Feierlich sakrales Ambiente und klassische Arrangements zwischen abgedrehten Klängen und fast schon konservativen Chorälen, gepaart mit einer Unmenge an klassischen Instrumenten. Eric Roger, der Kopf hinter GAË BOLG, hat es mit seinem Output Requiem mal wieder geschafft, seine Fans in Staunen zu versetzen – nicht zuletzt, wie der Titel des Albums es schon verrät, durch die Anlage des Albums als eine klassische Totenmesse. Zeit also, die Fühler über die Grenze hinweg nach Frankreich auszustrecken und beim Meister selbst nachzufragen, wie er es geschafft hat, solch eine Mixtur zu brauen. Doch lest selbst...

Gae Bolg

Daniel: Requiem sticht als ein Werk mit außerordentlich vielfältiger Instrumentierung hervor. Du beherrscht selbst einige Musikinstrumente. Welche hat Instrumente hast Du selbst eingespielt und in welchem Umfang haben Dich Gastmusiker unterstützt?
Eric:
So viele Instrumente spiele ich eigentlich nicht... Die einzigen Instrumente, die ich beherrsche, sind Trompete und Blockflöte, aber ich kann außerdem ein bisschen Keyboard, Schlagzeug, Bass, Gitarre und verschiedene „exotischere“ Instrumente wie Tibetisches Horn oder Didgeridoo spielen, leider ziemlich schlecht, aber das Arbeiten in einem eigenen Studio erlaubt Wunder!!!
Im Gegensatz zu meinen vorherigen Alben, auf denen etliche Freunde einige klassische Instrumente wie Französische Hörner, Violine, Gitarre, Oboe, Cello etc gespielt haben, habe ich Requiem komplett im Alleingang aufgenommen.

Daniel: Gibt es auf Requiem gar gesampelte Instrumente?
Eric:
Diese Arbeit ist mit hundertprozentiger Garantie frei von jeglichen Samplen!!! Es ist pure „healthy organic music“!!!

Daniel: Wie kann man sich den Entstehungsprozess von Requiem vorstellen?
Eric:
Das ist ein bisschen die Geschichte der letzten drei Jahre meines Lebens...Viele Todesfälle in meinem Umfeld... Viel Betroffenheit... Viele Zeremonien und Begräbnisse... Momente der Verzweiflung... Die Musik hat mich wahrscheinlich während dieser Zeit gerettet, obwohl ich, im Vergleich zu anderen Lebensabschnitten von mir, sehr wenig - auf die Musik bezogen - gemacht habe.

Daniel: Bei solchen vielfältigen, dichten und vor allem abwechslungsreichen musikalischen Arrangements stellt sich mir die Frage nach Deinem musikalischen Hintergrund...?
Eric:
Mein erster und wichtigster musikalischer Hintergrund ist ohne Zweifel klassische Musik. Im Alter von acht Jahren habe ich begonnen, Trompete zu spielen. Seit ich elf bin, spiele ich in Orchestern, habe Musik an der Universität studiert, dirigiere seit etwa zehn Jahren klassische Orchester und bin Musiklehrer.
Während meiner Jahre an der Universität, spielte ich in verschiedenen Musikgruppen der Gegenwartsmusik (Ich war - und bin immer noch – hauptsächlich an „alternativen“ Komponisten der 20. Jahrhunderts wie Philip Glass, Steve Reich, Arvo Pärt, Toru Takemitsu, Alfred Schnittke, Aulis Sallinen und Karlheinz Stockhausen interessiert) und es waren meine ersten Erfahrungen, Electronic, Tapes und klassische Instrumente zu mischen. Wir spielten die Französische Premiere von „Sternklang“ (von Stockhausen), die eine meiner größten musikalischen Erfahrungen und der musikalische Schock meines Lebens war! Einige Zeit später entdeckte ich konsequenterweise den deutschen Krautrock (insbesondere die frühen Tangerine Dream, Klaus Schulze und die Cosmic Jokers), die „New Music“-Szene (Sachen wie Fred Frith, The Residents, The Lounge Lizards, Tuxedomoon oder Asak Maboul), dann Industrial Music durch Bands wie HNAS und Nurse With Wound. Mein Interesse für rockigere und kommerziellere Sachen (wie Killing Joke, Radiohead, Depeche Mode, Massive Attack oder Tom Waits) kam später...

Daniel: Klassische Komponisten verschiedener musikalischer Epochen haben sich mit dieser Form der Totenmesse beschäftigt. In welchem Maße orientiert sich Requiem an solchen Vorbildern?
Eric:
Ich bin mir nicht unbedingt sicher... Das Einzige, bei dem ich mir sicher bin, ist, dass ich nie versucht habe, „in der Tradition von ...“ zu stehen. Das wäre einfach nur anmaßend gewesen! Ich bin nicht Mozart, Verdi oder Berlioz!!! Ich habe einfach nur versucht, „mein eigenes Essen mit meinem eigenen Rezept zu kochen“. Die Aufnahmen zu Requiem waren etwas Persönliches und ich habe mir keine Fragen dieser Art gestellt, selbst wenn ich manchmal die Ausführungen von Saint-Saens (für den Mangel an Pathos), Hindemith (für den humanistischen Aspekt), Ligeti (für die dunkle Seite) und Pärt (für den Mystizismus und die Musik) im Kopf gehabt habe.

