„Du
kannst schreien, doch keiner wird dich hören, obwohl du meinst
du hast die Antwort. Doch du kannst nichts tun als zu verlieren,
Depression tötet jede Hoffnung.“
Diese Zeilen des Gänsehaut-
Klassikers Der Pazifist dürften vielen bekannt sein. Sie
stammen von der Gießener Punk/Metal/Deutschrockband KAPITULATION
BONN, die mit einigen Beiträgen auf den legendären
„Schlachtrufe BRD“- Samplern für Aufsehen gesorgt
hat, setzten sich die Jungs musikalisch und textlich doch relativ
deutlich von den anderen Combos ab.
Ziemlich genau sechs Jahre ist es her, dass man mit dem letzten
Album Blut ein Lebenszeichen von sich gegeben
hat. Von vielen schon vergessen und für tot erklärt,
überrascht die KAPITULATION plötzlich
mit einem neuen Album. Neue Bandmitglieder, neuer Vertrieb, neue
Lieder: Ein wunderbarer Grund, den beiden Sängern und Schlagzeugern
im Wechsel, Oliver Stöhr und Rainer Schmidt ein paar Fragen
zum neuen Release Helden zu stellen.
Andi: Es war jahrelang
ruhig um euch. Blut liegt 6 Jahre zurück, was hat
die KAPITULATION in den ganzen Jahren gemacht?
Rainer: So eine Art Winterschlaf könnte man vielleicht
sagen. Da geht jeder von uns so seinen eigenen Geschäften
nach, man sieht sich aufgrund einer räumlichen Trennung nicht
mehr so oft, man ist ‘ne Weile etwas träge und, hoppla,
schon sind fünf, sechs Jahre ins Land gegangen. Aber eines
sei an dieser Stelle bemerkt: Helden
ist kein Reunion-Album, wir waren nämlich nie getrennt!
Oliver: Da ist schon so das Ein- oder Andere
passiert. Unser früherer Gitarrist Guy ist jetzt nicht mehr
in der Band. Er war irgendwann einfach verschwunden und wir haben
nur über drei Ecken gehört, dass er beschlossen hatte
die Gitarre an den Nagel zu hängen. Warum auch immer. Ersatz
zu finden ist meistens nicht so einfach, gerade weil der betreffende
Mensch ja doch musikalisch wie menschlich in die Band passen sollte.
Immerhin muss man es ja doch eine gewisse Zeit miteinander aushalten
können. Wir haben dann vor einem Jahr den Basti dazugenommen
und finden, dass es schon recht ordentlich funktioniert. Proben
zu organisieren ist allerdings mittlerweile etwas schwieriger
als früher, da Jens, unser anderer Gitarrist zurzeit hauptsächlich
in Berlin lebt. Dann sind wir komischerweise alle innerhalb eines
kurzen Zeitraumes Papas geworden. Es kam also einiges zusammen.
Wir waren aber während der letzten Jahre auch nicht komplett
untätig. Wir haben ein paar Mal in näherer Umgebung
gespielt, uns sicherlich Zeit gelassen um neues Material zu schreiben
und zu proben und dann im Sommer 03 das Helden
Album aufgenommen. Dazu kam das Ende von A.M. (A.M.- Music, damals
wichtigster Vertrieb für (Deutsch-)Punkbands – Anm.d.Verf.),
so dass wir uns von wegen Vertrieb usw. neu orientieren mussten.
Und da ist es genauso wie bei einem neuen Bandmitglied, es muss
einfach passen.
Andi: Auf Feuer
sieht man ein brennenedes Kriegsschiff oder U-Boot, auf eurer
neuen CD einen B52- Bomber. Welchen Bezug hat das Cover zum Titel,
zur Musik und zur KAPITULATION?
Rainer: ...und auf der Am Fenster
7“ einen Panzer der NVA (für das Cover-Artwork ist
übrigens ein lieber alter Freund verantwortlich). Wir sind
natürlich nicht die totalen Militaristen aber wir leben leider
alle in einer Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt.
