Dajana: Hallo
Rudy. Body Census steht kurz vor der Veröffentlichung,
die ersten Resonanzen der Presse dürften eingetrudelt sein…
Wie ist das Befinden? Du bist auf Platz 1 der DAC, Platz 5 der
IAC... Was lässt sich sonst schon über die Reaktionen
sagen?
Rudy: Ich weiß (noch) nix, denn 1. isses noch
zu früh und 2. interessiert mich das kaum - was ist denn
zum Beispiel IAC? Keine Ahnung - wirklich.
(Italienische Alternative Charts – waren mit der DAC die
ersten Chart-Nennungen zu Body Census, die, aus welchen Gründen
auch immer, oft und gern mit herangezogen werden – Cal)
Dajana: Zunächst
muss ich mir aber was von der Seele räumen… Wir wollten
letztes Jahr schon ein Interview mit Dir machen, was von Dir
abgelehnt wurde, weil es anderthalb Monate nach VÖ schon
“zu spät” war? Hallo? Wie soll man ein Album
an seinem Erfolg messen oder selbigen bewerten, wenn Interviews
mit dem VÖ ad akta gelegt werden?
Rudy: Wen interessiert denn der Erfolg eines Albums
mehr als das Album SELBST, hm? Nein, da wart Ihr dann einfach
zu spät, ja - tut mir leid, denn irgendjemand hatte dann
ja die Fragen zu tippen/zu erdenken.
Dajana: Aber
wenn nur das Album selbst zählt, dann ist doch auch der
Zeitraum egal, an dem man darüber spricht. Auch wenn ich
verstehen kann, das man für Promotionkampagnen einen bestimmten
Zeitrahmen schafft und danach vor der Pressemeute seine Ruhe
haben will…
Dajana: Du
machst mehrheitlich nur Email-Interviews, weil Sachverhalte
aus Deiner Sicht dann genauer wiedergegeben werden, als das
„Gequatsche“ am Telefon.
Rudy: Sehr wahr.
Dajana: Andersherum ist mir aber aufgefallen,
das Du zu ähnlich gelagerten Fragen (lässt sich bei
der Masse an Interviews ja nicht vermeiden) wortgleiche Antworten
gegeben hast. Also quasi copy&paste beim Abarbeiten der
Fragebögen?
Rudy: Richtig - dies hat genau den von dir
oben ganz richtig geschilderten Grund. Erst vorhin hatte ich
ein Interview mit einem Amerikaner in der Mache, bei dem ich
tatsächlich wieder mal Spaß an der Sache entwickeln
konnte. Je besser die Frage, desto weniger Copy/Paste. Stell
dir das Ganze so vor: wenn ich mich tatsächlich irgendwo
mehrere Tage in eine schicke Hotellobby setzen würde, käm
bei fast identischen Fragen sowieso immer AUCH nur verbales
Copy/Paste raus.
Dajana: Nach
drei sehr differenziert aufgenommenen Alben hast Du bei Cannibal
Anthem den berühmten Schritt zurück gemacht.
Rudy: Ja? Mir nicht aufgefallen eigentlich.
Dajana: Viele Fans waren darüber zwar
glücklich, haben Dir aber auch stumpfes Kalkül vorgeworfen.
War dem so? Was hatte Dich dazu bewogen? Von der Presse gab
es trotzdem viel Lobhudelei...
Rudy: Weder von dem Einen, noch von dem Anderen
was mitbekommen - das beantworten dir mal lieber die Schlauberger,
die's für angebracht hielten.
Dajana. Wieviel
bedeutet Dir das Meinungsbild der Fans? Hat das irgendeinen
Einfluss auf Deine Arbeit?
Rudy: Das der FANS sehr viel, das der Kritiker wenig
- Mischformen gern genommen, dann aber bitte fundiert und nicht
einfach nur mit Gehirn im Szene-Schraubstock.
Dajana: Auf
Body Census führst Du nun jene eingeschlagene
Richtung konsequent fort. Somit wäre das Kalkül also
wieder vom Tisch ;)
Rudy: Na, Gott sei Dank dann.
Dajana: Dennoch bist weit von dem entfernt,
was Dich und Deine Musik früher so faszinierend gemacht
hat.
Rudy: Siehst du, das find ich nicht, sonst
würde ich einfach nur wieder eine weiteres Bunkertor
7 machen - und das is mir dann doch erheblich
zu doof. Und darüber hinaus wäre genau das: Kalkül.
Dajana: Das ist allerdings rein subjektiv zu
sehen, da Geschmäcker bekanntlich verschieden sind.
