Kerstin:
Auf dem M’Era Luna Festival habt Ihr nach 1,5-jähriger
Pause wieder eine Bühne betreten. Wie war euer Eindruck?
Jens Gärtner: Waren das schon 1,5 Jahre? Kam mir
vor wie 12...
Chris Pohl: Na ja, es war ungewohnt. Ungewohnt
deshalb, weil wie gesagt 1,5 Jahre dazwischen lagen und weil
wir mit einem komplett neuen Album am Start waren, das wir noch
nie vorher live präsentiert haben und dabei die meisten
Songs eigentlich von diesem Album gespielt haben. Neu war auch
unsere Besetzung, da wir jetzt einen Schlagzeuger haben, mit
dem wir auch noch nie auf der Bühne gestanden haben. Das
alles zusammen war also beim M’Era Luna das erste Mal.
Dadurch waren wir so aufgeregt wie vor dem ersten Mal im Leben
überhaupt: Das neue Album ist erst seit kurzem draußen
und Du weißt nicht wie es ankommt. Wir wollten unseren
Wandel, den wir vollzogen haben präsentieren. Deshalb war
es von der Aufregung her schon ganz schön heftig.
Kerstin:
Das wäre auch direkt meine nächste Frage. Ihr habt
auf dem M’Era Luna viel neue Songs gespielt, die dem Publikum
noch unbekannt waren. Wie kamen diese Songs denn beim Publikum
an?
Chris Pohl: Das ist gerade bei einem Festival mit großer
Besucherzahl schwer zu beurteilen. Ich denke, die Songs sind
schon ganz gut angekommen, aber Du hast schon gemerkt, dass
die Leute sich gewünscht haben, dass wir mehr alte Sachen
spielen. Aber wir wollten es konsequent durchziehen und haben
die Gelegenheit auch genutzt, unser neues Material vorzustellen.
Dabei sind wir das Wagnis eingegangen, nicht nur die alten Burner
zu spielen. Für unseren ersten Auftritt nach so langer
Zeit war es in Ordnung.
Daniel: Wer
oder was sind die „New Born Enemies“?
Chris Pohl: (lacht) Ja, wir! Der Titel stand ausnahmsweise
schon vor Aufnahme des Albums fest. Wir dachten, dass „New
Born“ mit in den Titel muss, da unser letztes Studioalbum
ja 2003 war. Das ist drei Jahre her, bis wir wirklich neue Songs
gemacht haben. „Enemies“ kam insofern hinzu, weil
wir gedacht haben, dass die Leute nach drei Jahren wieder ein
Album im Stil des erfolgreichen Vorgängers Menschenbrecher
hören wollen, was wir aber nicht gemacht haben. Es ist
immer so, dass einige Fans sagen „Warum gibt es keine
deutschen Texte mehr?“ oder „Warum nicht mehr Elektronik?“.
Deshalb wussten wir, dass einige garantiert wieder ein bisschen
frustriert reagieren. Deswegen dieses Wortspiel. Wir sind neugeboren,
wir sind wieder da, aber nicht alle werden uns dafür mögen.
Daniel: Darauf
zielt auch schon die nächste Frage ab. Auf New Born
Enemies hört man vermehrt harte Gitarren und der Sound
ist insgesamt doch reifer geworden. Kamen bislang von den Fans
auch schon negative Reaktionen zurück oder war das Feedback
eher positiv?
Chris Pohl: Genau kann man das nicht sagen. Da wir
jetzt nicht auf Tour waren, haben wir nur die Möglichkeit
gehabt, in unser Gästebuch zu schauen oder Fanmails zu
lesen. Die Reaktionen sind aber wie immer gemischt gewesen,
obwohl ich schon sagen möchte, dass sie eher positiv waren.
Viele haben gesagt, das sie sich doch eher war anderes gewünscht
haben, sich aber mit der neuen Richtung anfreunden können.
Andere dagegen, die sich bislang nicht mit TERMINAL
CHOICE anfreunden konnten, haben Gefallen an der Musik
gefunden, was uns persönlich sehr gefreut hat. Wir sind
jetzt auch in Metal Magazinen. Wenn Leute meckern, sind es glaube
ich fast immer die gleichen. Wenn man nach den Verkaufszahlen
geht, kann man sagen, dass es nicht schlecht läuft. Man
wird das alles aber erst später nach der Tour sehen. Wenn
keine Leute auf die Tour kommen, ist es wohl scheiße gelaufen.
(allgemeines Gelächter)
Louis Manke: Man muss dazu noch sagen, dass
es ein sehr ehrliches Album geworden ist. Wenn wir jetzt aufgrund
der negativen Reaktionen anfangen würden, wieder Sachen
wie Totes Fleisch zu machen, dann wäre es nicht ehrlich.
Wir gehen mit den Sachen, die wir zusammengeschraubt haben auf
die Bühne und damit haben wir unseren Spaß.
