„Du kannst schreien, doch keiner wird dich hören, obwohl du meinst du hast die Antwort. Doch du kannst nichts tun als zu verlieren, Depression tötet jede Hoffnung.“

Diese Zeilen des Gänsehaut- Klassikers Der Pazifist dürften vielen bekannt sein. Sie stammen von der Gießener Punk/Metal/Deutschrockband KAPITULATION BONN, die mit einigen Beiträgen auf den legendären „Schlachtrufe BRD“- Samplern für Aufsehen gesorgt hat, setzten sich die Jungs musikalisch und textlich doch relativ deutlich von den anderen Combos ab.
Ziemlich genau sechs Jahre ist es her, dass man mit dem letzten Album Blut ein Lebenszeichen von sich gegeben hat. Von vielen schon vergessen und für tot erklärt, überrascht die KAPITULATION plötzlich mit einem neuen Album. Neue Bandmitglieder, neuer Vertrieb, neue Lieder: Ein wunderbarer Grund, den beiden Sängern und Schlagzeugern im Wechsel, Oliver Stöhr und Rainer Schmidt ein paar Fragen zum neuen Release Helden zu stellen.

Kapitulation Bonn

Andi: Es war jahrelang ruhig um euch. Blut liegt 6 Jahre zurück, was hat die KAPITULATION in den ganzen Jahren gemacht?
Rainer:
So eine Art Winterschlaf könnte man vielleicht sagen. Da geht jeder von uns so seinen eigenen Geschäften nach, man sieht sich aufgrund einer räumlichen Trennung nicht mehr so oft, man ist ‘ne Weile etwas träge und, hoppla, schon sind fünf, sechs Jahre ins Land gegangen. Aber eines sei an dieser Stelle bemerkt: Helden ist kein Reunion-Album, wir waren nämlich nie getrennt!
Oliver: Da ist schon so das Ein- oder Andere passiert. Unser früherer Gitarrist Guy ist jetzt nicht mehr in der Band. Er war irgendwann einfach verschwunden und wir haben nur über drei Ecken gehört, dass er beschlossen hatte die Gitarre an den Nagel zu hängen. Warum auch immer. Ersatz zu finden ist meistens nicht so einfach, gerade weil der betreffende Mensch ja doch musikalisch wie menschlich in die Band passen sollte. Immerhin muss man es ja doch eine gewisse Zeit miteinander aushalten können. Wir haben dann vor einem Jahr den Basti dazugenommen und finden, dass es schon recht ordentlich funktioniert. Proben zu organisieren ist allerdings mittlerweile etwas schwieriger als früher, da Jens, unser anderer Gitarrist zurzeit hauptsächlich in Berlin lebt. Dann sind wir komischerweise alle innerhalb eines kurzen Zeitraumes Papas geworden. Es kam also einiges zusammen. Wir waren aber während der letzten Jahre auch nicht komplett untätig. Wir haben ein paar Mal in näherer Umgebung gespielt, uns sicherlich Zeit gelassen um neues Material zu schreiben und zu proben und dann im Sommer 03 das Helden Album aufgenommen. Dazu kam das Ende von A.M. (A.M.- Music, damals wichtigster Vertrieb für (Deutsch-)Punkbands – Anm.d.Verf.), so dass wir uns von wegen Vertrieb usw. neu orientieren mussten. Und da ist es genauso wie bei einem neuen Bandmitglied, es muss einfach passen.

Andi: Auf Feuer sieht man ein brennenedes Kriegsschiff oder U-Boot, auf eurer neuen CD einen B52- Bomber. Welchen Bezug hat das Cover zum Titel, zur Musik und zur KAPITULATION?
Rainer:
...und auf der Am Fenster 7“ einen Panzer der NVA (für das Cover-Artwork ist übrigens ein lieber alter Freund verantwortlich). Wir sind natürlich nicht die totalen Militaristen aber wir leben leider alle in einer Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt. In der Gewalt stets ein probates Mittel ist, um seine Interessen durchzusetzen und in der jede Seite ihre Mordknechte zu Helden hochstilisiert. Was ist da treffender als diese Statussymbole der Macht (siehe B52) provokativ zu plakatieren. Wer unsere Texte kennt, weiß das, denke ich, schon richtig einzuordnen.