Rudy: Erneut: Gott sei Dank dann.
Dajana: Trotzdem, die Alben kommen im 12 Monate
Takt und irgendwie vermisst man das spezielle Etwas an Kreativität,
Originalität und Anderssein.
Rudy: Ach ja? Na, dann befass dich in Zukunft
einfach lieber mit anderen Projekten. Es tut mir sehr leid,
aber wenn ich mir das anhöre, was im jeweiligen Zeitraum
parallel zu :W: erscheint, kommt mir in (sagen wir mal) 90 %
der Fälle das kalte Grausen. Wenn du nicht alle Jahre Kreativität,
Originalität, Anderssein und vor allem Innovation heraushörst,
dann besuch eben eine andere Baustelle - davon gibt's viele,
und vielleicht findest du dann ja was, worüber du dich
positiver äußern kannst.
Dajana: Verfolgst Du damit ein bestimmtes Ziel?
Rudy: Ja.
Dajana: Hast Du eine bestimmte musikalische
Vision?
Rudy: Ja.
Psycho: Jetzt wäre es natürlich
sehr interessant gewesen, zu erfahren, welche das denn wohl
sein mag…
Dajana: Nach
den fleischlichen Gelüsten auf Cannibal Anthem
widmest Du Dich nun textlich der Verachtung, dem Verrat und
Verkauf von Geist und Mensch und Körper und Seele. Was
gab den Anstoß zu diesem Konzept? Doofe Frage eigentlich...
man muss ja nur mit offenen Augen durch den Alltag laufen...
Rudy: Siehst du, DIESE Frage find ich jetzt wiederum
NICHT doof.
(Psycho: Ansonsten näher drauf eingehen tut er aber
auch nicht… )
Dajana: Gab es einen bestimmten Auslöser?
Rudy: Ich hab's nicht so mit zeitbezogenen
Lyrics, also kein Text, nur weil mal ein World Trade Center
in sich zusammenstürzt - daher eher was Abstraktes.
Dajana: Denkst Du, Du kannst Deine Fans mit
den Texten auf eine Art erreichen, die vielleicht ein Umdenken
auslöst?
Rudy: Auf keinen Fall.
Dajana: Ist
Homo Gotikus Industrialis Hommage oder Abrechnung am
Goth?
Rudy: Vor allem You Are A Goth ist durch die
Umkehrung/die schlussendliche Fragestellung dazu prädestiniert,
die Gemüter wieder mal wachzurütteln. Aber jetzt komm
ich auf ein Terrain, das mir fast schon wieder zu schwer ist.
Sieh's mal eher mit einem deutlichen Augenzwinkern links und
rechts. Schwachstellen seh ich jugendkulturbedingt viele, jugendkulturwohlwollend
ist die Sache jedoch wohl nicht SO dramatisch.
Michael:
Man kann schon sagen, dass :WUMPSCUT: früher einen enormen
Einfluss auf die Electro-Szene hatte, was ich heute nicht mehr
so sehe. Beurteilst Du das ähnlich und wenn ja, ist das
für Dich die (willkommene) Gelegenheit, mehr denn je ausschließlich
die Musik zu machen, die Dir persönlich gefällt? Oder
würde die sich noch ganz anders anhören?
Rudy: :W: war und ist immer genau
das, was es von Innen heraus sein soll/sollte - da gibt es nix
zu korrigieren. Ich hatte noch nie den Eindruck, dass
:W: irgendwie großen Einfluss auf die Szene/die
nachfolgenden Projekte und/oder Musiker der Szene gehabt hätte
- und wenn doch, dann ist ein Einfluss ja immer nur ein Einfluss,
das hält ja nicht 100 Jahre. Denkst du, dass beispielsweise
VNV Nation jemals überflügelt werden wird von jemandem,
der genau das zu machen versucht, was Ro(nan) am besten konnte/kann/immer
können wird? Ich seh die Sache eher so, wie es damals mit
den Beatles war (und immer noch ist): Original bleibt Original.
Halt, halt: ich setz VNV in den Vergleich, nicht :W:
- nur mal schon zur Vorsicht...
Michael:
Wie stehst Du zu The Retrosic, die Deinen alten Stil ja zunächst
zu praktisch 100% kopiert haben?
Rudy: Ich werd Jörg (Cyrus heißt der Mann
ja eigentlich wohl) am Freitag in Nürnberg treffen und
eine schöne, schöne Lagebesprechung machen (müssen).
