THE
HOUSE OF USHER gehören zu den letzten noch verbliebenen
Urgesteinen des deutschen Gothic Rock. In den zwölf Jahren ihres
Bestehens haben die fünf Mannen um Sänger Jörg Bartscher-Kleudgen
nur vier reguläre CDs veröffentlicht, aber jede einzelne von ihnen
zeugt von hoher Qualität. Man hört THE HOUSE OF USHERihre
Wurzeln an, und die liegen halt eindeutig im Old-School-Gothic-Rock.
Aber dennoch sind sie immer viel mehr als bloße Plagiate gewesen.
Sie sind beständig, ohne langweilig zu wirken, sie machen Musik
mit Tiefgang und Punk-Attitüde, weil sie sich nie an den schnelllebigen
Musikbusiness angebiedert haben. So veröffentlichen THE
HOUSE OF USHER lieber Konzert-CDs in Mini-Auflagen von
100 Stück für die Fans, statt jedes Jahr auf-Teufel-komm-raus
eine neue CD auf den Markt zu werfen. Und vor allem hat es die
Band nicht nötig, sich in ewigen Gruftklischees zu ergehen, nicht
mal rein äußerlich.
Nun
hat die Band mit Inferno/L'enfer ein neues Album herausgebracht,
das mit einer Überraschung aufwartet: Neben zwölf neuen Songs
gibt es auf der CD nämlich auch ein echtes Hörspiel, eine vertonte
Kurzgeschichte von Sänger Jörg (der in der Vergangenheit schon
oft als Autor dunkler Geschichten in Erscheinung getreten ist).
Die Sprecher Christian von Aster und Boris Koch setzen die mystische
und spannende Novelle perfekt in Szene. Die rein musikalische
Seite der neuen CD zeigt THE HOUSE OF USHER song-
und refrainorientierter, auch wenn die gewohnt melancholisch-schönen
Melodien und die dunkle Stimme von Jörg natürlich erhalten blieben.
Die Songs klingen frischer und kommen schneller zum Punkt. Dabei
tritt die Band keineswegs auf der Stelle: In Infernal sind zum
Beispiel orientalische Elemente eingeflochten, As I Shall Thee
Enlighten überrascht mit einem fast 70ies-rock-artigen Zwischenstück.
Das ist immer noch Gothic Rock, traditionell sicherlich, aber
dennoch modern und vor allem gut!
All
das sind Gründe genug, sich mal mit Sänger Jörg zu unterhalten.
Claudia:
Wenn man Eure neue CD hört, erkennt man Euch natürlich sofort
wieder - und trotzdem klingt Ihr irgendwie frischer, die Songs
wirken ausgereifter. Seht Ihr das auch so, und wie erklärt Ihr
es?
Jörg Bartscher-Kleudgen: Ja, Inferno/l'enfer
ist etwas weniger bedrückend ausgefallen als das vorherige Album
Cosmogenesis mit seinen zum Teil schwerfälligen
Rhythmen, monumentalen Streicherarrangements und seiner erdrückenden
Dichte. Und das ist gut so, denn es wäre dumm, irgend etwas zu
wiederholen. Es ist mir auch nie gelungen, ein Stück von Cosmogenesis
so zu remixen, daß es mir besser gefallen hätte. Das Album lebte
aus seiner Schwere und Düsternis heraus, und ich höre es auch
heute noch sehr gerne. Für Inferno haben
wir uns ja im Sommer 2000 in die Bretagne zurückgezogen, wo die
meisten der Stücke auf Akustikgitarre und Bass entstanden sind.
Es fehlen zum Teil die flächigen Sounds des Vorgängers, das heißt
sie sind vielmehr in einzelne Töne aufgelöst, wodurch dieser Eindruck
von Leichtigkeit entsteht. Ich denke, es ist viel von unseren
Impressionen dieser Reise ins Album eingeflossen, aber es ist
dennoch kein fröhliches, sondern ein sehr melancholisches Album
geworden
Claudia:
Auffällig und ganz neu ist natürlich die Idee mit dem Hörspiel
am Ende der CD. Wie seid Ihr darauf gekommen? Wollt Ihr in Zukunft
noch stärker in Richtung Multimedia gehen?
