Seit ich im Jahre 1999 das erste Mal von dem wundersamen Werk von TENHI berührt worden bin, gehören die düsteren Finnen zu meinen Dauerfavoriten, wenn es um melancholische, akustische Musik geht. Klänge, so an- und schwermütig wie ein nebeliger Herbstmorgen prägten zunächst den Stil der Band, eingebettet in eine Atmosphäre, die den Hörer unweigerlich gefangen nimmt. Das Debüt Kauan gilt daher zu Recht als Klassiker, auch wenn sich Kritiker und Fans schon damals schwer damit getan haben, die Band einem spezifischen Genre zuzuordnen.
Das sollte in Zukunft nicht leichter werden, denn von Album zu Album erweiterten TENHI ihr Spektrum musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten, was sowohl die Einbindung ungewöhnlicher Songstrukturen als vor allem auch die Verwendung traditioneller Schlaginstrumente betrifft. Dabei lässt die Band ihre Fans musikalisch teilhaben an einer fantastischen Entwicklungs- und Entdeckungsreise, sowohl in die unberührte Natur als auch in die eigene Seele, ansonsten hält man sich aber, was Interviews oder Konzerte betrifft, doch deutlich zurück.
Nach der Veröffentlichung des aktuellen Albums Maaäet wurde es somit höchste Zeit, den drei schweigsamen(?) Finnen einige Fragen zu stellen...

Tenhi

Dajana: Bevor es richtig losgeht, möchte ich Euch zu diesem grandiosen Album gratulieren. Maaäet ist für mich jetzt schon eines der Top 10 für das Jahr 2006. Es ist nur so verdammt schwierig in Worte zu kleiden, was dieses Album an Gefühlen und Emotionen auslöst. Ich bräuchte einen Poeten dafür...
Is:
Maaäet ist der vertonte Kreislauf der Jahreszeiten, die wie eine Passage durch finstere Waldgebiete führt, wo nur wenige Lichtstrahlen den duftender Boden berühren und wo Zweige so tief hängen, dass sie Haar und Haut berühren.

Dajana: Mit Maaäet habt Ihr die perfekte Verschmelzung von Natur, Mensch und Geist gefunden. Alles fließt homogen und harmonisch. Wie habt Ihr das geschafft? Gab es dafür ein spezielles Erlebnis/Erfahrung oder hat einer von Euch wochen- bzw. monatelang in der wilden Natur gelebt, um eins mit ihr zu werden?
Tyko:
Wir haben viele unterschiedliche Ansätze ausprobiert, um dem jeweiligen Song das von uns beabsichtigte Gefühl zu verleihen, damit jeder Song dem Album als Gesamtheit dient. Wir haben die Tracks in einem Studio auf dem Lande aufgenommen, wo wir das richtige Feeling bekamen und uns auch voll und ganz auf die Musik konzentrieren konnten.

Michael: Ich würde Eure ersten Veröffentlichungen als sphärisch und doomig bezeichnen, während ich mit jedem neuen Album erdigere Tendenzen ausmachen kann. Seht Ihr das auch so? Ist das eine bewusste (wie wird es dann weitergehen?) oder unbewusste Entwicklung?
Ilmari:
Es ist großartig zu sehen, wie unterschiedlich die Leute auf das Spektrum unserer Alben reagieren. Beispielsweise haben die meisten unserer Fans gesagt, dass Maaäet definitiv das doomigste unserer Alben ist. Ich persönlich finde, dass sich Kauan, Väre und Maaäet sehr deutlich voneinander unterscheiden. Wie sie letztendlich ausfallen, ist nicht geplant. Irgendwie wissen wir alle, wo die Grenzen unserer Musik sind. Und wir haben uns auch nie wirklich darüber unterhalten, wie und wohin sich unsere Musik entwickeln soll.

Dajana: Andererseits hab ich aber auch gelesen, das viele Fans gerade darüber „nörgeln“, das Maaäet zu glatt und zu harmonisch ist. Sie vermissen die Ecken und Kanten der Vorgänger. Überrascht?
Is:
Das ist eine interessante Betrachtungsweise. Ich sehe den Hauptunterschied bei den Arrangements und der Instrumentierung, welche sparsamer und karger ist, als je zuvor. Aber ich denke nicht, dass wir die Ecken und Kanten vermissen. Es ist die gesamte Atmosphäre, die noch düsterer ist und sich daher stimmiger anfühlt. Da ist auch mehr Reife und eine gewisse Sanftheit beim tiefen Gesang. Ich schätze, das Album ist anspruchsvoller, fordernder in der Herangehensweise und könnte jemanden, der es zum ersten Mal hört, leicht in die Irre führen.