Dajana: Du
vergibst Deine Remix-Aufträge immer sehr „szenenah“.
Hast Du nicht mal Lust, was anderes auszuprobieren? Da Du ja
schon mal mit Bunkertor 7 in den Black Metal/Satanistentopf
gesteckt wurdest, lass doch mal einen Deiner Songs von Cradle
Of Filth oder Dimmu Borgir veredeln (ok, joking – es gäbe
aber trotzdem eine Reihe interessanter Bands...) Vielleicht
kommt ja was Überraschendes bei raus ;)
Rudy: Idee, ja - aber ich hab's nicht (mehr) so mit
Metal. Eine Gitarre ist mir oft eine Gitarre zuviel, Kinder...
Dajana: Du
hast bekanntermaßen keine Lust zu touren und gibst auch
so keine Konzerte, da sich Deine Musik – so mal eine Aussage
von Dir – nicht besonders für Livepräsentationen
eignet.
Rudy: Richtig.
Dajana: Wie kommt es dann, dass andere Bands
dieses Genres regelmäßig recht erfolgreiche Tourneen
absolvieren? Ist das eine Frage des Geldes?
Rudy: Nein, das ist eine Frage der von mir
selbst angesetzten Messlatte: ich mag Live nicht besonders,
und schon gar nicht, wenn es eher um Show als um Umsetzung von
Musik geht. Krassestes Beispiel ist hier Rammstein: vom Flammenwerfermeer
bis zum Menschenkochtopf auf der Bühne alles mit dabei.
Ich bin keine 16 mehr, meine Damen und Herren - und das war
ich vor 20 Jahren auch schon nicht mehr. Ich will damit sagen,
dass ich auch in jungen Jahren schon nicht die Faszination Live
nachempfinden konnte. Vor allem bei Bands, die sowieso praktisch
alles aus der Konserve spielen, fühl ich mich da eher verarscht
als unterhalten.
Dajana:
Schweben Dir andere Möglichkeiten vor, Deine Musik
mal visuell/akustisch oder irgendwie anders zu präsentieren
(außer auf CD natürlich)?
Rudy: Ja - aber ich weiß nicht, ob das
dann jemand in dieser Form haben wollte.
Dajana: Du
bist eine Person, die gerne polarisiert und auch schon mal hier
und da anstößt.
Rudy: Nein, das seid größtenteils Ihr Schreiberlinge,
denn Ihr könnt oft nicht damit umgehen, dass ich eben ANDERS
mit :W:/mit Euch/mit Interviews/mit der Szene/einfach mit allem
umgehe. Was mir im Gegensatz zu vielen anderen Acts auffällt
ist eine gewisse Barschheit dem Macher gegenüber - und
dies liegt wohl eher an meiner sprichwörtlichen Gutmütigkeit,
meine Damen und Herren. Was ich damit meine? Nun ja: ich befasse
mich so gut wie nie mit der Szenepresse, wenn ich dann aber
doch mal abseits von :W: was aufschnappe, ist
das in meiner Größenordnung und darüber eher
Honig ums Maul.
Dajana: Ist
doch eigentlich recht verwunderlich, dass sich heutzutage noch
einer an Dir als Person reibt in einer inzwischen völlig
sinnentleerten, interessenlosen und verblödeten Gesellschaft,
oder? Was denkst Du, woher kommt das Interesse?
Rudy: Wenn ich mir Punkt 12 auf RTL anguck, stell ich
mir schon mal die Frage, wo das alles hinführt. Und dann
sag ich mir ganz oft: ist ja nur ein Kanal/ist ja nur kanalisiert.
Ganz unabhängig davon überleg ich aber jetzt eher,
was deine Frage nun genau implizieren soll.
Dajana: *g* Ok,
ich formuliere mal die Frage anders, um eventuelle Missverständnisse
zu vermeiden: In einer abgestumpften, reizüberfluteten,
sinnentleerten und verblödeten Gesellschaft, wo sich kaum
einer noch für irgendwas interessiert und selbst große
Tragödien (was immer so in der Welt passiert) keinen mehr
großartig vom Hocker reißen, kommen die Leute in
der „Szene“ doch immer wieder auf Dich zurück,
nehmen „Anstoß“ an Dir oder polarisieren.
Was denkst Du, woher kommt das Interesse?
Dajana: Rudy
Ratzinger und :WUMPSCUT: hat eigentlich immer was „Mystisches“
umgeben.
Rudy: Ja? War nie so gedacht.
Dajana: Wie sieht Dein Alltag aus?
