Mit ihrem neuesten Output New Born Enemies meldeten sich die Berliner TERMINAL CHOICE um Mastermind Chris Pohl zurück. Ein Album, das viele Fans und Kritiker sicherlich überrascht hat – statt elektronischer Elemente nahmen nun etwas härtere Gitarren das Regiment. Wieso und weshalb und was die Fans auf der kommenden Tour erwartet, erfuhren wir im Gespräch mit der Band vor ihrem Auftaktkonzert in der Krefelder Kulturfabrik.

Terminal Choice

Kerstin: Auf dem M’Era Luna Festival habt Ihr nach 1,5-jähriger Pause wieder eine Bühne betreten. Wie war euer Eindruck?
Jens Gärtner:
Waren das schon 1,5 Jahre? Kam mir vor wie 12...
Chris Pohl: Na ja, es war ungewohnt. Ungewohnt deshalb, weil wie gesagt 1,5 Jahre dazwischen lagen und weil wir mit einem komplett neuen Album am Start waren, das wir noch nie vorher live präsentiert haben und dabei die meisten Songs eigentlich von diesem Album gespielt haben. Neu war auch unsere Besetzung, da wir jetzt einen Schlagzeuger haben, mit dem wir auch noch nie auf der Bühne gestanden haben. Das alles zusammen war also beim M’Era Luna das erste Mal. Dadurch waren wir so aufgeregt wie vor dem ersten Mal im Leben überhaupt: Das neue Album ist erst seit kurzem draußen und Du weißt nicht wie es ankommt. Wir wollten unseren Wandel, den wir vollzogen haben präsentieren. Deshalb war es von der Aufregung her schon ganz schön heftig.

Kerstin: Das wäre auch direkt meine nächste Frage. Ihr habt auf dem M’Era Luna viel neue Songs gespielt, die dem Publikum noch unbekannt waren. Wie kamen diese Songs denn beim Publikum an?
Chris Pohl:
Das ist gerade bei einem Festival mit großer Besucherzahl schwer zu beurteilen. Ich denke, die Songs sind schon ganz gut angekommen, aber Du hast schon gemerkt, dass die Leute sich gewünscht haben, dass wir mehr alte Sachen spielen. Aber wir wollten es konsequent durchziehen und haben die Gelegenheit auch genutzt, unser neues Material vorzustellen. Dabei sind wir das Wagnis eingegangen, nicht nur die alten Burner zu spielen. Für unseren ersten Auftritt nach so langer Zeit war es in Ordnung.

Daniel: Wer oder was sind die „New Born Enemies“?
Chris Pohl:
(lacht) Ja, wir! Der Titel stand ausnahmsweise schon vor Aufnahme des Albums fest. Wir dachten, dass „New Born“ mit in den Titel muss, da unser letztes Studioalbum ja 2003 war. Das ist drei Jahre her, bis wir wirklich neue Songs gemacht haben. „Enemies“ kam insofern hinzu, weil wir gedacht haben, dass die Leute nach drei Jahren wieder ein Album im Stil des erfolgreichen Vorgängers Menschenbrecher hören wollen, was wir aber nicht gemacht haben. Es ist immer so, dass einige Fans sagen „Warum gibt es keine deutschen Texte mehr?“ oder „Warum nicht mehr Elektronik?“. Deshalb wussten wir, dass einige garantiert wieder ein bisschen frustriert reagieren. Deswegen dieses Wortspiel. Wir sind neugeboren, wir sind wieder da, aber nicht alle werden uns dafür mögen.

Daniel: Darauf zielt auch schon die nächste Frage ab. Auf New Born Enemies hört man vermehrt harte Gitarren und der Sound ist insgesamt doch reifer geworden. Kamen bislang von den Fans auch schon negative Reaktionen zurück oder war das Feedback eher positiv?
Chris Pohl:
Genau kann man das nicht sagen. Da wir jetzt nicht auf Tour waren, haben wir nur die Möglichkeit gehabt, in unser Gästebuch zu schauen oder Fanmails zu lesen. Die Reaktionen sind aber wie immer gemischt gewesen, obwohl ich schon sagen möchte, dass sie eher positiv waren. Viele haben gesagt, das sie sich doch eher war anderes gewünscht haben, sich aber mit der neuen Richtung anfreunden können. Andere dagegen, die sich bislang nicht mit TERMINAL CHOICE anfreunden konnten, haben Gefallen an der Musik gefunden, was uns persönlich sehr gefreut hat. Wir sind jetzt auch in Metal Magazinen. Wenn Leute meckern, sind es glaube ich fast immer die gleichen. Wenn man nach den Verkaufszahlen geht, kann man sagen, dass es nicht schlecht läuft. Man wird das alles aber erst später nach der Tour sehen. Wenn keine Leute auf die Tour kommen, ist es wohl scheiße gelaufen. (allgemeines Gelächter)
Louis Manke: Man muss dazu noch sagen, dass es ein sehr ehrliches Album geworden ist. Wenn wir jetzt aufgrund der negativen Reaktionen anfangen würden, wieder Sachen wie Totes Fleisch zu machen, dann wäre es nicht ehrlich. Wir gehen mit den Sachen, die wir zusammengeschraubt haben auf die Bühne und damit haben wir unseren Spaß.
Chris Pohl: Das war uns sehr wichtig. Wenn man nach den Plattenfirmen oder Verkäufen geht, dann hätte jeder gesagt: „Macht noch einen zweiten Menschenbrecher.“ Das wäre sicherlich auch nicht schwer gewesen, aber wir haben gesagt das machen wir so und haben das Album herausgebracht. So, hört es Euch an. Das sind wir jetzt.