Daniel: GAË BOLG begab sich schon im Rahmen der letzten Veröffentlichung mit der Vertonung der französischen Literaturklassikers Aucassin Et Nicolette auf ungewöhnlichem Terrain. Mit Requiem widmest Du Deinen verstorbenen Freunden und Verwandten. Inwieweit war die Erstellung des Albums Möglichkeit, mit deren Tod umzugehen bzw. wie ist Deine Einstellung zum Tod?
Eric:
Meine Einstellung dem Tod gegenüber hat sich in diesen letzten Jahren verändert. Als Teenager wurde ich von meiner „Nicht-Ewigkeit“ terrorisiert und war von allem, was morbid war, absolut fasziniert. Dann wurde der Tod etwas konkreter und vor kurzem, mit dem Tod von Freunden und Familienmitgliedern, habe ich allmählich realisiert, dass der Tod letzten Endes nur ein Moment des Lebens ist, ein trauriger Moment (mehr für die, die bleiben als für diejenigen, die sterben), aber du kannst nichts dagegen tun! Du hast also zwei mögliche Reaktionen: Um dich trauern und zynisch werden oder Tag für Tag von deinem Leben profitieren. Ich habe eindeutig entschieden, dass der zweite Weg sinnvoller und konstruktiver ist.

Daniel: Requiem beeindruckt durch seine sakrale Stimmung. Das Stück Totentanz jedoch sticht durch seinen kernigen Gesang hervor. Ist auf Requiem Platz für den GAË BOLG’schen Humor früherer Veröffentlichungen?
Eric:
Requiem hat mit Sicherheit etwas „Sakrales“, aber – so denke ich - nicht ausschließlich: Es hat einige nostalgische Momente wie auch optimistische Momente. Totentanz bezieht sich eher auf eine gewisse populäre mittelalterliche Vision des Todes, etwas, das ironisch sein kann und es ist natürlich auch eine Hommage an den „Danse Macabre“ von Saint-Saens, einem französischen Komponisten, der über alles lachen konnte! Totentanz ist vielleicht der einzige Moment mit einem gewissen Sinn für Humor in Requiem, aber nochmals: Dieses so persönliche Thema führt mich natürlich in die nüchternere und ernsthaftere Richtung.

Daniel: Werden kommende Veröffentlichungen wieder von solchen sehr persönlichen Themen abweichen?
Eric:
Unter gewissen Aspekten hatten alle Veröffentlichungen von GAË BOLG etwas Persönliches, aber jedes Mal auf eine verschiedene Art und Weise. Die nächste Veröffentlichung wird komplett anders: noisy, mad, punk, clubby and rock’n’roll!!!

Daniel: Fotos nach zu urteilen sind Liveauftritte von GAË BOLG sehr aufwändig und vor allem ungewöhnlich arrangiert. Kannst Du Dir eine Liveaufführung von Requiem vorstellen? Vielleicht in einer Kirche?
Eric:
Jedes Konzert ist anders. Beim allerersten GAË BOLG Konzert war ich allein auf der Bühne und auf verschiedene Art und Weise verkleidet. Das hatte etwas Rituelles und Seltsames. Als wir vor drei oder vier Jahren in Paris gespielt haben, waren wir mit vierzehn Mann auf der Bühne, inklusive acht Schlagzeugen und es war wirklich kraftvoll!!! Bei den Konzerten im letzten Jahr waren wir zu viert plus Tänzer und Videokünstler. Es war eine komplett verrückte Multi-Media-Show und ich habe gehört, dass es Leute mit dem Monthy Python Flying Circus verglichen haben (eines der besten Komplimente, die ich je bekommen habe).
Vor etwa zwei Monaten, haben GAË BOLG in Paris mit Opernsolisten, klassischem Chor und zwei Amateurorchestern - insgesamt etwa 100 Leuten auf der Bühne – gespielt!!! Wir führten Auszüge aus Requiem, La Nef des Fous und ältere Songs. Es war eine großartige musikalische Erfahrung, trotz einiger Fehler hier und da, und ich denke, dass es die beste Form war, Requiem zu spielen!!! Aber sicherlich ist es unmöglich, in dieser Konstellation zu touren...
Für unsere nächsten Konzerte (im November) werden wir nur zu fünft oder sechst auf der Bühne stehen, aber ich denke es wird einigermaßen verrückt und energiegeladen sein!!!

Daniel: Gibt es sonst noch etwas, das Du den Lesern von Nocturnal Hall mitteilen möchtest?
Eric:
Wenn du wie ich denkst, dass Dummheit, wilder Kapitalismus und die Macht des Geldes kein Verhängnis sind. Wenn Du meinst, dass Respekt vor unserem Planeten und unseren Nachbarn Hippie-Hirngespinste sind, dann kannst du dir folgende interessante Internetseiten angesehen (leider sind die meisten auf Französisch):
www.confederationpaysanne.fr
www.attac.org
www.sortirdunucleaire.org
www.monde-diplomatique.fr
Und natürlich kannst du dir folgende Seite ansehen:
www.myspace.com/gaebolg (die mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert wird)
Man sieht sich auf unseren Konzerten im November!!!

 

06/2006 © Daniel Fischer • Gaë Bolg