JARBOE
ist mit Sicherheit eine der beeindruckendsten, innovativsten
und charismatischsten Künstlerin, die mir jemals begegnet
ist. Sie ist definitiv die Grande Dame der extremen Musik! Bei
einer über 25 Jahre umfassenden Karriere ist es natürlich
nicht gerade einfach ein Interview aufzuziehen, wenn all die
Auf und Abs, Veröffentlichungen, Kollaborationen, Arbeiten,
Visionen und Träume und sonstige Geschichten und Geschehnisse
um solch eine Frau ein ganzes Buch füllen könnten.
Viele Fragen wurden bereits beantwortet, manche nie gefragt.
Nach solch langer Zeit im Musikgeschäft ist JARBOE
geschäftiger denn je, arbeitet an verschiedene Projekte
und betritt neue Felder emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten.
Viele der folgenden Fragen sind komplex, quasi Fragegruppen,
um möglichst viel und detailliert über das Leben und
die Arbeit von JARBOE zu erfahren. Tatsächlich
könnte man mit jeder Einzelfrage viele Seiten füllen
und die Antworten werfen natürlich gleich wieder neue auf
und laden zu Diskussionen ein, womit wir quasi wieder bei dem
Buch wären...
Dajana: Hallo
JARBOE. Eigentlich wollte ich ja dieses Interview bei der letzten
Show Deiner Europatour in London machen. Jetzt haben wir März,
die Tagundnachtgleiche ist vorbei und viele Dinge sind inzwischen
wieder passiert. Wie geht’s Dir und was ist der aktuelle
Stand der Dinge?
Jarboe: Seit London hab ich auf zwei Hochzeiten von
Freunden gesungen, hab eine Westküsten-Tour mit Blixa Bargeld,
Red Sparowes und anderen absolviert, war in Spanien bei einem
Spoken Word Festival, besuchte meine Freundin Lydia Lunch in
Barcelona, habe meine spoken word CD The End,
welche Teil einer Antarktika Expedition eines Freundes ist,
fertiggestellt, habe die Gesangparts für die neue Byla
CD in New York aufgenommen und ein neues Bandprojekt namens
The Sweet Meat Love And Holy Cult in Olympia,
Washington ins Leben gerufen. Ich wurde beauftragt, die Musik
für ein Video/Computerspiel zu schreiben und wurde für’s
Bumbershoot Festival in Seattle gebucht, eines der größten
Festivals in den USA. Außerdem hab ich noch den Gesang
für die neue Cobalt CD aufgenommen und wurde von a’
L’action Culturelle in Casablanca kontaktiert, um dort
an einem Festival teilzunehmen. Ich hoffe, da wird was draus.
Dajana: Du
warst im letzten Jahr extrem beschäftigt und wie man sieht,
ist das in den ersten Monaten von 2006 nicht anders. Es ist
vielleicht schon ein bisschen spät für einen Rückblick
auf 2005, aber fass mal kurz die wichtigsten Dinge zusammen,
die sich noch immer auf Dich auswirken.
Jarboe: 2005? Ich hab ein paar tolle Leute in Europa
kennengelernt. Besonders gefreut hab ich mich die Leute vom
Terrorizer Magazin zu treffen und all die Fans, die auf unserer
Europatour Hallo zu mir gesagt haben.
Dajana: Die
Europatour im letzten Jahr war ja Deine erste nach der Swan
Tour 1997. Bitte gib mal einen kurzen Überblick, was so
alles passiert ist, Erfahrungen, Eindrücke, was hat sich
geändert im Vergleich zu früheren Touren. Das die
Fans durch die Bank absolut überwältigt von Deiner
Performance waren, muss ich – glaub ich – nicht
erst erwähnen. Die Resonanzen, die Du bekommen hast, sprechen
für sich selbst...
Jarboe: Meine Ziel ist es, die Barriere zwischen Publikum
und Künstler abzubauen. Die Europatour hat mir dabei geholfen,
dieses Ziel weiterzuverfolgen.
Es war großartig Moskau zu besuchen, das hab ich durch
und durch genossen. Die Leute dort waren sehr gut zu uns. Ich
mochte auch Portugal und Ungarn. Und es war wirklich toll zum
ersten Mal Spanien zu besuchen.
Dajana: Du
hast gerade Dein erstes spoken word Album The End veröffentlicht.
Wie war die Resonanz bisher? Was hat Dich dazu bewegt, so was
mal anzugehen und was hat es Dir am Ende gebracht? Bist Du zufrieden
damit?