Jörg: Na ja, der Trend scheint ja in Richtung DVD zu gehen,
aber eigentlich finden wir es schade, dass es in Zukunft nicht
mehr ausreichend sein soll, sich einfach in Ruhe hinzusetzen,
die Augen zu schließen und Musik zu hören. Die verschiedenen einzigartigen
Bilder, die jeder Hörer dabei in seinem Geist sieht, werden dann
kaum noch möglich sein. Wir haben im Mai vergangenen Jahres durch
die Filmerin Christiane Maschmann unsere kleine Englandtour dokumentieren
lassen, aber das ist das einzige, was wir zur Zeit als Verbindung
von Bild und Ton zur Hand haben. Das Hörspiel Die
Hoelle ist ja an sich nicht wirklich multimedial.
Wie bei einem ganz normalen Song gibt es hier Sprache und Musik.
Allerdings steht es in direkter Beziehung zu der Erzählung L'enfer,
die im CD-Booklet abgedruckt ist. Die Hoelle
war einfach eine Möglichkeit, Inferno/l'enfer
eine größere Tiefe zu geben. Es ist Teil eines Puzzles oder Rätsels,
das sich - wie auch der Musikteil der CD - erst nach mehrmaligem
Hören und Lesen der Geschichte völlig erschließt.
Claudia:
Worum geht es in Deinen Lyrics? Gibt es einen roten Faden?
Jörg: Einen roten Faden nicht direkt, aber Schwerpunkte. Es
steckt viel verborgene Kritik an unserer Gesellschaft darin, am
deutlichsten in Against All & Everything und All
That You Need, aber auch Geschichten über das Gefühl allein
gelassen zu sein, Verlust und Trauer. Insofern also ein klassisches
Gothicalbum alter Schule...
Claudia:
Inferno/l'enfer ist erst Eure vierte reguläre CD-Veröffentlichung
in zwölf Bandjahren. Gleichzeitig habt Ihr aber einige Live- und
Special-CDs in geringer Auflage veröffentlicht. Warum habt Ihr
diese nicht regulär veröffentlicht, oder sind sie vor allem ein
Geschenk für die Fans?
Jörg: Ein Album ist für uns immer schon etwas Besonderes und
irgendwie Heiliges gewesen, etwas, das man nicht leichtfertig
veröffentlicht. Wir haben neben Stars Fall Down
(1994), Zephyre (1996), Cosmogenesis
(1999) und Inferno/l'enfer ja noch eine
Art Best-Of-CD unter dem Titel Black Sunday Chronology
(1998) und eine Reihe von Singles und MCDs veröffentlicht. Die
von Dir angesprochenen Live-CDs sind in begrenzter Auflage für
unsere Fans erschienen. Wir wollen den ohnehin gesättigten Markt
nicht noch mit Aufnahmen überschwemmen, die die Leute nur verwirren
würden. Trotzdem sind unter diesen CDs auch für uns wirklich sehr
wertvolle Aufnahmen zu finden, beispielsweise auf An
Eve With Discord, die lauter Akustikversionen und
vorgelesene Geschichtenfragmente enthält. Aber davon mal abgesehen:
Es KANN doch nichts Gutes dabei herauskommen, wenn Bands sich
ernsthaft vornehmen, jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen,
oder? Entweder, die Zeit ist reif, oder sie ist's nicht. Das läßt
sich nicht erzwingen.
Claudia:
Auf dem neuen Album ist erstmals auch eine Frauenstimme zu hören.
Wer ist das, und warum habt Ihr Euch dafür entschieden?
Jörg: Daniela ist eine gute Freundin, die bisher immer nur
unsere Booklets gestaltet hat. Sie ist - und darauf haben wir
großen Wert gelegt - keine ausgebildete Sängerin, sondern passt
mit ihrer Stimme einfach wunderbar in unsere Songs hinein. Vor
allem im Gothic Metal hat man ja diese klaren, hohen Engelsgesänge,
die scheinbar zur Pflicht geworden sind, aber wir wollten eine
Stimme mit einem echten Charakter.
Claudia:
Ihr seid ja "alte Hasen" in der deutschen Gothic Szene, und seid
Euch immer treu geblieben. Wie unterscheidet sich Eurer Meinung
nach die Szene heute und "damals"? Sind die Leute offener geworden?
Jörg: Offener?! Das Angebot scheint heute größer, die Infrastruktur
ist besser. Neuveröffentlichungen drängen sich einem ja geradezu
auf. Und trotzdem finde ich immer weniger neue Musik, die mich
so begeistert, wie sie es früher konnte. Deshalb greife ich immer
wieder auf die Sachen zurück, die ich eh schon im Schrank habe.
