Im Laufe ihrer langjährigen Karriere vollzog LIV KRISTINE einen offensichtlichen Schritt von der Gothic-Ikone zur Pop-Prinzessin. Dabei liegen zwischen ihrem Debüt und dem aktuellen Werk nicht weniger als 8 Jahre. Am 03.03. steht Enter My Religion in den Läden. Grund genug, mal ein wenig nachzuhaken, was sich neben Theater Of Tragedy und Leaves Eyes, Familie und Karriere noch so im Leben leicht vergrippten Norwegerin getan hat. Und überhaupt: Was hat das ganze mit ABBA zu tun?!

Liv Kristine

Ole: Dein neues Album heißt ja Enter My Religion, Dein Debüt Deus Ex Machina. Da liegt die Frage nach einem Sinnzusammenhang direkt nahe, oder?
Liv:
Interessant. Das hat mich noch niemand gefragt. (grinst) - Aber nein, eine Verbindung zwischen den beiden Alben gibt es eigentlich nicht. Es ist vielmehr eine Entwicklung. Beim ersten Album war ich Zwanzig-und-irgendwas. Da gab es Produzenten und Texter, die mir erzählen wollten, was ich zu singen hatte und wie ich’s zu singen hatte. Hinter Enter My Religion stecke ich mit meiner ganzen Persönlichkeit.

Ole: 8 Jahre sind eine lange Zeit. Warum hast Du so lange solistisch nichts von Dir hören lassen?
Liv:
Ich hab leider viel zu viel Zeit vor Gericht verbracht. Dabei ging es hauptsächlich um so Fragen, wer was verwerten darf und so weiter.

Ole: Wie kam es dann zu dem Album-Titel?
Liv:
Religion ist für mich hier eine Bezeichnung für alles, woran ich glaube. Das Album ist in erster Linie als Einladung in meine persönliche Welt zu verstehen, an meinen Träumen und Hoffnungen teilzuhaben.

Ole: Aber, es fällt schon eine gewissen Orientierung an religiösen Begriffen auf: angefangen bei den Albumtiteln bis zum Songtitel wie Revelation (Offenbarung). Wie steht es mit Deinem Verhältnis zur Kirche? Bist Du gläubig?
Liv:
Natürlich glaube ich an etwas. Aber nicht so, wie es die Kirche gern hätte. Mein Mann und ich sind beide aus der Kirche ausgetreten. Ich muss auch nicht zum Glauben in die Kirche gehen. Lieber halte ich mich in der Natur auf. Da bin ich wohl ganz Norwegerin. Das gibt mir Kraft. Diese Kraft ist das Leben selbst!

Ole: Eine Erkenntnis, die Du gewonnen hast, seit Du Mutter bist?
Liv:
Nicht direkt. Ich hab schon in der zweiten Klasse angefangen, Fragen zu stellen. Wir sollten damals malen, wie wir uns Gott vorstellen. Aber für mich hat das nichts mit einem alten Mann auf einem Thron im Himmel zu tun (oder was auch immer).

Ole: Gemessen an früheren Sachen ist Enter My Religion (durchaus im positiven Sinne) vergleichsweise „poppig“, und gar nicht mal so „dark“. Hast Du damit keine Angst, Du könntest damit alte Fans verstören?
Liv:
Ich bin jetzt an einem Punkt meiner Karriere, an der ich machen kann, was ich will. Fans und Plattenfirmen sind bei der Produktion selbst keine so wichtigen Faktoren. Inzwischen habe ich meinen Weg gefunden. Ich muss jetzt zum Glück keine großen Sprünge mehr machen, sondern kann mich ganz auf meine Fähigkeiten und meine Mitmenschen vertrauen. Ich würde mich in dem, was ich tue auch nicht unbedingt auf eine Sache – poppig oder dark – festlegen wollen.

Ole: Die Single aus dem Album heißt Fake A Smile. Du hast an anderer Stelle ja schon ein paar Details vom Set verraten. Wie darf man sich das Video denn nun inhaltlich vorstellen? Ich hab nur gelesen, dass es rattenkalt war...
Liv:
Ja, es war im November bei Minus 10 Grad, und ich hatte nur ein Abendkleid an. Ich hab mich gefühlt wie eine Eiskönigin!