Andi: Kommen wir mal zu den Songs an sich. Ihr wart ja schon immer eine Band, die die politischen Missstände in der BRD angeprangert hat, auf Helden allerdings kommt es mir so vor, als ob man das "Feindbild" - damals wohl die konservative CDU- Regierung - nicht mehr so genau lokalisieren kann. Früher war die Aussage in z.B. Glashaus, Schweine oder Schöne Neue Welt klar definiert, auf Helden klingt das alles "globaler" und allumfassender. Wie ist da eure Sicht?
Oliver:
Zunächst einmal sollte man die Songs in der Regel nicht (nur) ganz so im wörtlichen Sinn sehen, wie sie auf den ersten Blick vielleicht scheinen. Nimm z.B. den Kanther Song vom Blut Album. Wir verwenden den Namen Kanther, aber es geht letztlich nicht um diese Person. Ich kenne den Typ ja nun nicht. Wir haben den Namen als einen Art Aufhänger benutzt, weil er für eine bestimmte und weit verbreitete Einstellung stand, bzw. viele Leute die gleichen Dinge mit diesem Namen verbunden haben. Man kann sich also einfach was darunter vorstellen, weil einem vieles in den Sinn kommt, wenn man den Namen Kanther hört, obwohl es im Song eigentlich um Denkmuster geht.
Das mit dem Feindbild sehe ich zum Teil auch so. Allerdings war es schon vor zehn Jahren so, dass man das Gefühl hatte, die Dinge immer weniger personifizieren zu können. Vielleicht war das aber auch schon immer so, es wird nur mit der Zeit immer deutlicher, bzw. gibt man sich immer weniger Mühe es zu kaschieren, weil man sieht, dass man ja mit allem eigentlich durchkommt. Das glaube ich eigentlich am ehesten. Denn auch etwa die Kohl-Regierung war ja letztlich nur ein Symbol, an dem man gut ablesen konnte, wie Mechanismen funktionieren. Diese ganzen Gesichter sind ja im Endeffekt austauschbar. Speziell eine Person wie Kohl hat es einem da natürlich schon verdammt leicht gemacht eine Zielscheibe zu haben, auf die man alles Mögliche projizieren- an der man alles Mögliche deutlich machen konnte. Das war auch der Hintergrund zu Songs wie Glashaus, Schweine etc. .
Wenn die Texte auf Helden, wie du sagst, "globaler" klingen, dann stimme ich dir zu. Man will nicht immer die gleichen Bilder verwenden, natürlich fließen immer Sachen in Texte ein, die gerade jetzt passieren. Ich denke dass jeder Text, egal wer ihn schreibt und wofür, immer irgendwo den Moment aufgreift, in dem er entsteht.
Rainer: Schon möglich, dass die Texte auf Helden nicht mehr so auf eine Klientel abzielen sondern etwas globaler sind als auf unseren vorigen Alben. Ich für meinen Teil finde das eigentlich ganz gut. Ständig irgendwelche Sündenböcke beim Namen zu nennen (wir kennen sie doch sowieso alle) mündet doch nur in stumpfe Parolenschreierei, und das machen schon genügend andere, einschlägig bekannte Musikerkollegen mehr oder weniger gut. In diese Kerbe zu hauen war nie unsere Absicht. Deswegen habe ich es immer möglichst vermieden allzu klare politische Aussagen pro oder kontra einer bestimmten Ideologie zu machen und dabei auch noch Namen zu nennen. Für Olli, glaube ich, sind Personen wie Kanther zum Beispiel mehr ein der Öffentlichkeit bekannter Platzhalter für eine bestimmte Mentalität, die er im entsprechenden Text ins Visier genommen hat. Wie auch immer, wir wissen alle, dass es, egal welche Regierung hier gerade am Drücker sitzt eine Menge Defizite in diesem Land gibt. Der momentanen fehlt es wahrscheinlich nur an entsprechenden Charakteren, die sich als ein solches Beispiel eignen.