Daniel: Woher kam jetzt diese neue Stilausrichtung?
Chris Pohl:
Wo kam die her, Louis?
Louis Manke: Langsam und leise um die Ecke geschlichen, vor zwei Jahren.
Chris Pohl: Das hat sich irgendwo abgezeichnet. Man kann jetzt nicht sagen, dass wir jetzt auf einmal Gitarrenmusik machen. Wir haben schon immer Gitarren dazu genommen. Sogar auf meinen ersten Demotapes habe ich gesamplete Gitarren gehabt. Ich fand das schon immer gut. Jetzt haben wir es meiner Ansicht nach ein Stück weit perfektioniert. Ich höre zum Beispiel privat eben Gitarrenmusik, Louis mag so was auch.

Daniel: Wie weit siehst Du mit dieser Neuausrichtung Chancen auf einen kommerzielleren Erfolg von TERMINAL CHOICE? Du hast gerade schon angesprochen, dass Ihr auch Berichte in Metalmagazinen habt.
Chris Pohl:
Ich würde sagen, dass wir es auf keinen Fall drauf angelegen haben, kommerziell zu werden. Es ist natürlich möglich, dass mit so einer Musik Leute aus anderen musikalischen Ecken kommen und unsere Musik gut finden. Das ist sicherlich ein Effekt, dem wir nicht negativ gegenüber stehen, aber wir haben überhaupt nichts geplant. Wir machen das was wir wollen. Wir sagen nicht, dass wir jetzt zum Beispiel Mucke für Metalleute machen sondern werfen unser Album auf den Markt und schauen wer es mag. Deshalb sollte man nicht gucken, was mache ich, damit ich viele Platten verkaufe oder wie kann ich den Fans irgendetwas zumuten, sondern die ehrliche Art gewinnt, ein Album zu machen. Deswegen haben wir uns über Verkäufe oder Kommerz überhaupt keine Gedanken gemacht.

Daniel: Auf dem Vorgängeralbum Menschenbrecher gab es schon zwei Coverversionen. Jetzt habt Ihr Euch Don’t Go von Yazoo vorgeknöpft. Wie kam es dazu und wie habt Ihr die 80er erlebt?
Chris Pohl:
Äh, wir waren da ja noch gar nicht geboren. Wir sind ja alle erst 1985 geboren. (allgemeines Gelächter)
Jens Gärtner: Wir haben nur davon gehört.
Chris Pohl: Die kürzeste Geschichte ist einfach die: Damals, als ich angefangen habe, Musik zu machen, Ende der 80er, so 1987. Diese Line von Don’t Go war etwas, was ich auf dem ersten Synthie ziemlich einfach spielen konnte. Das habe ich einfach mal aufgenommen und dann meine kleine Version für mich privat gemacht. Dann kam TERMINAL CHOICE und damit ging alles los. Als sich jetzt die Frage stellte, war es eigentlich nicht schwer. New Born Enemies war ein Album nach langer Zeit und ich wollte ein Stück von ganz früher in die Jetztzeit transportieren. Wir haben uns den Song ausgesucht, da wir daraus etwas machen konnten was zu unserem Style passt und ich finde Yazoo ganz und diese ganzen Elektrosachen aus den 80er Jahren.
Die 80er waren eine coole Zeit. Alles was die meisten jüngeren Leute nur vom Hören kennen oder aus Clips, die alte Mucke, das hat man eben erlebt. Da gab es nicht in dem Sinne eine Szene, da gab es Sisters Of Mercy, die waren in den Charts und haben ne Menge Platten verkauft und waren trotzdem Grufties. Da gab es nicht dieses „He, Du bist jemand von der Szene, du darfst nicht bei Viva oder MTV gezeigt werden, sonst bist Du untrue“. Da lief The Cure auf MTV, da liefen die Sisters auf MTV, später liefen auf kleinen Spartensendern sogar Front 242 und so weiter. Es gab eben dieses krasse „Szene vs. Kommerz“ nicht und das fand ich eigentlich sehr positiv und das hat sich leider ein bisschen geändert. Ich fand die 80er gut.