In der Gewalt stets ein probates Mittel ist, um seine Interessen
durchzusetzen und in der jede Seite ihre Mordknechte zu Helden
hochstilisiert. Was ist da treffender als diese Statussymbole
der Macht (siehe B52) provokativ zu plakatieren. Wer unsere Texte
kennt, weiß das, denke ich, schon richtig einzuordnen.
Andi: Kommen wir mal zu
den Songs an sich. Ihr wart ja schon immer eine Band, die die
politischen Missstände in der BRD angeprangert hat, auf Helden
allerdings kommt es mir so vor, als ob man das "Feindbild"
- damals wohl die konservative CDU- Regierung - nicht mehr so
genau lokalisieren kann. Früher war die Aussage in z.B. Glashaus,
Schweine oder Schöne Neue Welt klar definiert,
auf Helden klingt das alles "globaler" und
allumfassender. Wie ist da eure Sicht?
Oliver: Zunächst einmal sollte man die Songs in
der Regel nicht (nur) ganz so im wörtlichen Sinn sehen, wie
sie auf den ersten Blick vielleicht scheinen. Nimm z.B. den Kanther
Song vom Blut Album. Wir verwenden den
Namen Kanther, aber es geht letztlich nicht um diese Person. Ich
kenne den Typ ja nun nicht. Wir haben den Namen als einen Art
Aufhänger benutzt, weil er für eine bestimmte und weit
verbreitete Einstellung stand, bzw. viele Leute die gleichen Dinge
mit diesem Namen verbunden haben. Man kann sich also einfach was
darunter vorstellen, weil einem vieles in den Sinn kommt, wenn
man den Namen Kanther hört, obwohl es im Song eigentlich
um Denkmuster geht.
Das mit dem Feindbild sehe ich zum Teil auch so. Allerdings war
es schon vor zehn Jahren so, dass man das Gefühl hatte, die
Dinge immer weniger personifizieren zu können. Vielleicht
war das aber auch schon immer so, es wird nur mit der Zeit immer
deutlicher, bzw. gibt man sich immer weniger Mühe es zu kaschieren,
weil man sieht, dass man ja mit allem eigentlich durchkommt. Das
glaube ich eigentlich am ehesten. Denn auch etwa die Kohl-Regierung
war ja letztlich nur ein Symbol, an dem man gut ablesen konnte,
wie Mechanismen funktionieren. Diese ganzen Gesichter sind ja
im Endeffekt austauschbar. Speziell eine Person wie Kohl hat es
einem da natürlich schon verdammt leicht gemacht eine Zielscheibe
zu haben, auf die man alles Mögliche projizieren- an der
man alles Mögliche deutlich machen konnte. Das war auch der
Hintergrund zu Songs wie Glashaus, Schweine
etc. .
Wenn die Texte auf Helden, wie du sagst,
"globaler" klingen, dann stimme ich dir zu. Man will
nicht immer die gleichen Bilder verwenden, natürlich fließen
immer Sachen in Texte ein, die gerade jetzt passieren. Ich denke
dass jeder Text, egal wer ihn schreibt und wofür, immer irgendwo
den Moment aufgreift, in dem er entsteht.
Rainer: Schon möglich, dass die Texte auf
Helden nicht mehr so auf eine Klientel
abzielen sondern etwas globaler sind als auf unseren vorigen Alben.
Ich für meinen Teil finde das eigentlich ganz gut. Ständig
irgendwelche Sündenböcke beim Namen zu nennen (wir kennen
sie doch sowieso alle) mündet doch nur in stumpfe Parolenschreierei,
und das machen schon genügend andere, einschlägig bekannte
Musikerkollegen mehr oder weniger gut. In diese Kerbe zu hauen
war nie unsere Absicht. Deswegen habe ich es immer möglichst
vermieden allzu klare politische Aussagen pro oder kontra einer
bestimmten Ideologie zu machen und dabei auch noch Namen zu nennen.