Jarboe: Mein erstes spoken word Projekt war die The
Conduit CD mit Nic Le Ban, Joshua Fraser, und
meinen Mailinglist-Abonnenten. The End
ist die erste erzählende CD als Langrille, ja. Aber sie
ist noch nicht veröffentlicht worden, also kann ich noch
nichts über die Reaktionen sagen, außer meinen eigenen.
Die CD klingt fantastisch, mit Musik von Cedric Victor-DeSouza.
Dajana: Was
verbindet das The End Album mit dem Jarboe Flag Project,
Shackleton’s Unfinished Journey und Amnesty International?
Und warum? Was treibt Deinen langjährigen Freund und musikalischen
Kollegen Cedric Victor-DeSouza dazu, einem Team beizutreten,
welches im Dezember 2006-Januar 2007, der schlimmsten Jahreszeit,
zum Südpol laufen will? Was bedeutet es für Dich,
Deine Flagge am Südpol gehisst zu sehen? Was wollt Ihr
mit dieser Kampagne erreichen?
Jarboe: Das ist eine Frage, die besser Cedrik beantworten
sollte, bitte sende sie ihm.
[Hat er bisher nicht gemacht – Cal]
Dajana: Lass
uns über Dein letztes Album The Men (Review)
reden, eine Doppel-CD mit 20 Kollaborationen, die 6 Jahre lang
gebraucht hat, bis sie fertiggestellt wurde. Warum hat es so
lange gedauert und was verbindet Dich mit all diesen Künstlern?
Welcher Moment in diese Phase war am Speziellsten? Mit wem würdest
Du sonst noch gerne zusammenarbeiten wollen, nicht nur musikalisch
(hab was über ne Zusammenarbeit mit Justin Broadrick von
Jesu/Final gelesen)
Jarboe: Richtig, ich singe auf dem neuen Jesu Album.
Das The Men Album hat 6 Jahre gebraucht,
weil es so viele verschiedene Künstler darauf gibt. Das
braucht seine Zeit. Dieses Album reflektiert mein Leben während
dieser Zeit. Spezielle Momente? Ja. Als ich Iva Davis Produktion
zu To Forget und Blixa Bargelds Gesang zu Feral
und Nic Le Ban’s geflüsterten Texten zu Your
Virgin Martyr und die inspirierende Gitarrenarbeit und
Blixa’s Gesang zu Into Feral gehört habe.
Dajana: Wenn
man sich auf die Suche nach Informationen über JARBOE begibt,
erkennt man so was wie 3 Kapitel Deines Lebens, die besondere
Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Zeit, als Du bei den Swans
warst, die Zeit kurz nach dem Bruch und dann, als die Leute
auf Deine Zusammenarbeit mit Neurosis aufmerksam wurden. Über
den Zeitraum zwischen den letzen beiden Kapiteln ist ins Besondere
in Deutschland nichts zu finden. Nur das, was man auf Deiner
eigenen Homepage lesen kann.
Denkst Du, das diese Aufmerksamkeit nach den Swans daher rührt,
dass Du musikalisch immer extremer geworden bist, während
Michael Gira immer softer wurde?
Jarboe: 3 Kapitel – wie die 3 Gesichter der Eva!
Es gibt zahllose Links auf der Diskussionsseite meiner Homepage
zu Internetartikeln über mich. Ich hab auch eine spezielle
Presse-Sektion und ein Media-Kit auf meiner Seite.
Ich weiß nichts über die Gründe für solche
Aufmerksamkeiten aber ich würde sagen, ich habe schon immer
extreme Musik gemacht. Nach den Swans bin ich tief im Untergrund
verschwunden, habe alle CD’s selber produziert und nur
über meine Homepage veröffentlicht. Ich war von der
Musikindustrie so angewidert, dass ich meine CD’s nur
noch exklusiv für meine persönlichen Fans gemacht
habe. Ich hatte kein Geld für einen Publizisten, so bin
ich wohl ziemlich unbemerkt geblieben. Dann hab ich mich wieder
für ein Label entschieden, damit wieder Rezensionen, Interviews
und der Vertrieb meiner Arbeiten möglich wurden und Leute
meine Konzerte buchen. Es ist wirklich sehr schwierig für
einen unabhängigen Künstler gebucht zu werden. Man
braucht ein Label, einen Lizenzvertrag und einen guten Publizisten.
