 1-2 Mal live gespielt, aber dann ist er irgendwie untergegangen. Und dann haben wir ihn wiederentdeckt und dann auch mit eingekoppelt. Das war dieses Sodom und Gomorrha, das halt ursprünglich auf dem Propheten-Album hätte drauf sein sollen.

Michael: Wenn Ihr das Album jetzt anti'christ genannt und Euch früher nicht getraut habt, dann spricht das doch eigentlich auch für ein sehr viel größeres Selbstbewußtsein. Die Zeiten haben sich ja nicht gerade geändert; nach den letzten Ereignissen, die es da gegeben hat...
Bruno:
Natürlich, klar, da hast du vollkommen recht. Aber das bekommst du natürlich über die vielen Jahre: Selbstvertrauen. Weil du so viel veröffentlichst und mit der Zeit auch eine gewisse Stellung bekommst. Du mußt nur überlegen: als wir damals Propheten rausgebracht haben, da waren wir absolute No Names. Da hat mit uns keiner was anfangen können. Nun ist es mittlerweile so, nach diesem mehr als einem Jahrzehnt, in dem wir DAS ICH machen, sind wir schon so bei jedem im Underground oder Gothic-Bereich geläufig. Und da hast du dann halt, ich würd jetzt nicht sagen Rückendeckung, aber du fühlst dich halt einfach sicherer. Weil du ja auch die Szene kennst, in der du dich über ein Jahrzehnt lang bewegst. Um dann noch mal zu dem letzten Punkt zu kommen, warum es jetzt anti'christ heißt; es hat natürlich noch eine andere Kategorie, die dahintersteckt. Es ist nicht nur der humoristische Aspekt, für den wir ja glaube ich eher seltener bekannt sind, auch nicht nur die Rückbesinnung auf alte Werte, sondern ein Stückchen weit ist da auch... (zögert) nicht der 11. September drin, aber was alles danach gekommen ist. Ohne jetzt zynisch zu klingen; dieses Ding war schrecklich, was da passiert ist, daß diese vielen Menschen dort gestorben sind. Nichtsdestotrotz sterben aber jeden Tag ganz furchtbar viele Menschen in vielen Gegenden der Welt, wo sich keine Sau drum kümmert. Was mich viel mehr schockiert hat, war im Nachhinein, wie plötzlich die westliche Welt reagiert. Wie die größte Macht der Welt, mittlerweile nur noch einzige Großmacht der Welt, potentiell zumindest momentan, plötzlich von der Achse des Bösen spricht und mit einer demagogischen Polemik einsteigt, die richtiggehend gefährlich ist. Weil, in dem Moment, wo Du die Symbole Gut und Böse in der Politik verwendest, ist der Schritt nicht mehr weit zu den Ausmaßen, wie es schon in all den Jahrhunderten zuvor bei irgendwelchen Kriegen der Fall war, wo ja immer, ganz schnell, gerne von den Guten und von den Bösen gesprochen wurde. Letztendlich ist dann gar kein Dialog mehr möglich. Das ist auch mittlerweile das größte Problem zwischen der westlichen Kapitalwelt, die ja quasi keinen Klassenfeind in dem Sinne mehr hat, denn seit der Osten zusammengebrochen ist, gibt es diesen Klassenfeind nicht mehr. Und entsprechend egoistisch und ellenbogenmäßig hat sich das System natürlich immer weiter weiter weiter verbreitet. Anstatt hier letztendlich von Achsen des Guten und des Bösen zu sprechen, von Gods own Country, das bewahrt werden muß gegen den islamischen Terror, wäre es weitaus sinnvoller, dort endlich mal in den wirklichen Diskurs, Kommunikation und einen interkulturellen Austausch zu starten, anstatt mit solchen Metaphern zu arbeiten. Noch dazu, wo solche antiquierte Begrifflichkeiten doch seit Freud und seit Einstein erst recht relativiert ist, nämlich in dem Sinne, daß das Gute und Böse doch immer sehr von dem jeweiligen Beobachtungsstandpunkt abhängig sind. Es ist eigentlich immer relativiert. Es gibt nichts Gutes und Böses, es gibt nur verschiedene Wirkungsweisen dessen für verschiedene Gruppierungen. Und da hat für uns dieses Album auch erst mal diesen Symbolcharakter: Erschrecken, im ersten Moment mit dieser übertheatralisierten christlichen Metaphernhaltung. Mit der dann aber auf der zweiten Ebene eine sehr persönliche Dimension angesprochen wird, da ja sämtliche Texte doch einen sehr persönlichen Hintergrund haben, um da für uns selbst diese Gut- und Böse-Spiel mit uns selber auszuprobieren.

