Hurra! Endlich hatte ich nun die Gelegenheit, mal mit Tilo
Wolff zu plaudern...und gleich bei meinem ersten Interview mit
ihm durfte ich, aufgrund meiner GRANDIOSEN Vorbereitung *hust*
schon bei Frage 2 ordentlich einfahren...anyways selber Schuld,
doch ich denke der Rest des Gespräches war jedenfalls sehr informativ,
aber - lest selbst!
Mephisto:
Eure neue Platte ist ja im Vergleich zu "Stille" oder auch zu
"Elodia" doch etwas ruhiger geworden, habt ihr vor diesen Stil
beizubehalten, oder werdet ihr wieder etwas rockiger werden?
Tilo Wolff: Das ganze finde ich ziemlich lustig - wir haben doch
schon einige Interviews gegeben und 50% der Leute meinen, die
neue CD sei viel ruhiger und die anderen 50% meinen, es wäre das
härteste, das wir bisher gemacht haben, es gibt da also doch sehr
große Unterschiede im Empfinden. Ich persönlich sehe das Album
weder als super-hart oder super-soft an, sondern für mich ist
es eine perfekte Symbiose aus Rock und Klassik. Wie es weitergehen
wird, wird die Zeit zeigen.
M:
Und warum beschäftigt ihr euch in letzter Zeit soviel mit zwischenmenschlichen
Thematiken? Seit Elodia gibt es ja sehr viel in dieser Richtung,
während "Auf der Straße der Zeit" wohl doch eher philosophisches
Gedankengut war...
T: Also da muss ich dir widersprechen, denn die Hauptaspekte von
"Fassade" beziehen sich ja auf die moderne Gesellschaft und unsere
Sichtweisen dazu und haben eigentlich wenig mit persönlichen Beziehungen
zu tun. Die einzige Verbindung zwischen dem Album und den zwischenmenschlichen
Aspekten ist das Stück "Liebesspiel".
M:
Es gibt mittlerweile einige Bands, die Metal mit Klassik verbinden
- welche davon gefällt dir am Besten, mal abgesehen von LACRIMOSA?
T: Hm, das kann ich gar nicht wirklich sagen ... ich hör eigentlich
nicht viele Bands aus dem Genre, vielleicht ist das auch der Grund,
warum wir gerade die Musik machen, denn in dem Bereich gibt es
nicht viel, das mir wirklich gefällt.
M:
Wie sieht es mit THERION aus?
T: Da muss ich leider passen, gefällt mir nicht so. Er hat zwar
wirklich ein paar Klasse Songs geschrieben, aber im Großen und
Ganzen mag ich seine Art, wie er mit dem Orchester zusammenarbeitet
nicht, das ist eine ganz andere Liga und er denkt wahrscheinlich
ähnlich über LACRIMOSA. Sonst fällt mir da nichts ein..
M:
Hörst du auch Bands abseits des Gothics, oder bleibst du deinem
Genre treu?
T: Querbeet, angefangen von den Gothic Rock Heros von früher,
wie JOY DIVISION, außerdem bin ich ein sehr großer DAVID BOWIE
Fan.
M:
Auch etwas härtere Sachen?
T: Inzwischen etwas weniger, Mitte/Anfang der 90er habe ich viel
Death Metal gehört, das hat jetzt etwas nachgelassen, es gibt
aber nach wie vor einige Bands in dem Bereich, die mir sehr gut
gefallen, wie z.B. GOREFEST oder BENEDICTION. Ich höre aber auch
Sachen wie ANOUK oder ALANIS MORISSETTE, also doch sehr weitgefächert.
M:
Arbeitest du nebenher manchmal als Gastmusiker? Mir ist zum Beispiel
aufgefallen, daß du auf einer CD von DREAMS OF SANITY gesungen
hast und auch bei einem alten Werk von ILLUMINATE in den Credits
aufscheinst.
T: Jein, bei ILLUMINATE da habe ich nur ein paar Impulse für einen
Song gegeben.
M: Und dann warst du auch noch beim "Endorama" Album von KREATOR
mit dabei. Wie ist es dazu gekommen?