Und das alles kostet Geld. Der Publizist ist vermutlich die
wichtigste Person in der Karriere eines Musikers. Das ist der
Grund, warum ich das Konzept von MySpace unterstütze, weil
es gerade vertragslose Bands/Musikern dabei hilft, ihre Musik
zu verbreiten, Shows und Reisen zu bekommen und das außerhalb
der klassischen Musikindustrie, die sehr elitär und kaltschnäuzig
gegenüber Musikern und/oder Musik ist.
Dajana:
Du hast viele Interviews mit außergewöhnlichen Leuten
gemacht. Hast Du eine journalistische Ader? Du hast mit vielen
Musikern geredet, insbesondere mit Frauen, die Du ausgefragt hast,
wie sie sich auf ihre Musik, Performance, Ausdrucksweise konzentrieren...
etc. Wieviel konntest Du von ihnen lernen?
Jarboe: Naja, ich lösche Interviews oder lade neue
hoch, je nachdem, ob sie was Lohnenswertes reflektieren. Es ist
kein Versuch, ein Journalist zu sein. Es ist der Versuch Stimmen
zu hören, die erweitern, informieren und mich inspirieren.
Ich suche gerade jemand, der mehr Interviews für meine Seite
macht. Ich wäre dann involviert bei den Nachfolgefragen und
Bearbeitungen.
Dajana: Nachdem
Du ja viele Frauen interviewt hast über Weiblichkeit, arbeiten
in einem von Männern dominierten Geschäft... etc.,
denkst Du, es gibt eine Notwendigkeit die Aufmerksamkeit auf
solche Erfahrungen zu lenken, um Dir und anderen damit zu helfen?
Als ich darüber nachgedacht habe kam mir ein Zitat von
John Lennon in den Sinn: “women are the nigger in
this world”. Was denkst Du darüber? (Ich stimme
dem zu und denke, dass sich das in nächster Zukunft auch
nicht ändern wird)
Jarboe: Meine Gesinnung gilt dem Individuum und nicht
der Gruppe. Und ich mag keinen Separatismus. Daher mag ich auch
keine Ausdrücke, die mit „Frau-“ beginnen.
Ich sehe mich nicht als Frau im Rock oder als Frau, die Barrieren
niederreißt. Ich sehe mich einfach als Individuum, das
seine Arbeit macht.
Wie gesagt, Rock ist eine Männer dominierte, Männer
eigene Domain. Und für die größere Sicht der
Dinge: „Ja, John Lennon“:
Dajana: All
Deine früheren Alben werden nun wiederveröffentlicht,
sind re-mastered, kommen mit Bonusmaterial und erweiterten Booklets,
und dürften viele Deiner Fans glücklich machen, da
zumindest Thirteen Masks nicht mehr erhältlich
ist und Deine Alben generell in Europa schwer zu kriegen sind.
War das Deine eigene Entscheidung oder das Label? Wieviel Freiheit
hast Du in Sachen Veröffentlichungspolitik?
Jarboe: Es war meine Entscheidung. Es ist wichtig für
mich meine Arbeiten im Umlauf zu halten. Ich bin z.B. sehr unglücklich
darüber, dass die gemeinschaftliche Blackmouth
CD noch immer out of print ist.
Dajana: Du
hast mal geschrieben: “There was a time you were utterly
immobilized by emotional hell (Swans had ended. Michael and
I were separated. My mother - who was my best friend and like
a sister to me- had developed an Alzheimer's type illness and
had to be institutionalized). One night, a friend took me to
an exhibit of large scale paintings by a woman here in Atlanta.
The paintings entered my consciousness in a way unlike any art
had ever done...” Wer war diese Malerin und was für
Art und Bildern hat sie gemacht? Was für Erinnerungen hast
Du noch an diese Zeit?
Jarboe: Alice Nesbit. Ich habe inzwischen eine umfangreiche
Sammlung ihrer abstrakten Gemälde an meinen Wänden.
Als ich damals das erste Bild nach Hause brachte, habe ich stundenlang
davor gesessen und mich darin verloren. Es ist rot und orange
und erinnert mich an frisches Blut. Die Formen ähneln einer
Vagina und die gesamte Oberfläche des Gemäldes wurde
mit Messerschnitten strukturiert.
Dajana: Du
hast schon unglaubliche viele Erfahrungen gesammelt, in vielerlei
Hinsicht Grenzen verschoben, musikalisch wie künstlerisch.
Du hast 1000 Stile ausprobiert und Elemente gemischt. Ich schätze
mal, umso mehr Du ausprobierst, umso mehr wird Dir klar, was
noch alles möglich ist? Was sind Deine Visionen (die Du
vielleicht noch erreichen willst)?