Für Olli, glaube ich, sind Personen wie Kanther zum Beispiel
mehr ein der Öffentlichkeit bekannter Platzhalter für
eine bestimmte Mentalität, die er im entsprechenden Text
ins Visier genommen hat. Wie auch immer, wir wissen alle, dass
es, egal welche Regierung hier gerade am Drücker sitzt eine
Menge Defizite in diesem Land gibt. Der momentanen fehlt es wahrscheinlich
nur an entsprechenden Charakteren, die sich als ein solches Beispiel
eignen.
Andi: Mit Macht,
Willkür, Größenwahn, White
House und Gleichmaß holt ihr zum großen
Rundumschlag gegen alles und jeden auf der Politikbühne aus.
Wird man es nach all den Jahren nicht leid, immer wieder und wieder
solche Lieder schreiben zu müssen? Würde man manchmal
nicht lieber einfach nur ein großes "Leck mich!"
herausbrüllen und sich über die "Dummheit"
der anderen amüsieren ? Man kann ja irgendwie kritisieren
und aufzeigen wie man will, es hört ja eh keiner zu.
Oliver: Ich finde, es kommt darauf an, welchen Anspruch
du an deine Songs hast. Es wäre natürlich vollkommen
naiv zu glauben, du könntest irgendwas verändern indem
du einfach ein Liedchen machst, und das verbreitest du dann unter
Leuten, die wahrscheinlich ohnehin zumindest grob dasselbe zu
der Sache denken und empfinden wie du selbst. Das wäre doch
kompletter Schwachsinn. Um da die Chance zu haben auch nur kleinste
Akzente setzen zu können müsste man Platten in Millionenhöhe
verkaufen und vor allem das Zeug bewusst da verbreiten, wo du
neue Leute überzeugen musst. Das können vielleicht Bands
von der Größenordnung Ärzte, Hosen ein Stück
weit tun, was sie - glaube ich - auch versuchen und wofür
sie meinen Respekt haben. Du siehst schon, wir versuchen uns auf
jedem Weg doch noch auf die großen Bühnen zu schleimen!
(Ich sehe..hehe – Anm.d.Verf.) Ich denke, man darf da sein
eigenes Tun einfach nicht zu wichtig nehmen, denn das was wir
tun ist doch letztlich nichts anderes, als dass wir das Recht
auf Meinungsfreiheit – ha,ha – wahrnehmen, wovon ich
denke, dass man es tun sollte und das wir dies in begrenztem Rahmen
in der Öffentlichkeit tun. Nicht mehr und nicht weniger.
Rainer: Also erstens zwingt uns keiner dazu solche
Texte zu machen, das ist eher unser Weg sich unserem Ärger
Luft zu machen. Außerdem sind diese Rundumschläge wahrscheinlich
das, was wir am besten können. Du wirst es nicht glauben
aber wir sind eigentlich ein ganz lustiger Haufen und wir unterhalten
uns, wenn wir uns denn mal sehen, kaum über Politik aber
irgendwie, finde ich, gibt es nur sehr wenige Bands die guten
Funpunk machen oder gute Liebeslieder oder, oder, oder. Wir haben
sicher, jeder für sich, auch schon so was probiert, waren
dann aber mit den Resultaten nie so zufrieden, dass man sie auf
die Menschheit hätte loslassen können. Vielleicht schaffen
wir das ja irgendwann noch mal, wer weiß. Im Übrigen
glaube ich nicht, dass das, was wir da so von uns geben keinen
mehr interessiert, auch wenn man so manchen – auch politischen
Entwicklungen gewissermaßen ohnmächtig gegenübersteht.
Es wäre falsch, alles kommentarlos über sich ergehen
zu lassen. Irgendein Schlaukopf hat mal gesagt: “Wer nichts
dagegen sagt, unterstützt das, was gerade am laufen ist!“
Und mit totaler Gleichgültigkeit hat man ja gerade in Deutschland
bittere Erfahrung gemacht.