T: Naja, das ist eigentlich immer ziemlich einfach, wenn die Bands
mir gefallen. Und klar, DREAMS OF SANITY sind eine der hervorragensten
Bands, KREATOR sind auch Klasse, und wenn sie dann auf mich zukommen
und mir anbieten mitzumachen und die Songs mir gefallen, dann
bin ich eben dabei.
M: Wie siehst du als einer, der sich doch relativ viel mit
der Menschheit befasst, die momentane politische Situation, wo
eine technologisierte US Armee in Afghanistan einmarschiert, das
Land zerbombt, und dabei Menschenopfer auf sich nimmt.
T: Das ist eigentlich ein langes Thema und ich versuche es kurz
zu fassen. Ich kann die amerikanische Außenpolitik überhaupt nicht
nachvollziehen, dass sie sich einerseits als Weltpolizei aufspielen,
wenn es ihnen wirtschaftlich in den Kram passt und wenn es ihnen
nicht in den Kram passt, dann tun sie so, als ob sie nicht dazugehören
würden. Und hier ist es genauso, ich denke, dass dieser Krieg
gegen Afghanistan, der uns ja hier als Krieg gegen den Terrorismus
verkauft wird, absoluter Wahnsinn ist und eigentlich zu keiner
Lösung führen kann - überhaupt nicht. Im Gegenteil - er schürt
noch mehr Aggressionen bei der Gegenseite, die beiden Welten stacheln
sich gegeneinander auf. Es ist auch interessant, wenn man die
westliche Berichterstattung ansieht, wie eindimensional da über
gewisse Dinge Bericht erstattet wird. Neulich hat mich mein Gitarrist
gefragt, was ich tun würde, wenn ich entscheiden könnte - wenn
ich wirklich entscheiden könnte, also der König von Amerika wäre
oder so, dann würde ich folgendes sagen: "Nummer Eins: es tut
uns leid, wir haben eine Scheiß Politik - Nummer Zwei: Wir ziehen
unsere Truppen aus der ganzen Welt zurück und kümmern uns nur
noch um unseren Kram." Darauf hat er gemeint, womit er Recht hatte
"Wenn sie das damals vor 50 Jahren gemacht hätten, dann würden
wir hier wahrscheinlich unter einem Nazi Regime leben". Es ist
schwer zu sagen, was richtig und was falsch ist, aber ich kann
sagen, dass die Art, in der Amerika momentan Krieg gegen Afghanistan
führt, falsch ist.
M:
Nun eine Frage, die in den Bereich "Medienmanipulation" fällt
- was denkst du, ist es institutionalisiert, dass die Gehirne
der Menschen von Radio und TV dermaßen mit belanglosen Müll zugeschüttet
werden, dass sie die Fähigkeit verlieren, sich selbst ein Bild
von etwas zu machen? Kann es ein Ziel der Industrie sein, sich
einfach eine Masse an Konsumenten ohne eigene Meinung zu beschaffen
oder ist das einfach eine Laune der Zeit, dass Sprache, Musik
usw. in der Unterhaltungsindustrie immer primitiver und oberflächlicher
werden?
T: Ich glaube nicht an eine Verschwörungstheorie - es ist ganz
natürlich: Angebot und Nachfrage. Oder sagen wir es so: von Nachfrage
und Angebot - die Menschen wollen ja offensichtlich nichts anderes.
Wenn wir jetzt über das Fernsehen reden: es gibt einen Haufen
an guten Fernsehsendern, auf denen Geschichtssendungen laufen
oder Naturprogramme und jedes Mal, wenn man einschaltet, sieht
man irgendwelche Lebewesen, von denen man sich niemals erträumen
hätte lassen, dass sie existieren und daneben laufen auf den privaten
Sendern die Talkshows, da kann man doch erwarten, wer da mehr
Einschaltquoten hat, die Leute wollen ja nichts anderes sehen,
es ist eine gewisse Sättigung da. Es gibt so viele Möglichkeiten
sich zu unterhalten, ich habe früher mit Lego, Playmobil oder
Wikingerausrüstungen gespielt und da hat man Straßen gemalt und
versucht richtige Spiele zu erfinden. Heutzutage ist alles da
und die Kinder spielen etwas, wobei sie überhaupt keine Chance
haben ihre Phantasie miteinzubringen. Ich denke, es ist eine ganz
natürliche Sache, dass der Mensch immer versucht den einfachsten
Weg zu gehen. Und keiner von uns ist davon befreit, ich kenne
da keinen der sich nicht hin und wieder mal einen Hollywood streifen
im Kino ansieht.