Andi: Mit Macht, Willkür, Größenwahn, White House und Gleichmaß holt ihr zum großen Rundumschlag gegen alles und jeden auf der Politikbühne aus. Wird man es nach all den Jahren nicht leid, immer wieder und wieder solche Lieder schreiben zu müssen? Würde man manchmal nicht lieber einfach nur ein großes "Leck mich!" herausbrüllen und sich über die "Dummheit" der anderen amüsieren ? Man kann ja irgendwie kritisieren und aufzeigen wie man will, es hört ja eh keiner zu.
Oliver:
Ich finde, es kommt darauf an, welchen Anspruch du an deine Songs hast. Es wäre natürlich vollkommen naiv zu glauben, du könntest irgendwas verändern indem du einfach ein Liedchen machst, und das verbreitest du dann unter Leuten, die wahrscheinlich ohnehin zumindest grob dasselbe zu der Sache denken und empfinden wie du selbst. Das wäre doch kompletter Schwachsinn. Um da die Chance zu haben auch nur kleinste Akzente setzen zu können müsste man Platten in Millionenhöhe verkaufen und vor allem das Zeug bewusst da verbreiten, wo du neue Leute überzeugen musst. Das können vielleicht Bands von der Größenordnung Ärzte, Hosen ein Stück weit tun, was sie - glaube ich - auch versuchen und wofür sie meinen Respekt haben. Du siehst schon, wir versuchen uns auf jedem Weg doch noch auf die großen Bühnen zu schleimen! (Ich sehe..hehe – Anm.d.Verf.) Ich denke, man darf da sein eigenes Tun einfach nicht zu wichtig nehmen, denn das was wir tun ist doch letztlich nichts anderes, als dass wir das Recht auf Meinungsfreiheit – ha,ha – wahrnehmen, wovon ich denke, dass man es tun sollte und das wir dies in begrenztem Rahmen in der Öffentlichkeit tun. Nicht mehr und nicht weniger.
Rainer: Also erstens zwingt uns keiner dazu solche Texte zu machen, das ist eher unser Weg sich unserem Ärger Luft zu machen. Außerdem sind diese Rundumschläge wahrscheinlich das, was wir am besten können. Du wirst es nicht glauben aber wir sind eigentlich ein ganz lustiger Haufen und wir unterhalten uns, wenn wir uns denn mal sehen, kaum über Politik aber irgendwie, finde ich, gibt es nur sehr wenige Bands die guten Funpunk machen oder gute Liebeslieder oder, oder, oder. Wir haben sicher, jeder für sich, auch schon so was probiert, waren dann aber mit den Resultaten nie so zufrieden, dass man sie auf die Menschheit hätte loslassen können. Vielleicht schaffen wir das ja irgendwann noch mal, wer weiß. Im Übrigen glaube ich nicht, dass das, was wir da so von uns geben keinen mehr interessiert, auch wenn man so manchen – auch politischen Entwicklungen gewissermaßen ohnmächtig gegenübersteht. Es wäre falsch, alles kommentarlos über sich ergehen zu lassen. Irgendein Schlaukopf hat mal gesagt: “Wer nichts dagegen sagt, unterstützt das, was gerade am laufen ist!“ Und mit totaler Gleichgültigkeit hat man ja gerade in Deutschland bittere Erfahrung gemacht.

Andi: In Krieg bekommt die Medienlandschaft ihr Fett weg, allerdings klingt der Text eher hoffnungslos als kämpferisch. Habt ihr die Hoffnung komplett aufgegeben?
Oliver:
Zuerst muss man mal klarstellen, dass KAPITULATION B.O.N.N. Texte von verschiedenen Leuten stammen. Der Krieg Text etwa ist von Sander, der sonst das elektrische Telefon spielt. Wenn du fragst, ob wir "die Hoffnung aufgegeben" haben, dann ist das natürlich eine sehr pauschale Formulierung. Ich meine, kein Mensch ist ja nun so gleichförmig, dass er sich immer in der gleichen Gefühlslage befindet, oder was auch immer. Ein Song-Text ist immer eine Momentaufnahme, und da gehst du natürlich durch immer wieder durch alle möglichen Höhen und Tiefen ... sehr philosophisch, oder?! Das kannst du übrigens schon immer bei KAPITULATION- Texten sehen. Die waren noch nie gleichförmig. Nimm den Pazifist, der immerhin schon 14 Jahre auf dem Buckel hat. Da hast du all die verschiedenen Dinge in diesem einen Text. „Manchmal möcht ich Bomben legen“... „Manchmal könnt' ich mir die Kugel geben“... „Hat es noch Sinn weiter zumachen und gegen Wände zu schreien“...
Die Abrechnung dagegen etwa war recht aggressiv, während schon auf dem ersten Album ein Song war, der Scheißegal heißt und in dem es heißt "Es ist egal wohin du rennst. Es ist egal, weil's dir nix bringt. Es ist scheißegal wie schnell du bist, weil die Flucht dir nie gelingt." Du siehst, es gab da schon immer beide Pole und ganz viel dazwischen.
Rainer: Manche Stücke auf Helden sollte man nicht in der Totale betrachten. Sie drücken vielmehr momentane Stimmungen aus. Dazu gehört auch, dass man frustriert sein kann. Von einer Deutschpunk-Band (ich hasse diesen Begriff!) erwartet der Zuhörer wahrscheinlich, dass immer alles sehr kämpferisch zu klingen hat - ich finde das verlogen und klischeehaft. Und ich glaube, dass viele sich mehr mit uns identifizieren können, weil sie merken, sie sind nicht die einzigen, die manchmal scheiße drauf sind!