Dajana: Eure Schlagzeug- und Rhythmusarbeit erinnert mich mehr an die australischen Aborigines, als einfach nur an schamanische Vibes. Gibt es da eine bestimmte Verbindung zu dieser uralten Kultur?
Tyko:
Ich hab generell Lust auf jede alte Kultur und Geschichte. Es mag den Hauch von Einflüssen verschiedener Kulturen geben, dies ist aber unbeabsichtigt. Wenn ich komponiere, male ich eine Szenerie mit den Werkzeugen, die mir zur Verfügung stehen. Ich denke nicht über deren Ursprung nach. Die Einflüsse kommen aus einer unterbewussten Ebene heraus, die ich nicht zurückverfolgen kann und auch nicht will.

Michael: Es gibt kaum ein Band, die mit ihrer Musik dermaßen bildhafte Assoziationen im Kopf des Hörers hervorzurufen vermag. Warum enthalten eure CDs dann immer nur diese kleinen, „angeschnittene“ Booklets? Bei einer normalen Größe entstünden doch auch weitere graphische Möglichkeiten. Oder ist das pure Absicht, um dem Hörer bei der visuellen Interpretation der Musik nicht vorzugreifen?
Ilmari:
Das ist eine komplette Frage der Gestaltung. Wir bevorzugen die „abgeschnittene“ Form, weil die normale Größe quadratisch ist. Für uns ist das keine gute Ausgangsbasis für die Gestaltung.

Dajana: Da ja alle Bandmitglieder in irgendeiner Form künstlerisch aktiv sind (neben der Musik), könntet Ihr Euch vorstellen, bestimmte künstlerische Szenarien bei möglichen Liveshows hinzuzufügen? Oder Shows in künstlerische Events einzubetten? Was würde Euch da so vorschweben?
Is:
Viele Bands haben bereits sehr erfolgreich ihre Musik mit einer graphischen Visualisierung realisiert. Vor nicht allzu langer Zeit hab ich die dänische Band Mew live erlebt, mit einer Videoprojektion zur Show auf einer riesigen Leinwand hinter der Bühne. Das war schon sehr beeindruckend und intensivierte das Konzert um einiges. Aber wenn die Musiker an sich charismatisch genug sind, braucht man solche Sachen nicht. Man denke nur an eine Legende wie Johnny Cash. Nur das Charisma zählt. Für TENHI wäre z.B. ein Live-Theater oder eine Art Performance während eines Konzertes interessanter, als nur graphische Visualisierungen. Oder vielleicht wilde Tiere, die auf der Bühne rumlaufen...

Dajana: Apropos Konzerte – jetzt kommt die wohl am häufigsten gestellte Frage: Wird es in absehbarer Zeit irgendwelche Liveaktivitäten geben? Gibt es spezielle Konzepte für Konzerte? An welchen Orten würdet Ihr gerne spielen wollen, wenn Ihr die Wahl hättet.
Tyko:
Wir spielen schon seit einer Weile nicht mehr live. Wir müssen erst das Problem mit den Session-Musikern und ihren Zeitplänen lösen. Eine Option wären kleinere Akustik-basierte Shows, aber dafür müssten wir erst wieder die Songs umarrangieren. Das braucht Zeit, die wir lieber zum komponieren neuer Songs verwenden. Veranstaltungsorte sind mir relativ egal, jede Umgebung ist ok für mich, für den Rest sorgt die Musik selbst.