Ole: Bei dem Song hatte ich gleich Bilder von zwei parallel laufenden Geschwindigkeiten im Kopf...
Liv:
Ganz genau! Es heißt ja in dem Song „my world is turning too fast“ – Insofern haben wir auch zwei Welten nebeneinander gestellt, die eine ist eher hektisch und die andere, wenn Du so willst, „geträumt“.

Ole: Lass uns noch über Streets Of Philadelphia reden. Was verbindet Dich mit dem Song?
Liv:
Ich war einfach fasziniert davon, wie Bruce „The Boss“ das singt. Oft sehr undeutlich, mit vielen „blauen“ Noten dabei. Gar nicht so, wie man das schulmäßig lernt. Aber gerade dadurch bekommt das so eine direkte und emotionale Komponente. Damit musste ich mich erstmal auseinandersetzen.

Ole: Magst Du eigentlich System Of A Down?
Liv:
Das ist jetzt nicht so die Musik, die ich im Auto hören würde...

Ole: Ich hab nämlich neulich ein Interview mit Serj Tankian, dem Sänger, gelesen. Er war ein bisschen genervt davon, dass ihn immer alle Leute auf die politischen Seiten in seiner Musik ansprechen. Deshalb ging es auch hauptsächlich um sein Verständnis von Humor. Gibt es Fragen, die Du nicht mehr hören kannst bzw. Dinge, über die Du viel lieber reden würdest?
Liv:
Damals bei Theatre Of Tragedy wurde ich oft gefragt, ob ich denn wirklich so eine depressive Persönlichkeit sei. Dinge wie: „Kannst Du überhaupt lachen?“ Natürlich kann ich das! Ich meine, klar durchlebt jeder gute und nicht so gute Zeiten. Der Rausschmiss von ToT und die Gerichtsverhandlungen waren natürlich scheiße, aber jetzt habe ich dank mit meiner Musik und meiner Familie meinen Weg gefunden.
Insofern würde ich lieber davon erzählen, wie schön das alles ist...

Ole: Gerade in letzter Zeit scheint es ja einen regelrechten Boom von Musik aus Skandinavien zu geben. Angefangen bei den Hives und Mando Diao bis Nephew und Apoptygma Bezerk.
Liv:
Daran ist doch ganz allein ABBA Schuld. (grinst) Gut, die sind Schweden. Aber die erste Norwegerin war dann ja wohl Wenke Myhre. Aber jetzt mal im Ernst: Davon bin ich selbst ein bisschen überrascht, wieviel kreative Musiker da herkommen.

Ole: Gibt es norwegische Musiker, mit denen Du gern zusammenarbeiten würdest?
Liv:
Morten Harket von A-Ha.

Ole: Wie findest Du eigentlich Kari Rueslatten?
Liv:
Ja, die ist großartig! Mit der könnte ich mir eine Zusammenarbeit auch sehr gut vorstellen.

Ole: A propos Kari: ich denke schon, dass The 3rd & The Mortal damals einen Trend ausgelöst haben, der später von The Gathering oder auch Nightwish weitergeführt wurde. Ich meine, Metalbands mit „Heavenly Voice“. Kari meinte mal, sie wurden maßgeblich von Anathema beeinflusst. Wer hat Euch bei Theater Of Tragedy so sehr beeindruckt, dass ihr auf die Idee kamt, männliche Death-Metal-Vocals mit Deiner Stimme zu kombinieren?
Liv:
Hauptsächlich Black Sabbath, Anathema und Paradise Lost.

Ole: Daher auch die beiden Duette mit Nick Holmes?
Liv:
Das war witzig. Wir hatten ja für Paradise Lost As I Die zusammen aufgenommen. Als wir dann mit Leaves Eyes und Paradise Lost auf Tour waren, wurde ich oft gefragt, warum wir das Stück live nicht gebracht haben. Einfache Antwort: Wir hatten keine Zeit, zusammen zu proben. Sonst hätten wir das bestimmt gemacht.
(Im Hintergrund klingelt ein Telefon)…
Oh, das wird schon wieder der nächste Termin sein.

Ole: Na gut, dann danke ich Dir erstmal für das Gespräch und wünsche Dir viel Erfolg mit der CD!
Liv:
Ja, danke. Tschüß und alles Liebe!

 

02/2006 © Ole Arntz • Liv Kristine