Rudy: (Für viele wohl viel zu) schrecklich
normal.
Dajana: Wo und wie lebst Du?
Rudy: In LA (bei München) in so einer
Art Führerhauptquartier - aber mit Fenstern aussendran.
Dajana: Welche
Talente hast Du außerhalb des Musik-Business? Gibt es
noch andere kreativ-künstlerische Ausdrucksformen für
Dich?
Rudy: Die gäbe es vielleicht, aber :W: frisst
vielzuviel Zeit, um noch was nebenbei zu veranstalten.
Dajana: Könntest
Du Dir vorstellen, mal einen Soundtrack (Film, Hörbuch,
Varieté, Theater... etc.) zu machen? Wenn ja, was wäre
das perfekte Szenario dazu?
Rudy: Ja, kann ich mir. Szenarios an rudyr @ gmx.de.
Dajana: Was
inspiriert Dich heutzutage noch, was schreckt Dich ab?
Rudy: Ich denk nicht nach über :W:, mich inspirieren
Dinge nur unterbewusst. Abschrecken tut mich nur wenig, die
richtige Beschreibung hierfür ist eher 'erheitern bis ankotzen'.
Holger: Stammt
das :W: aus dem 3. Teil der Alien-Saga? (In einigen Szenen sieht
man an den Wänden ein Symbol, welches fast genauso aussieht)
Oder hat der Set-Designer sich von Dir inspirieren lassen?
Rudy: Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, aber
da gab's doch was, da gab's doch was.
Daniel: Die
Zeiträume zwischen :WUMPSCUT: Veröffentlichungen werden
im Vergleich zu früher immer kürzer.
Rudy: Nein: immer mindestens ein Jahr. Denk dran, ich
tour ja nicht.
Daniel: Bleibt da überhaupt noch Zeit
für Dein Label Mental Ulcer Forges? Mangelnde Label-Arbeit
wurde unlängst von diversen Magazinen kritisiert…
Rudy: Mangelnde Labelarbeit? Unter den derzeitigen
Marktbedingungen können wir froh sein, sowas wie Mental
Ulcer Forges überhaupt noch zu haben.
Daniel: Außer :WUMPSCUT:
sind nur noch drei weitere Bands unter Vertrag, wenn ich recht
informiert bin.
Rudy: Beton Kopf Media ist exklusiv für
:W:, die anderen sind auf MUF.
Daniel: Interessieren Dich Newcomer ansonsten
nicht?
Rudy: Doch, sehr - aber ich find einfach kaum
was Nennenswertes.
Daniel: Verfolgst Du generell noch die Entwicklungen
im Electro-Bereich?
Rudy: Wenn es was Außergewöhnliches
wie Recently Deceased oder auch Yendri ist: ja.
Dajana:
Ok, das waren jetzt ein Haufen Fragen… Gibt es
noch etwas, das Du gerne loswerden möchtest? Das noch nicht
gesagt worden ist?
Rudy: Vielleicht nächstes Mal bissken ab von der
Miesmuschelei? Ja, genau.
Dajana: Dann
bedanke ich mich erstmal rechtherzlich für Zeit und Mühe
beim Beantworten der vielen Fragen.
Dajana: Touché,
was die Kritik betrifft. Ist angekommen und zeigt, das man nicht
sorgfältig genug ein Interview vorbereiten kann. Im Nachhinein
mit den Antworten, hätte ich diverse Fragen sicherlich
anders stellen sollen/wollen bzw. fallen einem jetzt erst Sachen
ein bzw. auf, die als Fragestellung sicherlich interessanter
gewesen wären. Beim nächsten Mal dann... ;)
Psycho: Ich denke, dass gerade dieses Interview gezeigt
hat, dass durch die e-Mail-Form manche Bereiche leider nur angerissen
werden konnten. Viele Antworten und Äußerungen hätten
durch eine gezielte Nachfrage noch wesentlich prägnanter
und informativer ausfallen können. Man trifft halt leider
eher selten Leute, die ihre ganz eigene Meinung haben und diese
auch zu vertreten wissen. Doch wo ich sonst gerne (also vis-à-vis)
nachgehakt hätte, war hier zwangsläufig schon Feierabend…
Also, lieber Rudy, zwar bekommst Du sicherlich häufig von
diverser Journaille einige Tiefschläge versetzt, aber Dein
globales Misstrauen ist auch nicht unbedingt das Wahre (von
wegen weniger Miesmuschelei). Vielleicht klappt es ja beim nächsten
Mal mit einem "echten" Gespräch!