M:
Ich glaube, manche Leute lassen sich ganz einfach berieseln, ohne
sich näher damit auseinanderzusetzen, was sie da eigentlich hören.
T: Ja, denn eine Auseinandersetzung heißt ja, dass man sich mit
gewissen Dingen auseinandersetzen muss, und das ist ja das Schlimmste,
das einem Menschen heutzutage passieren kann.
M:
Wenn wir gerade über Kinofilme reden - was war da dein Lieblingsfilm
in letzter Zeit oder gehst du nie ins Kino?
T: Ich bin eigentlich ein Filmfetischist, komme aber viel zu selten
ins Kino. Der letzte Film, der mich beeindruckt hat, war "Idioten",
aber das ist schon ziemlich lange her.
M:
Hast du das Remake vom Planet der Affen schon gesehen?
T: Nein, noch nicht - der einzige Grund, warum ich mir den Film
anschauen würde, wäre wegen Estella Warren, aber ansonsten interessiert
er mich nicht.
M:
Ich glaube aber, dass dieser Film sehr unterbewertet ist, da mehr
dahintersteckt, als was man auf den ersten Blick sehen würde.
Alle meinen, dass Mark Wahlberg den Helden so schlecht verkörpert
hat, aber ich glaube, dass das vom Regisseur bewusst so gemacht
wurde, der ihn als Karikatur des typisch amerikanischen Helden
rüberkommen lassen wollte...
T: Das mag schon richtig sein, Tim Burton ist ja nicht unbedingt
der Fan von strahlenden Helden.
M:
Für mich war es ja ziemlich suspekt, wie er dann am Schluß gehandelt
hat...
T:
Ich hab da viele unterschiedliche Meinungen dazu gehört und werde
ihn mir wahrscheinlich selber mal anschauen.
M:
Es ist irgendwie wie eine totale Karikatur für mich auf die amerikanische
Gesellschaft, eben diese Affengesellschaft - eine ziemliche Persiflage.
Nun, eine Frage habe ich noch: Wie stehst du dazu, dass sowohl
die Metal als auch die Gothic Szene einen ziemlichen Zulauf von
Teenagern haben, die das Ganze eher als Rebellion sehen, als dass
sie sich mit der Thematik wirklich auseinander setzen würden?
Siehst du das als Chance, oder als Gefahr, dass die gesamte Szene
von außen nur mehr als Pubertätslaune abgehakt wird?
T:
Höre ich da eine gewisse Arroganz dahinter? lacht Es wäre doch
fatal jemandem vorzuschreiben, was er hören sollte..
M:
Ich meine jetzt nicht, dass man jemandem etwas verbieten sollte,
sondern eher, dass es eben so viele Menschen gibt, die das Ganze
nicht ernst nehmen...
T: Na sind wir mal ehrlich, vor ein paar Jahren waren wir selber
die 15-jährigen und haben damals gegen unsere Eltern rebelliert,
und sämtliche Jugendbewegungen haben uns selber auch zu dem gebracht,
wo wir jetzt stehen. Wenn man dann älter wird, identifiziert man
sich mehr damit, es wird dann zum Teil des eigenen Gedankenguts,
dann gibt es manche Menschen, die das Ganze wie in der Armee betrachten,
da gibt es dann nur mehr diese Szene und nur mehr diese Musik,
und andere, die sich etwas aus dem Ganzen rausnehmen und dadurch
ihre Persönlichkeit entwickeln. Wenn jemand jung reinkommt, dann
ist er noch ein bisschen unsicher und lässt sich durch Oberflächlichkeiten
leicht anziehen, bei der Gruftiszene ist es dann z.B. so, dass
es darum geht, wer am extremsten gestylt ist und bei Metallern
vielleicht, wer die längste Matte hat, aber das ist irgendwie
natürlich und normal. Wenn die junge Generation nicht nachwachsen
würde, dann würden wir in 20 Jahren dastehen, mit den paar Haaren
auf dem Kopf, die wir noch haben, und versuchen die Metalfahne
hochzuhalten. Ich habe also überhaupt kein Problem damit, viel
wichtiger ist es, dass die Leute, die sich bereits in der Szene
bewegen, die jungen Leute, die dazukommen, auch entsprechend bei
der Hand nehmen und sie nicht ausstoßen, weil nur so können die
jungen Leute lernen, was Sache ist.