Andi: Mit Überlebt.Erfahrungswerte, Wohlstandskinder und Gegen den Wind schießt ihr auch gegen ca. 98% der Gesellschaft. Ich persönlich habe mir erst letztens die Frage gestellt, warum diese ganzen Fascho- Idioten so stolz auf dieses Land sind und sich so um "Ihre" Deutsche Gesellschaft sorgen. Wenn ich diese ganzen Auswüchse der letzten Zeit hier sehe - Super/Popstars, Arabella, GZSZ, Dieter Bohlen, Küblböck, Big Brother, Gerhard Schröder... auf sowas soll/kann man stolz sein ? Wieder mal ein Zeichen für die unheimliche Intelligenz besagter Hohlbirnen..
Oliver:
Wer selber nichts hat worauf er stolz sein kann, der sucht sich halt ein Ersatzego. Und in der Regel ist man da wohl dann nicht so wählerisch ...
Rainer: Es ist sehr einfach, die bereits beschriebenen Sündenböcke, die im Rampenlicht stehen, auszumachen und an den Pranger zu stellen, deshalb wird es so häufig getan. Gehen wir nicht alle zu Aldi oder WalMart oder was weiß ich wem und kaufen den billigsten Kaffee im Sonderangebot und sind damit, natürlich ein paar schöne Niveaustufen niedriger, auch nicht wirklich so viel anständiger? Warum sollte man also keine Lieder über diese von dir genannten 98 % Durchschnittsmenschen machen? Es ist oft viel interessanter die Einzelheiten des ganz alltäglichen Wahnsinns zu beobachten, weil sie eben schon so alltäglich sind. Wenn eines dieser Arschlöcher (2 %) mal wieder Fahrtkosten abrechnet, wo keine sind oder umsonst in Urlaub fliegt oder sich anders schmieren lässt, dann sind natürlich, für eine kurze Zeit zumindest, alle Blicke darauf gerichtet - und das ist auch ok. Aber auch hier gilt für KAPITULATION B.O.N.N.: Es geht uns nicht darum, unseren vermeintlich wichtigen Senf zu irgendwelchen aktuellen Eklats dazuzugeben. Dann bräuchtest du deine Lieder 2 Jahre später nicht mehr spielen, weil bis dahin schon so viel Neues passiert ist. Die Erwähnung solcher konkreten Dinge wie zum Beispiel in Glashaus (Kohl/Transrapid) ist für uns eher ein Aufhänger um einen bestimmten allgemeineren Umstand zu beschreiben.

Andi: Nicht ganz ernst gemeint: Was habt ihr eigentlich gegen Fussball, Ficken, Alkohol (aus Wohlstandskinder) ? Es gibt bedeutend Schlimmeres...
Rainer:
Ganz ernst gemeint: Gar nichts! Im Gegenteil, und mehr noch: wir fahren auch gerne in schnellen Autos durch die Gegend und machen gerne Urlaub und so weiter. Letzten Endes gehören wir ja auch zu den bereits erwähnten 98 %. Ich finde, es ist selbst bei den besten Vorsätzen, die man hat, gar nicht so leicht, sich der ganzen Eindrücke, die du in der vorigen Frage genannt hast, zu erwehren. Natürlich sind auch wir Kinder dieser Konsumgesellschaft und freuen uns an den Errungenschaften des kleinen Mannes, mit denen man uns sicher irgendwo auch ruhigstellt und davon abhält gegen die Mächtigen aufzubegehren - man hat halt auch was zu verlieren - und wenn es nicht viel ist. Man sollte bei KAPITULATION B.O.N.N. übrigens bei all diesen „Rundumschlägen“ nie das gewisse Maß an Selbstironie unterschätzen (siehe z.B. auch Arschtritt oder Revolution oder Der Neue Weg oder...). Der Unterschied zwischen diesen WOHLSTANDSKINDERN und Leuten wie uns ist vielleicht nur, dass wir wenigstens manchmal darüber nachdenken, ob das, was uns immer so selbstverständlich erscheint auch wirklich so ist.