Michael: Wenn man Dich jetzt so hört und bei einigen Texten, auch durchaus von älteren Platten, man könnte fast den Eindruck gewinnen, daß Ihr viel politischer seid als man Euch immer hingestellt hat...
Bruno:
Ja, auf alle Fälle! Doch, da hast Du vollkommen recht. Das ist gut analysiert... Aber Du mußt überlegen, so lange wie es uns schon gibt... Als wie in die schwarze Szene kamen, da war das ganze nicht so ein unpolitisches Ding wie heute. Da war diese ganze New Wave/Punk-Szene, und da waren sämtliche Leute dabei, die auch auf Wackersdorf-Demonstrationen und ähnlichem waren. Das war damals prinzipiell eine weitaus politischere Diskussion. Aber, Du kannst mit der Zeit auch begreifen, daß Du z.B. die religiöse Symbolik durchaus auch verwenden kannst, um solche Aussagen zu tun. Was wir halt auch nicht so mögen, daß ist diese Zeigefinger-Mentalität. "Ihr dürft das nicht und das nicht...". Wir haben natürlich unser eigenes Weltbild, aber gewisse Dinge, die uns dann politisch wichtig wären, die versuchen ein bisschen zu verschlüsseln, um da nicht den großen Messias zu spielen, der dann irgendwelche Leute von irgend etwas überzeugen möchte.

Michael: Das Problem bei so einem "Zeigefinger" ist ja auch immer, daß man schnell in die Rolle desjenigen gerät, der letztendlich die gleiche Wortwahl benutzt wie derjenige, gegen den er vorgeht...
Bruno:
Ganz genau...

Michael: Das ist ja auch das, was Du gerade mit den USA gesagt hast... Aber bei dem, was Du gerade noch gesagt hast hatte ich auch noch eine Assoziation: es gibt ja das Stück "Von der Armut". Du sagtest, es gibt keinen Klassenkampf mehr. Aber man hat fast den Eindruck, jetzt gibt es einen Klassenkampf Reich gegen Arm...
Bruno:
Vollkommen richtig! Und der wird auch immer größer kommen, je mehr unsere Selbstbedienungsmentalität oder, ich würd mal sagen, diese amerikanische Kapital-System-Mentalität sich ausbreitet. Und letztendlich ist es ja auch so ein Stückchen weit, was uns momentan in Europa so gewaltig zu schaffen macht. Diese reine Marktorientiertheit der Gesellschaft, diese Automatisierung in allen Bereichen, und gleichzeitig das Problem dieser massiven Arbeitslosigkeit, wo Du einfach merkst, daß es sich letztendlich, weil Du die Schritte ja schon so weit mitgegangen bist, nur retten kann, indem man zu einem Dienstleistungssystem wie in den USA verkommt. Und das ist genau das, was wir mit unserem kulturellen Hintergrund, mit unserem Streben nach Humanismus, mit unserem Streben nach wirklicher Demokratie, also parlamentarischer Demokratie im Sinne dessen, was in der Paulskirche verabschiedet wurde und in den Grundzügen eines Robespierre der Französischen Revolution, in keiner Form vereinbaren können mit dem Gesellschaftssystem, das in Amerika existiert.