M:
Ich hab eigentlich eher die gemeint, die immer nur gerade das
hören, was ihnen gerade als cool erscheint...
T:
Ja gut, es soll jeder machen, was er will. Ich habe auf jeden
Fall kein Problem damit, wenn jemand zu mir kommt und mir erzählt:
"Ich habe mich heute schwarz angezogen, weil ich auf ein Gruftikonzert
gehe, und morgen gehe ich zu James Brown und da habe ich eine
Lederhose an". Wenn ich mich mit ihm über die Texte unterhalten
kann, dann ist mir das lieber, als einer, der meint "Ey, Tilo,
dein Lippenstift war heute nicht schwarz".
M:
So mein ich das auch nicht...
T: Ja, das ist mir schon klar, es mag genügend Leute geben, die
jetzt in die Szene strömen und in ein paar Jahren wieder weg sind,
aber ein paar werden da übrigbleiben und durch die wird sich die
Szene weiterentwickeln.
M:
Und nun noch eine kulinarische Frage - was kommt bei dir auf den
Tisch? Isst du Fleisch oder vegetarisch, haute cuisine oder eher
Fast Food?
T:
Also auf keinen Fall vegetarisch und ansonsten gehe ich sehr gerne
zu McDonalds, aber lieber gehe ich natürlich in ein gutes Restaurant
und trinke zum Essen ein Glas Wein, also denke ich doch ich bin
ein .. ähm .. "Kulinareur".
M:
Als was siehst du eigentlich die Bibel?
T: Als das wichtigste Manifestum, dass der Menschheit zu Verfügung
gestellt wurde. Als kleines Beispiel: es gibt diese 10 Gebote,
die heutzutage wahnsinnig altmodisch aussehen und wenn man die
beherzigen würde, dann brächte man keine Polizei und keine Gesetze
Ich finde es unglaublich, wie viele Menschen die Möglichkeit hätten,
sich dieses Buch anzuschauen und daraus zu lernen, und es nicht
tun. Man braucht sich nur die jüngsten Jahre der Menschheitsgeschichte
anschauen und sich die Offenbarung durchlesen und man findet bereits
alles niedergeschrieben. Auf der anderen Seite ist die Bibel alleine
nicht seligmachend, ich selber habe sie zwar nicht gelesen, aber
ich gehe in die Kirche und dort ist ja die Bibel immer Grundlage
des jeweiligen Wortes und wird dementsprechend auch auseinandergenommen.
Die Bibel ist eben eine Art Fundament, aber nur durchs Bibellesen
wird man nicht heilig.
M:
Habt ihr schon mal ein längeres Konzert gespielt als das am Wave
Gotik Treffen in Leipzig, oder war das euer längstes?
T: Ja, das war unser längstes, 1 ¾ Stunden lang oder so, es gab
dann fast eine Schlägerei bei der Zugabe, weil wir nicht auf die
Bühne durften...
M:
Das war echt genial! Willst du unseren Lesern noch ein paar letzte
Worte mitteilen?
T:
Nun, es ist für uns immer wieder schön, durch Österreich zu touren,
denn wie ihr wisst ist ja der Name LACRIMOSA inspiriert von Lacrimosa
von Mozart, und dieser ja mit diesem Land, insbesondere natürlich
mit Salzburg und Wien eng verbunden ist. Das letzte Mal, als ich
hier war, war ich auch auf dem Friedhof und hab das Denkmal gesehen.
In dem Land zu spielen, wo er geliebt und gelebt hat, ist demnach
auch eine sehr starke Atmosphäre für uns, wenn wir spielen und
deshalb freue ich mich jedes mal darauf, nach Österreich zu kommen.
2001,
Martin "Mephisto" Grünberger mit Hilfe von Dunja
Edelman
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