Andi: Ihr kommt ja aus der Punkszene, die Mitte der 90er - in meinen Augen - ihren absoluten Höhepunkt hatte. Gerade durch Achim und sein A.M.-Music konnte ein Großteil der Szenebands sich auch einem breiteren Publikum präsentieren. Trotzdem muss ich - nachdem mir die aktuelle Schlachtrufe-CD in die Hände kam - doch bemängeln, dass sich die Themen allesamt wiederholen. Dreht sich- eurer Meinung nach - die Szene im Kreis, hat sie ihre Kreativität verloren ?
Oliver:
Das ist eine scheiß-schwere Frage. Zumindest dann, wenn man sie in ein paar Sätzen beantworten soll. Fest steht, dass es etwa KAPITULATION B.O.N.N. ohne die Punkszene nie gegeben hätte. Und mir fällt keine vergleichbare Szene, Sub-Kultur, oder wie immer man so etwas noch nennen kann, ein, die es über einen so langen Zeitraum geschafft hat, sich nicht nur zu erhalten, sondern wirklich eine eigene Infrastruktur abseits der großen Industrie auf die Beine zu stellen. Aber mit den Begriffen ist das eigentlich eine saublöde Sache. Innerhalb dessen, was ich jetzt als Punkszene bezeichne, gibt es, wie ich finde, so etwas wie eine selbsternannte Szene. Eine Menge Leute, die meinen sehr genau festlegen zu müssen, was erlaubt ist und was nicht, was akzeptabel ist und was nicht. Mit diesem Teil der Szene hatten wir immer Probleme und sie konnten umgekehrt mit uns häufig nichts anfangen. Ich hab' noch nie verstehen können, welchen Sinn es macht sich selbst Einschränkungen aufzuerlegen und seinem eigenen Tun ganz enge Grenzen zu setzen, gerade wenn man gleichzeitig mit dem großen "A" auf der Jacke herumläuft. Das ist doch albern! Aber es gibt leider doch eine Menge Leute, die scheinbar nur dann mit Dingen klarkommen, wenn diese in einem ganz engen und überschaubaren Rahmen gesteckt sind. Auch wenn das jetzt arrogant klingt, aber so etwas kann ich eigentlich nur bemitleiden. Ich denke, dass häufig aber auch Angst eine ganz große Rolle spielt. Angst davor unterwandert oder ausgehöhlt zu werden, wenn man irgendwas Neues in sein Hirn lässt. Ich kann das zwar irgendwo nachvollziehen-, halte es aber für Unfug. In jedem Fall steht das was einem dadurch entgeht, oder was man damit lähmt in keinem Verhältnis zu dem, was man vielleicht dadurch verhindert. Du gehst ja auch gelegentlich über die Strasse, obwohl du weißt, dass dich dabei vielleicht ein LKW platt macht.
Von daher würde ich sagen, dass die Punkszene eine ganze Menge auf die Beine gestellt hat, dass sie aber noch viel mehr zustande bringen könnte, wenn sie sich nicht ständig selber so viel verbieten würde, wodurch sie sich viele Möglichkeiten nimmt.
Als wir anfingen, so Ende der Achtziger, war die Punkszene noch ein recht breites Feld, so habe ich das zumindest in Erinnerung. Damals gab's hier bei uns z.B. regelmäßige Konzis, die sich "Independent Day" nannten. Das fing so am späten Nachmittag an und ging bis irgendwann. Da traten Deutschpunk Bands, Elektro Zeug, Gothic Leute, Hardcore Bands alle bunt durcheinander auf. Und es war eigentlich immer volles Haus angesagt. Also eine ganz gewaltige Vielfalt von verschiedenem Kram. Dann kam die Wiedervereinigung und dadurch bekamen wir im Westen erstmals was mit von Bands wie ZusammRottung, Schleimkeim, Fuckin' Faces etc., die alle ihre ganz eigenen Erfahrungen in den Punk mitbrachten. Dann kamen Bands auf wie But Alive oder Dritte Wahl, die keine Scheu davor hatten auch über den eigenen Tellerrand zu blicken und neue Dinge auszuprobieren. Und ich denke, man darf auch nicht vergessen, dass so Anfang bis Mitte der Neunziger härtere Musik allgemein wieder mehr angesagt war, so dass auch eine Menge ganz normaler Kids mit am Start waren, die mit der Punk- Kultur eigentlich nicht unbedingt viel zu tun hatten, sondern einfach auf die Musik standen. So Ende der Neunziger schien sich das alles dann irgendwie tot zu laufen. Alles war sehr gleichförmig. Im Moment habe ich aber das Gefühl, dass sich doch das Ein- oder Andere wieder tun könnte. Das Publikum bei unseren Konzerten scheint mir recht gemischt zu sein. Überraschend viele junge Leute, so zwischen 15 und 20. Aber es sind schon auch noch eine Menge Gesichter da, die man schon mal irgendwo gesehen hat..... .
Rainer: Wir sind den meisten zwar durch die Schlachtrufe BRD-Reihe bekannt geworden aber eigentlich haben wir nie so 100 %ig in die Deutschpunk-Schiene reingepasst. Wir haben halt zu dieser Zeit angefangen unsere Musik (Olli würde sagen B.o.N.n.-Rock) zu machen und da gibt es natürlich schon eine gewisse Schnittmenge. Da ich diese Entwicklung nicht so richtig beobachte, kann ich dir leider nicht wirklich sagen, ob die Szene nicht mehr kreativ ist. Ich denke halt, auch in der Punkszene gibt es viele Dogmata, die sich in den Köpfen festgefressen haben. Auch hier geht man teilweise sehr intolerant mit selbstkritischen oder anders denkenden Leuten um - und dabei war Punk eigentlich immer die Freiheit so auszusehen und sich so zu verhalten wie man will. Bei uns in Deutschland hat sich für die Musik Punk eben manifestiert, dass man gefälligst über die Regierung zu schimpfen hat und möglichst aggressiv klingt. Wen wundert es da, dass sich vieles wiederholt (siehe Leck Mich!). Schwacher Trost: Das ist kein szenetypisches Phänomen; hör dir mal die ganze Scheiße an, die den lieben langen Tag im Radio dudelt - die bringen auch nichts wirklich Neues.

