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Da geistert eine Band seit nunmehr 13 Jahren durchs metallische Unterholz, verströmt aus jeder Pore und mit jeder Note Carcass, ohne eine Coverband oder gar Klon besagter britischer Kult Sickos zu sein, veröffentlichen stapelweise geniale Scheiben, mit denen sie massenweise gute Kritiken einfahren und sind trotzdem mehr oder weniger ein weißes Blatt Papier: DYSENTERY. Nachdem ich von ihrem letztem Release Sickening Thoughts völlig begeistert war - was DYSENTERY zur Band des Monats August 2003 machte - kann es nun nicht schaden, die Herrschaften mal an den Haaren ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Einen Plattendeal wird ihnen das nicht einbringen, aber vielleicht lassen sich ja noch ein paar andere Carcass Fans anstecken. Während Drummer Marcel vermutlich Sex hatte, standen Dirk und Mark der kürzlich zum Trio mutierten Carcassnesen Rede und Antwort ...

Dysentery

Dajana: Nun denn, wie habt Ihr es geschafft, 13 Jahre lang mehr oder weniger der Weltöffentlichkeit durch die Finger zu flutschen?
Dirk:
Ich muss gestehen, dass wir nicht gerade die eifrigsten sind, wenn es darum geht unsere Songs live zu promoten. Dazu kommt, dass wir schon seit unserem Bestehen konsequent an sämtlichen musikalischen Trends vorbeimusizieren, was uns somit auch für die Plattenfirmen uninteressant macht.
Da wir leider alle hässlich wie die Nacht sind, entfällt somit auch der weibliche Teil der Bevölkerung als potentielle Konsumenten unserer gehaltvollen und sozialkritischen Musik.

Dajana: Was muss passieren, damit Ihr endlich zu Metalhelden der Nation werdet?
Dirk:
Als erstens bräuchten wir natürlich mal ’ne neue Regierung, und als zweites - auch ganz wichtig - einen megafetten und brutalen Hammersound, der gleichzeitig auch noch transparent genug ist, um unsere total unglaublich virtuosen Spieltechniken wiederzugeben... ;-)
Unseren Bassisten müssten wir natürlich noch ein Jahr in einer Beauty- und Fitnessfarm einsperren, damit dann sein Körper auch die Strapazen einer dreijährigen Worldtour aushält und die Leute seinen Anblick ertragen können. Da sich der Rest der Band mit Sex fit hält, sind wir zumindest konditionsmäßig gut drauf. Sollten sich diese Punkte irgendwann erfüllen, klappt es vielleicht doch noch mit den Metalhelden der Nation.
Mark: Fithalten mit Sex bezieht sich natürlich auf Marcel und meinereiner, denn mir fällt jetzt beim besten Willen nichts Weibliches ein, was sich in den letzten Jahren mit Dirk gepaart haben könnte.

Dajana: Es gibt zwar massig positive Resonanzen in Form von Rezensionen zu Euren auf Silikon gebannten geisteskranken Gedanken, aber nur wenige intimere Untersuchungen oder sonstige Obduktionen innerer Angelegenheiten um Euch zu promoten. Woran liegt‘s?
Dirk:
Wir waren natürlich in den Anfangszeiten etwas naiv und dachten mit einem Plattenlabel im Rücken und entsprechenden Rezensionen werden die Dinge schon von alleine laufen.
Das taten Sie natürlich nicht. Diese Nachlässigkeit hat dann dazu geführt, dass wir den weiteren Anschluss an das Musikbiz verpasst haben. 1996, nach dem letzten Plattendeal, stand die Band dann genauso da, wie zu Beginn 1991. Bloß dass sich die Musikszene in dieser Zeit gründlich gewandelt hatte, was dazu führte, dass Bands wie wir kaum noch Beachtung fanden, so das uns tief greifende intime Untersuchungen leider verwehrt blieben. Nachdem wir mit der letzten Scheibe dann wieder etwas auf uns aufmerksam gemacht hatten, ernteten wir nicht selten Reaktionen wie: „Waaas, DYSENTERY, die gibt’s noch??!“