Kerstin: Heute ist Tourauftakt. Seid Ihr vor solchen Konzerten besonders nervös oder seid Ihr frei von Lampenfieber? Eigentlich wirkt Ihr sehr relaxt...
Louis Manke:
Wir sind auf jeden Fall ein Stück aufgeregter als sonst vor den anderen Touren. Das ganze Live-Konzept ist neu. Wir haben einen neuen Drummer dabei und Jenne (Anm.: Jens Gärtner) nimmt jetzt andere wichtige Aufgaben, also alles was die ganze Elektronik betrifft, wahr. Wir haben komplett neue Technik. Jetzt rein vom Bass her hat sich Gordon innerhalb kürzester Zeit alles aufgedrückt und spielt jetzt wunderbar Bass. Die Songs sind neu und die Leute werden sie wahrscheinlich das erste Mal so hören und für uns ist das alles auch noch sehr neu. Es kribbelt schon ganz schön.
Chris Pohl: Ja das ist das Problem, wie Du schon sagtest. Es kommen neue Aufgaben für die jeweiligen Leute hinzu. Wir haben das Ganze wirklich erst ein Mal und zwar auf dem M’Era Luna gemacht und deswegen ist man vor so einer Tour natürlich noch viel aufgeregter, weil jetzt nur wir alleine mit ein paar Supportbands spielen. Der Schwerpunkt ist ein ganz anderer und die Leute kommen jetzt wegen uns und haben eine Erwartungshaltung, was sie da sehen und hören wollen. Das setzt einen schon ziemlich unter Druck und wir sind eigentlich tierisch aufgeregt, aber das wird schon.

Kerstin: Blutengel sind ja bekannt für aufwändig choreographierte Bühnenshows. Erwartet uns passend zum neuen Sound von TERMINAL CHOICE eine richtige Rockshow bzw. seht Ihr Euch live als Rockband?
Chris Pohl:
Bei Blutengel richtet sich alles nach einem großen Masterplan und man hat nicht so viele Freiheiten. Da muss jeder in seine Lichtposition und man weiß genau, wann man z. B. schnell nach links gehen muss, weil im Hintergrund etwas passiert, was die Zuschauer sehen sollen. Das ist alles ein bisschen technischer, eben wie Du schon sagtest, choreographierter. Diesmal haben wir uns gesagt: „Wir gehen auf die Bühne und spielen.“ Also quasi genau das Gegenteil, was für mich natürlich eine geile Sache ist, weil man mit den Leuten agieren kann, mehr als vielleicht bei Blutengel. Ich würde sagen, dass das schon so ein Rockding ist - man geht raus und spielt, um einen Haufen Spaß zu haben.

Kerstin: Welche Erwartungen knüpft Ihr an die laufende Tour?
Chris Pohl:
Das ist natürlich auch eine schwierige Frage. Wir hoffen natürlich logischerweise, dass viele Leute kommen und sagen: „Ok, wie auch immer die Platte ist, ich muss mir das mal anschauen.“ Es war auch nicht jeder beim M’Era Luna und wir hoffen einfach, dass die Leute das, was wir machen und so wie wir es rüberbringen akzeptieren und gut finden. Wir denken, dass wir das Ganze auch dementsprechend transportieren werden. Es wird keine große Show. Wir haben als optische Unterstützung ein Background-Video, was wir zusammengebastelt haben und hoffentlich auch heute funktioniert.

Kerstin: Wie geht es nach der Tour mit TERMINAL CHOICE weiter? Stürzt Ihr Euch sofort wieder in Eure anderen Projekte Blutengel, Tumor bzw. Staubkind?
Louis Manke:
Also ich werde nach der TERMINAL-CHOICE-Tour sofort ins Studio gehen und das nächste Staubkind-Album zusammenschrauben, was noch in den Anfängen steht. Das Album kommt nächstes Jahr raus.
Chris Pohl: Leider oder zum Glück gibt es da keine harte Linien. Wir gehen jetzt auf Tour, aber ich habe aber bis vor kurzem noch an Blutengel geschraubt und Louis hat sein Staubkindding gemacht, zwischendurch haben wir TERMINAL CHOICE vorbereitet. Man macht also nicht nur eine Sache gleichzeitig, aber die Sache, die man macht hundertprozentig. Zwischendurch steht immer etwas an. Wenn die Tour vorbei ist, ist die Angelegenheit hundertprozentig abgeschlossen und dann geht jeder wieder seine Wege und arbeitet an seinen eigenen Projekten. Es ist aber nicht so, dass nach einer Tour schon alles beendet ist. Wir geben zum Beispiel im Januar und Februar noch ein paar Konzerte. Da sind immer noch ein Paar Einzelgigs dabei, wo Du noch mal unterwegs bist - in Frankreich und Belgien, was wir jetzt auf der Tour zeitlich nicht hinbekommen haben.

Kerstin: Möchtest Du zum Abschluss den Lesern von Nocturnal Hall noch etwas sagen?
Gordon (lacht):
Sex, Drugs and Rock’n’Roll
Kerstin: Vielen Dank für das Interview und alles Gute!

 

10/2006 © Kerstin Beckfeld/Daniel Fischer • Terminal Choice