Andi: Ihr hab dieses Jahr schon ein paar Gigs gehabt, woraus besteht euer aktuelles Publikum eigentlich ?
Rainer:
So viele waren es gar nicht. Genau genommen nur ein einziger, der war in Luzern und hat uns allen riesig Spaß gemacht. Ich war erstaunt und positiv überrascht, dass so viele Leute die Texte der neuen Platte, die ja nun noch nicht ewig draußen ist, schon auswendig kannten. Interessant war auch, dass so viele Jungpunker da waren. Schließlich hat man uns seit der Scheibe Blut totgeglaubt und das ist immerhin ein paar schöne Jährchen her - da waren viele von den Jungs und Mädels höchstens 10 Jahre alt. Wir „alten Knacker“ (ehrlich, wir fühlen uns nicht so) haben also anscheinend was zu erzählen, was auch diese Generation noch interessiert - das war ein gutes Gefühl. Das merken wir auch durch die Reaktionen auf Helden, die überwiegend sehr positiv sind. Ich meine, wie viele Bands, die nach langer Zeit wieder mal was aufnehmen werden in der Luft zerfetzt?

Andi: Wie sehen eure weiteren Pläne aus ? Wird man die KAPITULATION wieder öfters zu sehen bekommen ?
Rainer:
Kurze Antwort: Unbedingt! Wie ich schon erwähnt habe, hat das Konzert in der Schweiz uns Lust auf mehr gemacht. Wir waren sicher nie eine Band die monatelang durch die Lande tingelt und das werden wir auch jetzt nicht werden. Ein Gig von KAPITULATION B.O.N.N. wird immer eine seltene Abwechslung im Programm deines Lieblingsclubs sein aber es gibt eine Menge Anfragen von Veranstaltern und wir werden möglichst vielen davon nachkommen. Das sind wir uns selbst und den Leuten, die uns hören wollen auch schuldig!

Ein wunderbares Schlusswort einer verdammt symphatischen Band, die man hoffentlich bald auch im Club seines Vertrauens live bewundern kann.
Checkt unbedingt die Homepage ab, hier kriegt ihr wirklich jede Info die man so braucht, zudem noch nette Goodies wie mp3s, kleine Filmchen und auch die Möglichkeit, die neue CD zu bestellen.
In diesem Sinne, Gruß nach Gießen.

 

 

10/2004 © Andi Bauer • Kapitulation Bonn