Michael: Was glaubst Du denn, warum sich die schwarze Szene in diese unpolitische Richtung entwickelt hat? Und wie könnte man das vielleicht wieder drehen?
Bruno:
Das ist eine sehr gute Frage, da habe ich auch schon ganz furchtbar lang drüber nachgedacht. Ich glaube, es hat viel damit zu tun, daß in der schwarzen Szene natürlich, jetzt über das Jahrzehnt gesehen, eine sehr starke Orientierung Richtung Mainstream in dem Sinne gegangen ist, daß man halt immer mehr überlegt: Wie kann ich Produkte vermarkten, wie kann ich sie besser unter's Volk bringen, wie bügele ich unsere Produktion glatter, wie kann ich den Inhalt vermeiden? Das Problem mit Inhalt bei Tonträgern oder bei jedem kulturellen Gut ist ja, je mehr Inhalt drin ist, desto länger beschäftigen sich die Menschen damit, und desto weniger ist das Interesse, sich gleich was neues zu besorgen, vorhanden. Es ist auch diese überzogene Poltical Correctness, oder besser, dieses fast schon asexuelle politische Verhalten in der Szene: Ich muß mich mit Dingen beschäftigen, die ein Stückchen weit die reale Welt sind. Gut, die Szene hatte schon immer so einen Charakter, sich eine Gegenwelt aufzubauen, was ja auch prinzipiell vollkommen in Ordnung ist. Fern von dieser Bravo-Mentalität... Aber ich meine, Szene ist immer Jugendkultur.

Michael: Es ging doch auch darum, Illusionen zu leben... Bruno: Genau. Aber was eben schade ist, daß gleichzeitig dieser Bereich ausgegrenzt wurde. Es hat bestimmt auch was mit der generellen Politikverdrossenheit zu tun, daß sich viele junge Leute sagen: Nee, Politik hat in meiner Szene nichts zu suchen. Es hat aber auch viel damit zu tun, daß es von einer gewissen braunen Intelligenz ja schon lange den Versuch gibt, in der schwarzen Szene Fuß zu fassen. Die natürlich längst begriffen hat, daß sie den Kampf nicht mehr auf der Strasse gewinnen kann, weil sie da unterliegt, weil sie einfach keine Stimmung findet in Bayreuth... In Bayreuth sage ich schon (lacht), in Deutschland natürlich! Ja, Bayreuth ist immer besonders schlimm... (womit er die Lacher auf seiner Seite hat...) ...die also deswegen längst begriffen hat: wir müssen die Jugendkulturen irgendwie aufrollen. Und da hat sie bei der schwarzen Szene mit Mystizismus und Runenkunde einen Ansatz, noch dazu wo im Geschichtsunterricht alles, was mit Heidentum zu tun hat oder den Wurzeln vor der christlichen Revolution, totgeschwiegen wird, und deswegen bekommt keiner was mit von dieser Kulturepoche, was man natürlich dann wunderbar nutzen kann, um irgendwelche demagogischen Ziele so langsam vorzubereiten.

Michael: Ist es da nicht, ich will nicht sagen riskant, aber doch ziemlich wagemutig, ein Album zu machen, oder generell Musik wie Ihr zu machen, die schon sehr komplex ist? Also nicht im klassischen Sinne straight, und die auch textlich einen gewissen Anspruch hat, mit dem man sich beschäftigen muß, weil er nicht so leicht konsumierbar ist...
Bruno:
Das stimmt, aber letztendlich gibt es da wohl doch noch eine Szene, die groß genug ist und sich da anscheinend trotzdem für begeistern kann. Sonst würden wir ja auch keine Alben mehr veröffentlichen. Letztendlich hätten wir sonst ja auch nicht bei Massacre gesignt, sondern z.B. Dependant hatte uns auch ein Angebot unterbreitet. Aber die kamen gleich schon mit so vielen schrecklichen Vorschlägen für irgendwelche Singles, daß wir überhaupt keinen Bock mehr drauf hatten, da zu signen. Bei einer anderen Firma bin ich mir auch ganz sicher, daß da noch viel mehr verlangt worden wäre an diesen Zugeständnissen, z.B. ein paar Future-Pop-Singles raus zu hauen und solche Geschichten. Aber das wollten wir einfach nicht, weil es uns auch nicht gerecht geworden wäre, weil es einfach nicht zu dem paßt, was wir eigentlich immer repräsentiert hatten. Nichtsdestotrotz ist das Album gleich am ersten Tag auf Platz 95 in die Trend-Charts aufgestiegen und wandert gerade fröhlich nach oben. Anscheinend gibt es doch noch genügend, die auch auf so was noch Lust haben.