Andi: In Krieg
bekommt die Medienlandschaft ihr Fett weg, allerdings klingt der
Text eher hoffnungslos als kämpferisch. Habt ihr die Hoffnung
komplett aufgegeben?
Oliver: Zuerst muss man mal klarstellen, dass KAPITULATION
B.O.N.N. Texte von verschiedenen Leuten stammen. Der
Krieg Text etwa ist von Sander, der sonst das elektrische
Telefon spielt. Wenn du fragst, ob wir "die Hoffnung aufgegeben"
haben, dann ist das natürlich eine sehr pauschale Formulierung.
Ich meine, kein Mensch ist ja nun so gleichförmig, dass er
sich immer in der gleichen Gefühlslage befindet, oder was
auch immer. Ein Song-Text ist immer eine Momentaufnahme, und da
gehst du natürlich durch immer wieder durch alle möglichen
Höhen und Tiefen ... sehr philosophisch, oder?! Das kannst
du übrigens schon immer bei KAPITULATION-
Texten sehen. Die waren noch nie gleichförmig. Nimm den Pazifist,
der immerhin schon 14 Jahre auf dem Buckel hat. Da hast du all
die verschiedenen Dinge in diesem einen Text. „Manchmal
möcht ich Bomben legen“... „Manchmal
könnt' ich mir die Kugel geben“... „Hat
es noch Sinn weiter zumachen und gegen Wände zu schreien“...
Die Abrechnung dagegen etwa war recht aggressiv, während
schon auf dem ersten Album ein Song war, der Scheißegal
heißt und in dem es heißt "Es ist egal wohin
du rennst. Es ist egal, weil's dir nix bringt. Es ist scheißegal
wie schnell du bist, weil die Flucht dir nie gelingt."
Du siehst, es gab da schon immer beide Pole und ganz viel dazwischen.
Rainer: Manche Stücke auf Helden
sollte man nicht in der Totale betrachten. Sie drücken vielmehr
momentane Stimmungen aus. Dazu gehört auch, dass man frustriert
sein kann. Von einer Deutschpunk-Band (ich hasse diesen Begriff!)
erwartet der Zuhörer wahrscheinlich, dass immer alles sehr
kämpferisch zu klingen hat - ich finde das verlogen und klischeehaft.
Und ich glaube, dass viele sich mehr mit uns identifizieren können,
weil sie merken, sie sind nicht die einzigen, die manchmal scheiße
drauf sind!
Andi: Mit Überlebt.Erfahrungswerte,
Wohlstandskinder und Gegen den Wind schießt
ihr auch gegen ca. 98% der Gesellschaft. Ich persönlich habe
mir erst letztens die Frage gestellt, warum diese ganzen Fascho-
Idioten so stolz auf dieses Land sind und sich so um "Ihre"
Deutsche Gesellschaft sorgen. Wenn ich diese ganzen Auswüchse
der letzten Zeit hier sehe - Super/Popstars, Arabella, GZSZ, Dieter
Bohlen, Küblböck, Big Brother, Gerhard Schröder...
auf sowas soll/kann man stolz sein ? Wieder mal ein Zeichen für
die unheimliche Intelligenz besagter Hohlbirnen..
Oliver: Wer selber nichts hat worauf er stolz sein kann,
der sucht sich halt ein Ersatzego. Und in der Regel ist man da
wohl dann nicht so wählerisch ...