Dajana: Ihr verströmt aus jeder Pore Carcass und macht daraus auch keinen Hehl. Oberflächlich betrachtet müsst Ihr Euch sicher jeder Menge Vorwürfe erwehren, die Euch als Carcass Klon oder Plagiat abstempeln, oder? Wie wehrt Ihr Euch?
Dirk:
Meines Wissens nach sind wir bis jetzt noch nicht negativ als Carcass-Klone abgestempelt worden. Die ständigen Vergleiche empfinde ich auch eher als eine Ehre, da Carcass eine absolut einmalige und innovative Band waren, und wir lediglich versuchen, auf dieser Basis unseren eigenen unverwechselbaren Stil zu entwickeln. Da wir alle drei sehr unterschiedliche Musik hören, fließen auch immer wieder neue Elemente in unsere Musik ein, was uns dann, so hoffe ich, die nötige eigenständige Note verleiht.
Mark: Doch, einmal wurde bei einem Live – Gig von zwei „dodel-brudel-evil Black Metal - Typen“ so was in der Art geäußert (einen von diesen „dodel-brudel-evil Black Metal - Typen“ habe ich dann einige Tage später bei Kaufland mit seiner Mami beim Einkaufen gesehen). Es hat uns aber nicht im geringsten gestört, da es - wie schon von Dirk gesagt – eine Ehre für uns ist mit Carcass verglichen zu werden. Was wir eher häufig zu hören bekommen ist: “Ihr mögt Carcass ’ne?!“

Dajana: Ihr entwickelt Euch mehr und mehr in eine unkonventionelle Richtung, lasst alle möglichen Dinge in Eure Musik einfließen, habt Ihr da ein bestimmtes Ziel vor Augen? Was kann man zukünftig von Euch in musikalischer Hinsicht erwarten?
Dirk:
Da wir jetzt zu dritt sind, werden sich natürlich die Songstrukturen gegenüber den älteren Songs ändern. Unser Hauptziel ist es eigentlich immer interessante Songs zu schreiben und uns dabei nicht zu wiederholen. Durch die bereits angedeuteten verschiedenen musikalischen Einflüsse gelingt uns das auch ganz gut. In welche musikalische Richtung sich das Ganze entwickeln wird, kann - glaub ich - keiner sagen. Wichtig ist, dass sich die Songs immer als DYSENTERY Songs identifizieren lassen, und wir Spaß beim Spielen haben.

Dajana: Ich habe soweit keine Texte gefunden ... worum geht’s da so und woher nehmt Ihr die Inspirationen?
Mark:
Unsere Texte haben ein sehr breites Spektrum, die von Lee Davis – ein sehr guter Kumpel und Fan aus dem Amiland - und von mir geschrieben werden. Ich verarbeite vorwiegend realitätsbezogene Themen in unseren Songs, die durch die Ausdrucksweise dann ihren Zusammenhang zur Musik finden. Lee schreibt die für ihn typischen „Splatter“-Texte. Somit - denke ich - haben wir für jeden (schlechten) Geschmack gesorgt.

Dajana: Wie ist bei Euch eigentlich die Gesangsaufteilung?
Mark:
Also ich habe schon immer die Lead-Vocals und Dirk die Add bzw. Back-Vocals.
Als Robby noch bei uns war, hatte er die gepitchten Vocals übernommen.

Dajana: Wie sehen Eure mittelfristigen Planungen aus? Wie sieht es mit der nächsten Langrille aus und was könnt Ihr schon darüber sagen? Wann sieht man Euch mal live in „unseren“ Breitengraden – will meinen mal im Ruhrpott oder im Großraum drum herum (z.B. NRW)?
Dirk:
Die nächste CD wird’s nächstes Jahr geben. Drei eigene Songs und ein Coversong (nee, diesmal keiner von Carcass) stehen schon.
Da wir wieder im Alleingang aufnehmen, wird das wieder eine sehr aufregende Sache (der etwas dünne Sound war ja der häufigste Kritikpunkt in den Rezis). Wir geloben Besserung, aber versprechen will ich hier natürlich nichts. Wer will kann ja mit großzügigen Spenden unser Aufnahme - Budget aufbessern!
Mark: Das Livemuggen werden wir auch wieder verstärkt angehen. Konkrete Termine sind allerdings noch nicht im Kasten, da jeder von uns einen Job hat und braucht. Da muss man sehr langfristig planen. Der Ruhrpott ist gar nicht so unwahrscheinlich, da wir ganz gute Kontakte dorthin haben (Greetings to Contradiction).