Michael: Ich hab mal in einem alten Interview von Euch gelesen: die Musik von DAS ICH wäre zum einen ein Mix aus elektronischen und klassischen Elementen und zum anderen die Tatsache, daß Ihr ausschließlich selbst programmierte Sounds benutzt und nichts aus der Konserve. Ist das immer noch so?
Bruno:
Ja, das ist immer noch so. Also, die ganzen Streicherbänke etc. sind eh alle selbst erstellte. Ich lade mir halt immer wieder Musiker ins Studio ein, gerade klassische, wo ich dann einfach Streichersamples in Hülle und Fülle mache. Verschiedene Anstrichtechniken, verschiedene Vibratos... Mittlerweile habe ich eine Orchesterbank mit weit über 100 Gigabyte Sounds.

Michael: Hat Musik für Euch immer noch den gleichen Stellenwert wie früher oder relativiert sich das mit der Zeit? Bruno: Ich glaube, mittlerweile sogar eigentlich einen größeren als früher. Das Problem war früher, wir mußten unsere Musik auf meinem Label Danse Macabre veröffentlichen, und da war für die Musik eigentlich nur verflucht wenig Zeit da, weil man halt Marketing machen mußte. Insofern hat sie wieder einen weit höheren Stellenwert bekommen. Aber letztendlich ist Musik eh nicht weg denkbar. Ich bin so unendlich dankbar, daß ich diesen Job machen kann, weil ich sicher bin, daß ich so von meinem Charakter her in einer normalen Jobwelt, was mir ja auch hätte blühen können, höchst unglücklich geworden wäre und hier wirklich die Möglichkeit hab, über Dinge nachzudenken und mir Sorgen zu machen, die letztendlich ja weniger betreffen als jeden anderen, der irgendwelchen Scheißjobs nachgehen muß und jeden Tag diesem Gesellschaftskampf ausgesetzt ist. Aber da gab es mal so'nen Spruch, ich weiß jetzt nicht von wem, daß sich jede Gesellschaft ihre Harlekins uns Clowns hält, die die Gesellschaft beobachten und ihr den Spiegel vorhält. Und vielleicht ist es auch ein Stückchen weit, daß wie so was sein können, weil wir die Möglichkeit haben, so zu leben.

Michael: Aber so ein bisschen seid Ihr auch in diesem kommerziellen Spagat?
Bruno:
Wir versuchen immer, das sehr weit von uns weg zu halten. Du bist halt automatisch, wenn Du davon lebst, in diesem Spagat drin. Wir versuchen, da diversen Dingen einfach automatisch aus dem Weg zu gehen. Das fängt dann an, daß wir uns prinzipiell raushalten aus so Sachen wie jetzt z.B. mit einem Magazin, das war so ein Eklat... Die Magazine haben ja inzwischen die Tendenz, daß Du quasi eine ganz dicke Story dafür bekommst, wenn die Anzeige entsprechend groß ist. Aber eine entsprechend große Anzeige bedeutet auch, daß Du sehr viel mehr verkaufen mußt, daß Du alles sehr viel reißerischer machst usw. Also hatte ich auch die Order an die Plattenfirma rausgegeben: es gibt nur halbseitige Anzeigen. Weil ich auch alles andere übertrieben find. Ich ärgere mich ja selber immer, wenn ich die Hefte durchblättere und laufend so Scheiß Anzeigen sehe. Ja, und daraufhin hatte dieses Magazin, obwohl wir im Vorfeld beim Voting die Platte des Monats geworden waren, seine Bewertungskriterien geändert, und plötzlich waren wir nur noch Platz 4 oder 5 oder 6 oder so etwas. Das sind halt die negativen Seiten des ganzen, aber es stört mich in dem Fall auch nicht, weil ich nicht einseh, daß man bei diesem Erpressergeschäft immer mitmacht.

Michael: Man kann ja auch nichts daran ändern, wenn man es mitmacht...
Bruno:
Eben!