Rainer: Es ist sehr einfach, die bereits beschriebenen
Sündenböcke, die im Rampenlicht stehen, auszumachen
und an den Pranger zu stellen, deshalb wird es so häufig
getan. Gehen wir nicht alle zu Aldi oder WalMart oder was weiß
ich wem und kaufen den billigsten Kaffee im Sonderangebot und
sind damit, natürlich ein paar schöne Niveaustufen niedriger,
auch nicht wirklich so viel anständiger? Warum sollte man
also keine Lieder über diese von dir genannten 98 % Durchschnittsmenschen
machen? Es ist oft viel interessanter die Einzelheiten des ganz
alltäglichen Wahnsinns zu beobachten, weil sie eben schon
so alltäglich sind. Wenn eines dieser Arschlöcher (2
%) mal wieder Fahrtkosten abrechnet, wo keine sind oder umsonst
in Urlaub fliegt oder sich anders schmieren lässt, dann sind
natürlich, für eine kurze Zeit zumindest, alle Blicke
darauf gerichtet - und das ist auch ok. Aber auch hier gilt für
KAPITULATION B.O.N.N.: Es geht uns nicht darum,
unseren vermeintlich wichtigen Senf zu irgendwelchen aktuellen
Eklats dazuzugeben. Dann bräuchtest du deine Lieder 2 Jahre
später nicht mehr spielen, weil bis dahin schon so viel Neues
passiert ist. Die Erwähnung solcher konkreten Dinge wie zum
Beispiel in Glashaus (Kohl/Transrapid) ist für uns
eher ein Aufhänger um einen bestimmten allgemeineren Umstand
zu beschreiben.
Andi: Nicht ganz ernst
gemeint: Was habt ihr eigentlich gegen Fussball, Ficken, Alkohol
(aus Wohlstandskinder) ? Es gibt bedeutend Schlimmeres...
Rainer: Ganz ernst gemeint: Gar nichts! Im Gegenteil,
und mehr noch: wir fahren auch gerne in schnellen Autos durch
die Gegend und machen gerne Urlaub und so weiter. Letzten Endes
gehören wir ja auch zu den bereits erwähnten 98 %. Ich
finde, es ist selbst bei den besten Vorsätzen, die man hat,
gar nicht so leicht, sich der ganzen Eindrücke, die du in
der vorigen Frage genannt hast, zu erwehren. Natürlich sind
auch wir Kinder dieser Konsumgesellschaft und freuen uns an den
Errungenschaften des kleinen Mannes, mit denen man uns sicher
irgendwo auch ruhigstellt und davon abhält gegen die Mächtigen
aufzubegehren - man hat halt auch was zu verlieren - und wenn
es nicht viel ist. Man sollte bei KAPITULATION B.O.N.N.
übrigens bei all diesen „Rundumschlägen“
nie das gewisse Maß an Selbstironie unterschätzen (siehe
z.B. auch Arschtritt oder Revolution oder Der
Neue Weg oder...). Der Unterschied zwischen diesen WOHLSTANDSKINDERN
und Leuten wie uns ist vielleicht nur, dass wir wenigstens manchmal
darüber nachdenken, ob das, was uns immer so selbstverständlich
erscheint auch wirklich so ist.
Andi: Ihr kommt ja aus
der Punkszene, die Mitte der 90er - in meinen Augen - ihren absoluten
Höhepunkt hatte. Gerade durch Achim und sein A.M.-Music konnte
ein Großteil der Szenebands sich auch einem breiteren Publikum
präsentieren. Trotzdem muss ich - nachdem mir die aktuelle
Schlachtrufe-CD in die Hände kam - doch bemängeln, dass
sich die Themen allesamt wiederholen. Dreht sich- eurer Meinung
nach - die Szene im Kreis, hat sie ihre Kreativität verloren
?
Oliver: Das ist eine scheiß-schwere Frage. Zumindest
dann, wenn man sie in ein paar Sätzen beantworten soll. Fest
steht, dass es etwa KAPITULATION B.O.N.N. ohne
die Punkszene nie gegeben hätte. Und mir fällt keine
vergleichbare Szene, Sub-Kultur, oder wie immer man so etwas noch
nennen kann, ein, die es über einen so langen Zeitraum geschafft
hat, sich nicht nur zu erhalten, sondern wirklich eine eigene
Infrastruktur abseits der großen Industrie auf die Beine
zu stellen. Aber mit den Begriffen ist das eigentlich eine saublöde
Sache. Innerhalb dessen, was ich jetzt als Punkszene bezeichne,
gibt es, wie ich finde, so etwas wie eine selbsternannte Szene.