Dajana: Da Ihr so naturverbunden seid, muss es Euch in der Seele wehtun, wenn Ihr seht, wie dieser Planet Schritt für Schritt zerstört und die Natur missbraucht wird. Wie geht Ihr mit solchen Gefühlen um? Ich persönlich würde ja gerne all das auf die Verursacher zurückwerfen, was sie Mensch, Tier und Natur antun. Ihr wisst schon... Auge um Auge, Zahn um Zahn... Dummerweise stelle ich auf diese Weise auf’s gleiche Level... *seufz* Aber ich könnte wirklich heulen, wenn ich das alles so sehe...
Ilmari:
Unser Planet muss eine Menge Scheiße ertragen, das ist mal sicher. Ich denke, ein guter Anfang ist schon, wenn wir über unsere eigenen Aktivitäten nachdenken, Dinge, die nicht wirklich unbedingt nötig sind. Wieder etwas abzugeben ist so viel schwerer, als den Lebensstandard ständig zu erhöhen. Ich denke, dass lineare Religionen (direkt vom Diesseits ins Jenseits) unseren Hedonismus und den Mangel an Rücksicht gegenüber unserer Natur verursacht haben. Wir Europäer sollten von der Weisheit fernöstlicher Zyklus-Religionen lernen, wo all die Gleichgültigkeit auf die eine oder andere Weise auf uns zurückfällt.

Dajana: Viele Leute fragen sich, was wohl der „progressive“ Aspekt in Eurer Musik ist, der im Infoblatt hervorgehoben wird. Da viele Eurer Fans aus der Metalszene kommen, assoziieren sie natürlich „progressive“ mit Prog Metal/Rock, wie er eben üblicherweise bekannt ist. Ich für meinen Teil nenne „progressive“ die Freiheit, mit Musik, Instrumenten und Stilen zu experimentieren, wie Ihr das bei Uuvu Oravan Luu tut... Was ist Euer Ansatz?
Is:
Für uns bedeutet progressiv aufgeschlossen und unkonventionell zu sein, in der Musik und auch im Kontext, also hast du mit deiner Definition recht. Es ist in etwa die gleiche Einstellung, wie sie die Prog Bands in den 60igern und 70igern hatten, was aber nicht bedeutet, dass wir Ähnliches abliefern. Es ist für uns schon immer schwierig gewesen, unsere Musik zu kategorisieren oder mit Worten zu beschreiben. Letztendlich ist das auch völlig egal, es sei denn, es geht um Marketing und Label-Geschäfte.

Michael: Ihr werdet stilistisch meistens in die Neofolk-Ecke gesteckt. Seht ihr euch damit korrekt beschrieben bzw. richtig eingeordnet? Wie steht ihr zu generell zu der Neofolk-Szene und den dort immer wieder gezogenen politischen Kontexten?
Tyko:
Ich kann sicherlich gewisse Parallelen zu dieser Szene ausmachen, zu ihrer romantisch-künstlerischen Seite. Mich kümmert es nicht, wenn wir mit dieser Szene in Verbindung gebracht werden. Sie hat einige exzellente Bands hervorgebracht, die in der Lage sind, ergreifende Sphären mit ihrer Musik zu erschaffen. Wie dem auch sei, TENHI haben absolut gar nicht mit Politik irgendwelcher Art zu tun.

Dajana: Ihr habt Eure Proberäume in einer alten Schule, über die eines Eurer Mädels mal in einem Interview sagte: Wäre ich auf eine solche Schule gegangen, wäre ich heute ein anderer Mensch. Was bedeutet das? Ist das Gebäude so schaurig?
Ilmari:
Ich bin nicht sicher, auf welche „unserer Mädels“ du dich beziehst (die Session-Musikerinnen - Cal), von daher kann ich nicht sagen, was sie genau meinte. Der Bau kann manchmal sicherlich ziemlich furchteinflößend sein. Ich liebe es dort zu sein. Er ist ein wahrer Segen für uns.

Michael: Was für Musik hört Ihr in Eurer Freizeit? Welche Bands haben TENHI beeinflusst?
Is:
Ich bin mit Metal Musik aufgewachsen, ergo ist es offensichtlich, dass Metal auch den Haupteinfluss darauf hat, wie ich Musik mache. Heutzutage höre ich mehr Mew, Pink Floyd (70's), Ed Harcourt etc. Aber ich höre auch noch Slayer und Metallica, Klassik und Folk Musik.

Michael: Finnische Musiker haben in anderen europäischen Ländern häufig den Ruf, einen skurrilen Humor zu besitzen, ansonsten aber eher still oder introvertiert zu wirken und in jedem Fall trinkfest zu sein. Wie würdet ihr euch in dieser Hinsicht beschreiben?
Tyko:
Yeah... gulp.

Dajana: Ok, herzlichen Dank, das Ihr uns ein wenig Zeit gewidmet habt, um all diese Fragen zu beantworten.
Ilmari:
Danke euch!

 

05/2006 © Dajana Winkel & Michael Cichocki • Tenhi