Michael: Ansonsten fällt ja auf, daß die Abstände zwischen Euren Veröffentlichungen auch immer größer werden. Ist das jetzt nur, weil Ihr mehr mit anderen Dingen beschäftigt seid, oder braucht man einfach länger, um sich musikalisch neu zu orientieren?
Bruno:
Eigentlich hat es echt mit den vielen anderen Beschäftigungen zu tun. Es liegt einmal dran: ich hab ja hier das Danse Macabre-Studio, wo ich immer furchtbar viele andere Sachen produziere; dadurch ist schon mal weniger Zeit. Dann sind trotzdem immer wieder Tournee-Anfragen, dann kommt mal wieder USA, dann wieder die nächste... Da mußt Du einfach furchtbar oft spielen, weil das Land so groß ist und Du sonst nicht überall hinkommst. Also viele Konzerte, viele Produktionen, dann hatte ich noch eine Solo-Scheibe zu machen... Letztendlich hat eh jetzt die Produktion von diesem Album mit Songschreiben und Aufnehmen gerade mal 10 Wochen gedauert. Es ist im Gegenteil so, daß wir im Moment so viele Ideen hätten, um ganz schnell noch mehr zu machen.

Michael: Macht Ihr für drüben eigentlich auch Texte in Englisch, oder laßt Ihr die Amerikaner auf die deutsche Sprache los?
Bruno:
Nee, deutsche Sprache. Wir haben da so einen Exotenbonus, das paßt immer ganz wunderbar. Die halten uns eh immer für ein bisschen verstört. Deutsche haben da drüben auch so ein Image, wirre Typen zu sein, die zwar erst mal nett sind, aber dann, wenn man das Falsche sagt, ausflippen und alle umbringen. So in der Art... (lacht)

Michael: Dabei haben die doch selber genug Amokläufer... Bruno: Ja, eben! Die Szene da drüben ist eh total schräg. Das muß man sich mal vorstellen, 60 bis 70 % davon sind extrem überzeugte Christen, insofern ist es ganz gut, daß die mitunter unsere Texte nicht verstehen.

Michael: Wenn Ihr in dem Rhythmus so weitermacht, dann kommt das nächste Album im Jahr 2004, wenn ich mich nicht verrechnet hab. Dann ist ja auch 15-jähriges Bandjubiläum... Bruno: (lacht) Ja, das würde doch gut passen...

Michael: Habt Ihr dafür schon was im Kopf, etwas besonderes, was Ihr da unter Umständen machen wollt?
Bruno:
Ideen haben wir schon einige, aber das blöde ist immer, wir haben manchmal zu hoch gegriffene Ideen, und dann haben wir das vorher erzählt und hinterher dann Schelte dafür bekommen, daß es so nicht raus gekommen ist. Deswegen halten wir da jetzt mal lieber die Klappe.

Michael: Schade...
Bruno:
Da gibt es schon so'n paar Planungen, so ein paar größere Sachen. Wir hatten z.B. mal die spleenige Idee, also, das ist jetzt durch und wird auch nichts mehr, aber wir hatten doch mal dieses Goethe-Jahr, und wir wollten dazu von Goethe den kompletten Faust vertonen. Ich hatte auch echt schon angefangen, aber dann habe ich gemerkt, jetzt ist nur noch ein Viertel Jahr hin und hatte gerade mal so das erste Drittel fertig. Und dann dachten wir, jetzt wird's aber auch nichts mehr...

Michael: Dann habe ich noch eine letzte Frage. Und zwar: gibt es eine Frage, die Du in einem Interview unbedingt mal gestellt haben wolltest, die aber nie gestellt worden ist?
Bruno:
Hey, da kommst Du jetzt mit an, zu einem Zeitpunkt, wo ich schon weit über 80 oder 90 Interviews gegeben habe...

Michael: Dann hast Du dazu doch bestimmt was im Kopf...
Bruno:
Äh, ich muß Dir ganz ehrlich sagen, ich bin mittlerweile schon richtiggehend taub. Erst mal muß ich sagen, ich fand unser Interview jetzt ganz angenehm, weil es ein bisschen anders ablief, aber ich bin so was von unkreativ; ich weiß überhaupt nicht mehr, was man mich... eigentlich will ich auch gar nichts mehr gefragt werden (lacht). Ich freu mich jetzt nur noch auf mein Bett und meinen Kater und meine Holde, die sich dann zu mir gesellt... (allgemeines Gelächter)

Michael: Dann wollen wir dabei auch gar nicht länger stören *g*... Vielen Dank für das Interview!

 
2002 © Michael Cichocki • Das Ich