Eine Menge Leute, die meinen sehr genau festlegen zu müssen,
was erlaubt ist und was nicht, was akzeptabel ist und was nicht.
Mit diesem Teil der Szene hatten wir immer Probleme und sie konnten
umgekehrt mit uns häufig nichts anfangen. Ich hab' noch nie
verstehen können, welchen Sinn es macht sich selbst Einschränkungen
aufzuerlegen und seinem eigenen Tun ganz enge Grenzen zu setzen,
gerade wenn man gleichzeitig mit dem großen "A"
auf der Jacke herumläuft. Das ist doch albern! Aber es gibt
leider doch eine Menge Leute, die scheinbar nur dann mit Dingen
klarkommen, wenn diese in einem ganz engen und überschaubaren
Rahmen gesteckt sind. Auch wenn das jetzt arrogant klingt, aber
so etwas kann ich eigentlich nur bemitleiden. Ich denke, dass
häufig aber auch Angst eine ganz große Rolle spielt.
Angst davor unterwandert oder ausgehöhlt zu werden, wenn
man irgendwas Neues in sein Hirn lässt. Ich kann das zwar
irgendwo nachvollziehen-, halte es aber für Unfug. In jedem
Fall steht das was einem dadurch entgeht, oder was man damit lähmt
in keinem Verhältnis zu dem, was man vielleicht dadurch verhindert.
Du gehst ja auch gelegentlich über die Strasse, obwohl du
weißt, dass dich dabei vielleicht ein LKW platt macht.
Von daher würde ich sagen, dass die Punkszene eine ganze
Menge auf die Beine gestellt hat, dass sie aber noch viel mehr
zustande bringen könnte, wenn sie sich nicht ständig
selber so viel verbieten würde, wodurch sie sich viele Möglichkeiten
nimmt.
Als wir anfingen, so Ende der Achtziger, war die Punkszene noch
ein recht breites Feld, so habe ich das zumindest in Erinnerung.
Damals gab's hier bei uns z.B. regelmäßige Konzis,
die sich "Independent Day" nannten. Das fing so am späten
Nachmittag an und ging bis irgendwann. Da traten Deutschpunk Bands,
Elektro Zeug, Gothic Leute, Hardcore Bands alle bunt durcheinander
auf. Und es war eigentlich immer volles Haus angesagt. Also eine
ganz gewaltige Vielfalt von verschiedenem Kram. Dann kam die Wiedervereinigung
und dadurch bekamen wir im Westen erstmals was mit von Bands wie
ZusammRottung, Schleimkeim, Fuckin' Faces etc., die alle ihre
ganz eigenen Erfahrungen in den Punk mitbrachten. Dann kamen Bands
auf wie But Alive oder Dritte Wahl, die keine Scheu davor hatten
auch über den eigenen Tellerrand zu blicken und neue Dinge
auszuprobieren. Und ich denke, man darf auch nicht vergessen,
dass so Anfang bis Mitte der Neunziger härtere Musik allgemein
wieder mehr angesagt war, so dass auch eine Menge ganz normaler
Kids mit am Start waren, die mit der Punk- Kultur eigentlich nicht
unbedingt viel zu tun hatten, sondern einfach auf die Musik standen.
So Ende der Neunziger schien sich das alles dann irgendwie tot
zu laufen. Alles war sehr gleichförmig. Im Moment habe ich
aber das Gefühl, dass sich doch das Ein- oder Andere wieder
tun könnte. Das Publikum bei unseren Konzerten scheint mir
recht gemischt zu sein. Überraschend viele junge Leute, so
zwischen 15 und 20. Aber es sind schon auch noch eine Menge Gesichter
da, die man schon mal irgendwo gesehen hat..... .