Jarboe: The Sweet Meat Love And Holy Cult
ist eine Reaktion auf das sterile digitale Zeitalter und umfasst
stattdessen kommunizierende Musikerkollegen im Sinne von Seelenverwandschaft
und Familie. Die CD wird in weiten Teilen live aufgenommen werden,
anstatt getrenntes Multi-Tracking. Das ist meine aktuelle Arbeit.
Die erste Veröffentlichung dazu wird es später in
diesem Jahr über Paradigms Records, London geben. Es gibt
auch eine MySpace
Seite dazu, bald mit Musik und Fotos von den „cult“
Bandmitgliederns.
Dajana: Du
bist eine sehr spirituelle Person. Verfolgst Du eine bestimme
Religion/Glaubensrichtung? Woher beziehst Du Energie und Vibes?
Was bedeutet: “I’m a conduit” für
Dich in Deinem täglichen Leben?
Jarboe: Wenn ich eine Philosophie nennen müsste,
die am meisten in mir nachhallt, dann wäre das der Buddhismus.
Dajana: Ich
schätze, Du bist „Mutter Erde“ sehr nahe (in
ihrer Ganzheit). Wie sehr berührt es Dich zu sehen, wie
wir unsere Welt Schritt für Schritt zerstören (es
gibt nur zwei Kreaturen auf diesem Planeten, die ihren Lebensraum
zerstören – Menschen und Viren), insbesondere vor
dem Hintergrund, das die USA die größte Dreckschleuder,
Kriegstreiber und Verächter von Menschen- und Tierrechten
ist?
Jarboe: So aufrichtig mich dieses Thema auch berührt
muss ich sagen, das niemand erwartet, dass Noam Chomsky zum
Wortführer der Musik wird. Frage JARBOE
nach dem Krieg, aber den Krieg der menschlichen Herzen.
Dajana: Du
bist Deinen Fans sehr nahe. Durch die „Arterie“
auf Deiner Webseite und durch Deine Texte und Performance, die
immer sehr persönlich sind. Hast Du keine Angst, dass man
Dir mal zu nahe kommt? Was gibt Dir diese Nähe?
Jarboe: Die Leute, die sich mit meiner Arbeit beschäftigen
sind gedankenvolle Menschen, die Bücher lesen und sorgfältig
zuhören. Ich fürchte mich nicht vor Leuten, die mich
durch meine Arbeit kennen, weil ich – wie schon erwähnt
– die Barriere zwischen Publikum und Künstler verschwinden
lassen will. Je offener und vertrauensvoller ich bin, umso besser
verstehen meine Fans meine Arbeit und nehmen sie an. Sie würden
es merken und sehr enttäuscht sein, wenn ich falsch und
verschlossen wäre.
Dajana: Du
hast mal gesagt, wenn Du an neuem Material arbeitest, erlaubst
Du es keiner „fremden“ Musik, Deinen kreativen Fluss
zu kreuzen. Was hörst Du privat außerhalb dieser
Schaffensphase?
Jarboe: In bin gerade mitten drin am Schreiben neuer
Songs! Was Musik betrifft die ich mag, sie ist auf meiner MySpace
Seite aufgelistet.
Dajana: Hast
Du noch irgendwelche anderen kreative Ventile? Wenn ja, welche?
Jarboe: Ich mache dekorative Kästchen und verkaufe
sie über meine Webseite. Ich nenne sie Fetisch Schachteln.
Ich lese das The World Of Interiors Magazin und mag es meine
Umgebung so zu gestalten, dass sie einer Szenerie aus Film oder
Schauspiel ähnelt. Ich mag Mode – besonders Martin
Margiela. Und einmal mehr: ich habe eine lange Liste auf MySpace.
Dajana: Um
nun zu einem Ende zu kommen die letzte Frage: Wenn Du eine Skulptur
zu erschaffen hättest, die all das reflektiert, das JARBOE
ausmacht, wie würde die aussehen?
Jarboe: Ich hatte üblicherweise an “The
Mourning Woman” gedacht, mit dem Kopf in ihren Händen,
wie man sie auf Gräbern auf Friedhöfen sieht. Aber
jetzt... denke ich, es wäre mehr abstrakt und Zen und aus
Stein, gemustert von Hunderten von Regengüssen, die darauf
niedergegangen sind.
Dajana: Ok,
herzlichen Dank für die Zeit, die Du Dir genommen hast,
um all diese Fragen zu beantworten.
Jarboe: Danke für’s Fragen.
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