Dajana: Habt Ihr eigentlich Kontakt zu den Carcass Leuten? Bietet sich ja an ... Wenn nicht, was wären die ersten Fragen, die Ihr denen stellen würdet, wenn Ihr die Gelegenheit dazu hättet? In was würde gar ein Treffen ausarten?
Mark:
Ich hatte schon einige Male Anfang der 90’er das Vergnügen mit den Jungs etwas zu schwatzen. Ein Treffen mit den Jungs wäre der Ultra-Hammer…..ich weiß, das Mister Jeffrey Walker sehr gerne mal einige Bierchen schlürft.
Dirk: Ich würde mir wahrscheinlich die Hosen voll machen und keinen vernünftigen Satz mehr rausbekommen.

Auf diesem Weg gute Besserung von uns an Ken Owen, der ja eine lange Zeit auf Grund eines Gehirntumors im Koma lag und die Sache wohl jetzt überstanden hat.

Dajana: Wie stellt sich für Euch die aktuelle Situation in der Metal Szene dar? Ist insbesondere das sehr metallische Deutschland übersättigt?
Dirk:
Ich denke auch, dass speziell die deutsche Metalszene total übersättigt ist. Die Veröffentlichungsflut zurzeit ist einfach Wahnsinn. Ich habe spätestens 1998 den Überblick darüber verloren, welche Scheiben essentiell sind und welche nicht (und ich war jahrelang wirklich ein absoluter Vinyljunkie!). Die gängigen Magazine sind auch keine großen Hilfen mehr in Sachen Kaufentscheidung. Wirklich innovative Bands entdeckt man nur noch durch Zufall. Aber da ja irgend jemand den ganzen Mist da draußen kauft, werden die Plattenfirmen auch weiterhin die hundertste Kopie der Bands X und Y verkaufen. Von den tausend Nebenprojekten dieser Bands ganz zu schweigen. Natürlich braucht auch jeder ein dutzend limitierter Digipacks und Boxen seiner Faves. Vom zehnten Re-Release der Komplettdiscographie derselbigen ganz zu schweigen. Und das natürlich alles in Stereo!
Aber einer Neuveröffentlichung aller Carcass-Scheiben als Gehirnshapepicturevinyl mit vielen, vielen Bildern, Linernotes und Bonustracks könnte ich natürlich auch nicht widerstehen!!! Sabber, schlürf…

Short Cuts:
Dajana: Jemand oder etwas, dem Ihr überhaupt nicht widerstehen könnt
Dirk:
…meiner Paula, immer wenn ich sie sehe muss ich an ihr rumspielen, und das obwohl sie ganz aus Holz und mit rostigen Stahlsaiten bespannt ist.

Dajana: Drei Underground Bands, die unbedingt angetestet werden sollten
Dirk:
Bei mir läuft jetzt schon seit Stunden die neue Devin Townsend, aber Underground ist das glaub ich nicht, spontan fallen mir jetzt noch Toxic Smile und Alias Eye ein (eher was für Proggies).

Dajana: Ihr müsst 24 Stunden als Gartenzwerge auf diesem Planeten überleben, wie bringt Ihr das fertig?
Mark:
Wir übernehmen die Hauptrolle im Monumental-Klassiker „Schneeflittchen und die sieben Zwerge“.

Dajana: Eure dringendste(n) Gegenfrage(n) an nervige Interviewer und platte Rezensenten?
Dirk:
Äh, wie jetzt?? Häää???

Dajana: Eure bisher bestgehütetes Geheimnis und die berüchtigten letzten Worte:
Mark:
Unser bisher bestgehütetes Geheimnis (ich glaube da gibt es gar keins) werden wir natürlich nicht preisgeben, sonst wäre es ja kein Geheimnis mehr…..
Vielen Dank für das Interview, viele Grüße und ein ROCK'N'ROLL an unsere treuen Fans, die uns unterstützen.
ROCKING OUT FOR ROCK'S SAKE AND REFUSING TO DIE

 

10/2003 © Dajana Winkel • Dysentery