Rainer: Wir sind den meisten zwar durch die Schlachtrufe
BRD-Reihe bekannt geworden aber eigentlich haben wir nie so 100
%ig in die Deutschpunk-Schiene reingepasst. Wir haben halt zu
dieser Zeit angefangen unsere Musik (Olli würde sagen B.o.N.n.-Rock)
zu machen und da gibt es natürlich schon eine gewisse Schnittmenge.
Da ich diese Entwicklung nicht so richtig beobachte, kann ich
dir leider nicht wirklich sagen, ob die Szene nicht mehr kreativ
ist. Ich denke halt, auch in der Punkszene gibt es viele Dogmata,
die sich in den Köpfen festgefressen haben. Auch hier geht
man teilweise sehr intolerant mit selbstkritischen oder anders
denkenden Leuten um - und dabei war Punk eigentlich immer die
Freiheit so auszusehen und sich so zu verhalten wie man will.
Bei uns in Deutschland hat sich für die Musik Punk eben manifestiert,
dass man gefälligst über die Regierung zu schimpfen
hat und möglichst aggressiv klingt. Wen wundert es da, dass
sich vieles wiederholt (siehe Leck Mich!). Schwacher
Trost: Das ist kein szenetypisches Phänomen; hör dir
mal die ganze Scheiße an, die den lieben langen Tag im Radio
dudelt - die bringen auch nichts wirklich Neues.
Andi: Ihr hab dieses Jahr
schon ein paar Gigs gehabt, woraus besteht euer aktuelles Publikum
eigentlich ?
Rainer: So viele waren es gar nicht. Genau genommen nur
ein einziger, der war in Luzern und hat uns allen riesig Spaß
gemacht. Ich war erstaunt und positiv überrascht, dass so
viele Leute die Texte der neuen Platte, die ja nun noch nicht
ewig draußen ist, schon auswendig kannten. Interessant war
auch, dass so viele Jungpunker da waren. Schließlich hat
man uns seit der Scheibe Blut totgeglaubt
und das ist immerhin ein paar schöne Jährchen her -
da waren viele von den Jungs und Mädels höchstens 10
Jahre alt. Wir „alten Knacker“ (ehrlich, wir fühlen
uns nicht so) haben also anscheinend was zu erzählen, was
auch diese Generation noch interessiert - das war ein gutes Gefühl.
Das merken wir auch durch die Reaktionen auf Helden,
die überwiegend sehr positiv sind. Ich meine, wie viele Bands,
die nach langer Zeit wieder mal was aufnehmen werden in der Luft
zerfetzt?
Andi: Wie sehen eure weiteren
Pläne aus ? Wird man die KAPITULATION wieder öfters
zu sehen bekommen ?
Rainer: Kurze Antwort: Unbedingt! Wie ich schon erwähnt
habe, hat das Konzert in der Schweiz uns Lust auf mehr gemacht.
Wir waren sicher nie eine Band die monatelang durch die Lande
tingelt und das werden wir auch jetzt nicht werden. Ein Gig von
KAPITULATION B.O.N.N. wird immer eine seltene
Abwechslung im Programm deines Lieblingsclubs sein aber es gibt
eine Menge Anfragen von Veranstaltern und wir werden möglichst
vielen davon nachkommen. Das sind wir uns selbst und den Leuten,
die uns hören wollen auch schuldig!
Ein wunderbares Schlusswort
einer verdammt symphatischen Band, die man hoffentlich bald auch
im Club seines Vertrauens live bewundern kann.
Checkt unbedingt die Homepage ab, hier kriegt ihr wirklich jede
Info die man so braucht, zudem noch nette Goodies wie mp3s, kleine
Filmchen und auch die Möglichkeit, die neue CD zu bestellen.
In diesem Sinne, Gruß nach Gießen.
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