Chris Pohl: Das war uns sehr wichtig. Wenn
man nach den Plattenfirmen oder Verkäufen geht, dann hätte
jeder gesagt: „Macht noch einen zweiten Menschenbrecher.“
Das wäre sicherlich auch nicht schwer gewesen, aber wir
haben gesagt das machen wir so und haben das Album herausgebracht.
So, hört es Euch an. Das sind wir jetzt.
Daniel: Woher
kam jetzt diese neue Stilausrichtung?
Chris Pohl: Wo kam die her, Louis?
Louis Manke: Langsam und leise um die Ecke
geschlichen, vor zwei Jahren.
Chris Pohl: Das hat sich irgendwo abgezeichnet.
Man kann jetzt nicht sagen, dass wir jetzt auf einmal Gitarrenmusik
machen. Wir haben schon immer Gitarren dazu genommen. Sogar
auf meinen ersten Demotapes habe ich gesamplete Gitarren gehabt.
Ich fand das schon immer gut. Jetzt haben wir es meiner Ansicht
nach ein Stück weit perfektioniert. Ich höre zum Beispiel
privat eben Gitarrenmusik, Louis mag so was auch.
Daniel: Wie
weit siehst Du mit dieser Neuausrichtung Chancen auf einen kommerzielleren
Erfolg von TERMINAL CHOICE? Du hast gerade schon angesprochen,
dass Ihr auch Berichte in Metalmagazinen habt.
Chris Pohl: Ich würde sagen, dass wir es auf keinen
Fall drauf angelegen haben, kommerziell zu werden. Es ist natürlich
möglich, dass mit so einer Musik Leute aus anderen musikalischen
Ecken kommen und unsere Musik gut finden. Das ist sicherlich
ein Effekt, dem wir nicht negativ gegenüber stehen, aber
wir haben überhaupt nichts geplant. Wir machen das was
wir wollen. Wir sagen nicht, dass wir jetzt zum Beispiel Mucke
für Metalleute machen sondern werfen unser Album auf den
Markt und schauen wer es mag. Deshalb sollte man nicht gucken,
was mache ich, damit ich viele Platten verkaufe oder wie kann
ich den Fans irgendetwas zumuten, sondern die ehrliche Art gewinnt,
ein Album zu machen. Deswegen haben wir uns über Verkäufe
oder Kommerz überhaupt keine Gedanken gemacht.
Daniel: Auf
dem Vorgängeralbum Menschenbrecher gab es schon
zwei Coverversionen. Jetzt habt Ihr Euch Don’t Go von
Yazoo vorgeknöpft. Wie kam es dazu und wie habt Ihr die
80er erlebt?
Chris Pohl: Äh, wir waren da ja noch gar nicht
geboren. Wir sind ja alle erst 1985 geboren. (allgemeines Gelächter)
Jens Gärtner: Wir haben nur davon gehört.
Chris Pohl: Die kürzeste Geschichte ist einfach die: Damals,
als ich angefangen habe, Musik zu machen, Ende der 80er, so
1987. Diese Line von Don’t Go war etwas, was ich auf dem
ersten Synthie ziemlich einfach spielen konnte. Das habe ich
einfach mal aufgenommen und dann meine kleine Version für
mich privat gemacht. Dann kam TERMINAL CHOICE
und damit ging alles los. Als sich jetzt die Frage stellte,
war es eigentlich nicht schwer. New Born Enemies
war ein Album nach langer Zeit und ich wollte ein Stück
von ganz früher in die Jetztzeit transportieren. Wir haben
uns den Song ausgesucht, da wir daraus etwas machen konnten
was zu unserem Style passt und ich finde Yazoo ganz und diese
ganzen Elektrosachen aus den 80er Jahren.
Die 80er waren eine coole Zeit. Alles was die meisten jüngeren
Leute nur vom Hören kennen oder aus Clips, die alte Mucke,
das hat man eben erlebt. Da gab es nicht in dem Sinne eine Szene,
da gab es Sisters Of Mercy, die waren in den Charts und haben
ne Menge Platten verkauft und waren trotzdem Grufties. Da gab
es nicht dieses „He, Du bist jemand von der Szene, du
darfst nicht bei Viva oder MTV gezeigt werden, sonst bist Du
untrue“. Da lief The Cure auf MTV, da liefen die Sisters
auf MTV, später liefen auf kleinen Spartensendern sogar
Front 242 und so weiter. Es gab eben dieses krasse „Szene
vs. Kommerz“ nicht und das fand ich eigentlich sehr positiv
und das hat sich leider ein bisschen geändert. Ich fand
die 80er gut.
Kerstin:
Heute ist Tourauftakt. Seid Ihr vor solchen Konzerten besonders
nervös oder seid Ihr frei von Lampenfieber? Eigentlich
wirkt Ihr sehr relaxt...