Sie sind größtenteils origineller und mutiger produziert als der
Einheitssound, der einem heute um die Ohren geschlagen wird. Viele
Produzenten, vor allem die, die normalerweise Popmusik machen,
haben wirklich kein Gefühl für Atmosphäre. Da heißt es dann nur
"das geht so nicht, das macht man so nicht" - aber es gibt kein
richtig oder falsch, wenn man einen Song abmischt. Sicherlich
gibt es zwischen heute und gestern Unterschiede in der Szene,
aber das will ich nicht unbedingt verurteilen. Die Zeiten ändern
sich, und die Szene ist auch nur ein Spiegelbild der gesamten
Gesellschaft.
Claudia:
Obwohl Ihr schon so lange dabei seid, ist der ganz große Erfolg
a la Lacrimosa, Silke Bischoff oder Project Pitchfork, um mal
drei ganz unterschiedliche Bands zu nennen, ausgeblieben. Bedauert
Ihr das, und wie erklärt Ihr Euch diese Tatsache?
Jörg: Vielleicht erklärt es sich dadurch, daß die drei genannten
Bands nicht wirklich Gothic sind. Silke Bischoff sind in erster
Linie eine Werbeagentur, die neben einer Reihe schaurig schöner
Fotos auch ein bisschen Musik macht, Lacrimosa hat's erst mit
Metal, grässlichem MakeUp und überschwänglichem, ins Alberne reichendem
Pathos geschafft, und Project Pitchfork haben hart an sich arbeiten
und viele Kompromisse eingehen müssen, um dahin zu kommen, wo
sie jetzt sind. Man müßte eigentlich diese Leute mal fragen, ob
sie heute glücklicher als zu Beginn ihrer "Karriere" sind. Es
ist schwierig, sich selbst - wie Du eben gesagt hast - "treu zu
bleiben" und gleichzeitig Zugeständnisse an ein Massenpublikum
und die Vermarktungsmaschinerie zu machen. Wir werden uns jedenfalls
von keiner Plattenfirma vorschreiben lassen, wie wir uns zu kleiden
und wie wir zu klingen haben, denn dazu bedeutet uns unsere Musik
zuviel.
Claudia:
Ihr seid oft in England unterwegs und spielt da. Was ist dort
anders, und wie kommen THE HOUSE OF USHER "drüben" an?
Jörg: Wir fühlen uns in England sehr wohl und werden dort
immer sehr herzlich empfangen. Es ist schwer fassbar, was dort
anders ist als hier. Ich glaube, es liegt einfach an der Tradition,
die Konzerte allgemein und Gothic ganz speziell haben. Es bedeutet
der Masse an Leuten mehr, ein Konzert zu besuchen, und es herrscht
fast immer Partystimmung. Ich will damit nicht sagen, daß das
Publikum leichter zu überzeugen ist, aber es gibt dort eine andere
Wertschätzung.
Claudia:
Ich habe gelesen, dass Ihr schon dabei seid, das neue Album zu
planen. Ist da schon was spruchreif? In welche Richtung soll es
gehen, und nehmt Ihr wieder im Ausland auf?
Jörg: Wir kehren gerade (6. bis 13. April) von einer Arbeitswoche
in einem kleinen Cottage in Cornwall zurück, wo das Grundgerüst
für unser nächstes Album entstanden ist. Die Atmosphäre war sehr
entspannt, und wir haben viele einzigartige Eindrücke verarbeiten
können. Aber wie immer wird es eine Weile dauern, bis die Songs
den notwendigen Schliff haben, um veröffentlicht zu werden. Optimistisch
schätzend würde ich mal sagen, daß wir im Herbst 2003 damit fertig
sein könnten. Über den Sound läßt sich noch nicht allzuviel sagen,
weil die Stücke noch sehr roh klingen. Unser mit "Inferno" neu
hinzugekommener Schlagzeuger Axel hat sich diesmal stärker einbringen
können, und wir haben versucht, einige Dinge vom aktuellen Album
aufzugreifen und zu etwas Neuem zu entwickeln. Wiederholen werden
wir uns jedenfalls nicht.
Claudia:
Danke für das Interview!
Jörg: Keep the fire burning! |