Louis Manke: Wir sind auf jeden Fall ein Stück
aufgeregter als sonst vor den anderen Touren. Das ganze Live-Konzept
ist neu. Wir haben einen neuen Drummer dabei und Jenne (Anm.:
Jens Gärtner) nimmt jetzt andere wichtige Aufgaben, also
alles was die ganze Elektronik betrifft, wahr. Wir haben komplett
neue Technik. Jetzt rein vom Bass her hat sich Gordon innerhalb
kürzester Zeit alles aufgedrückt und spielt jetzt
wunderbar Bass. Die Songs sind neu und die Leute werden sie
wahrscheinlich das erste Mal so hören und für uns
ist das alles auch noch sehr neu. Es kribbelt schon ganz schön.
Chris Pohl: Ja das ist das Problem, wie Du
schon sagtest. Es kommen neue Aufgaben für die jeweiligen
Leute hinzu. Wir haben das Ganze wirklich erst ein Mal und zwar
auf dem M’Era Luna gemacht und deswegen ist man vor so
einer Tour natürlich noch viel aufgeregter, weil jetzt
nur wir alleine mit ein paar Supportbands spielen. Der Schwerpunkt
ist ein ganz anderer und die Leute kommen jetzt wegen uns und
haben eine Erwartungshaltung, was sie da sehen und hören
wollen. Das setzt einen schon ziemlich unter Druck und wir sind
eigentlich tierisch aufgeregt, aber das wird schon.
Kerstin:
Blutengel sind ja bekannt für aufwändig choreographierte
Bühnenshows. Erwartet uns passend zum neuen Sound von TERMINAL
CHOICE eine richtige Rockshow bzw. seht Ihr Euch live als Rockband?
Chris Pohl: Bei Blutengel richtet sich alles nach einem
großen Masterplan und man hat nicht so viele Freiheiten.
Da muss jeder in seine Lichtposition und man weiß genau,
wann man z. B. schnell nach links gehen muss, weil im Hintergrund
etwas passiert, was die Zuschauer sehen sollen. Das ist alles
ein bisschen technischer, eben wie Du schon sagtest, choreographierter.
Diesmal haben wir uns gesagt: „Wir gehen auf die Bühne
und spielen.“ Also quasi genau das Gegenteil, was für
mich natürlich eine geile Sache ist, weil man mit den Leuten
agieren kann, mehr als vielleicht bei Blutengel. Ich würde
sagen, dass das schon so ein Rockding ist - man geht raus und
spielt, um einen Haufen Spaß zu haben.
Kerstin:
Welche Erwartungen knüpft Ihr an die laufende Tour?
Chris Pohl: Das ist natürlich auch eine schwierige
Frage. Wir hoffen natürlich logischerweise, dass viele
Leute kommen und sagen: „Ok, wie auch immer die Platte
ist, ich muss mir das mal anschauen.“ Es war auch nicht
jeder beim M’Era Luna und wir hoffen einfach, dass die
Leute das, was wir machen und so wie wir es rüberbringen
akzeptieren und gut finden. Wir denken, dass wir das Ganze auch
dementsprechend transportieren werden. Es wird keine große
Show. Wir haben als optische Unterstützung ein Background-Video,
was wir zusammengebastelt haben und hoffentlich auch heute funktioniert.
Kerstin:
Wie geht es nach der Tour mit TERMINAL CHOICE weiter? Stürzt
Ihr Euch sofort wieder in Eure anderen Projekte Blutengel, Tumor
bzw. Staubkind?
Louis Manke: Also ich werde nach der TERMINAL-CHOICE-Tour
sofort ins Studio gehen und das nächste Staubkind-Album
zusammenschrauben, was noch in den Anfängen steht. Das
Album kommt nächstes Jahr raus.
Chris Pohl: Leider oder zum Glück gibt
es da keine harte Linien. Wir gehen jetzt auf Tour, aber ich
habe aber bis vor kurzem noch an Blutengel geschraubt und Louis
hat sein Staubkindding gemacht, zwischendurch haben wir TERMINAL
CHOICE vorbereitet. Man macht also nicht nur eine Sache
gleichzeitig, aber die Sache, die man macht hundertprozentig.
Zwischendurch steht immer etwas an. Wenn die Tour vorbei ist,
ist die Angelegenheit hundertprozentig abgeschlossen und dann
geht jeder wieder seine Wege und arbeitet an seinen eigenen
Projekten. Es ist aber nicht so, dass nach einer Tour schon
alles beendet ist. Wir geben zum Beispiel im Januar und Februar
noch ein paar Konzerte. Da sind immer noch ein Paar Einzelgigs
dabei, wo Du noch mal unterwegs bist - in Frankreich und Belgien,
was wir jetzt auf der Tour zeitlich nicht hinbekommen haben.
Kerstin:
Möchtest Du zum Abschluss den Lesern von Nocturnal Hall
noch etwas sagen?
Gordon (lacht): Sex, Drugs and Rock’n’Roll
Kerstin: Vielen Dank für das Interview
und alles Gute!