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2011-07-02 DE – Gelsenkirchen - Veltins-Arena

The Big Four

Nach dem erfolgreichen Absolvieren diverser Festivals im letzten Jahr und den vermutlich noch erfolgreicheren DVD-Verkäufen war es ja eigentlich abzusehen, dass es dazu noch ein "Nachspiel" geben würde…
Diesmal also eine komplette Tour durch große Arenen etc., wieder prominent besetzt mit den erfolgreichsten Ami-Thrash-Bands der letzten 30 Jahre. Da ich die meisten davon (bis auf SLAYER) schon lange nicht mehr live gesehen hatte, war die Gelegenheit folglich günstig, und wenn man sich anschaut, was solche Events ansonsten häufig kosten, lagen die ca. 80 Euro sogar noch durchaus im akzeptablen Rahmen.
Das lässt sich von der Organisation allerdings nicht sagen. Zwar gingen bei uns An- und Abfahrt sehr zügig und stressfrei vonstatten (die Parkgebühr von 8 Euro verbuchen wir mal als kalkulierte Unverschämtheit), vor der Halle fehlten aber z.B. Hinweisschilder auf die Eingänge zum Innenbereich, so dass sich viele Fans zunächst am falschen Tor anstellten.

Schlimmer war aber, dass die Kapazitäten zur Versorgung der ca. 57.000 Leute schlicht und ergreifend zu gering kalkuliert waren. Es ist halt etwas anderes, ob man eine große Masse Menschen für ein 90minütiges Fußballspiel oder aber über ca. 8-10 Stunden versorgen muss. Sollte eigentlich jedem klar sein, dass in einem solch langen Zeitraum eine ganz andere Bedürfnislage entsteht. Außerdem dürfte es auch keine Neuigkeit sein, dass bei Rock- und vor allem Metal-Konzerten einiges an Alkohol getrunken wird, und normaler Weise ist dieser Umstand auch immer ein wichtiger Punkt in der Gesamtkostenkalkulation.
Anscheinend aber nicht an diesem Tag, denn die vorhandenen Kapazitäten hätten wahrscheinlich nicht mal bei der Hälfte des Publikums zu einem stressfreien Ablauf ausgereicht. So entstanden sowohl auf den Rängen als auch im Innenraum lange Wartezeiten, wenn man sich einfach nur ein neues Bier oder einen Softdrink kaufen wollte. Über 45 Minuten sind dafür einfach zu lang, und der Andrang war folglich so groß, dass die Security zusätzliche Ordner-Ketten einrichten musste, um den Druck der Masse von den Bierständen abzuhalten. Dort wurde jedoch vom zu spärlich vorhandenen Personal weiterhin ganz gemütlich gezapft… wenn überhaupt, denn die gelegentlichen Fasswechsel dauerten unerklärlich lange, was die Wartezeit weiter zunehmen ließ. Fast konnte man meinen, dass Personal mache noch einen Probelauf für die Zapfanlage…
Auch der Andrang an den Fressständen sprengte alle regulären Dimensionen, und die Idee, die Toilettenfrage im Innenraum einfach mit einem Karree von Dixies in der Nähe der Nordkurve zu lösen, war ebenfalls höchstens suboptimal.
Zudem war es völlig unverständlich, warum es im Bereich der Frontstage überhaupt keine Verpflegungs- und Toilettenmöglichkeiten gab. So mussten die Leute dort diesen Bereich erst umständlich durch zwei Schleusen verlassen und erhöhten so den durch die Masse verursachten Druck im hinteren Teil des Innenraums.
Nicht verzichten wollte man hingegen auf die völlig überflüssige Knappenkarte, weil damit angeblich keine Wechselgeldprobleme bei den Verpflegungsständen entstehen. Mag sein, die gab es aber dafür später offensichtlich an den Kartenhäuschen, als die Leute ihr nicht verbrauchtes Guthaben wieder einlösen wollten, zusätzlich zu den auch hier entstehenden Wartezeiten.
Und noch ein Punkt: in den Innenraum führten lediglich zwei relativ schmale Tunnel, die sowohl als Ein- als auch als Ausgang fungierten. Kommt einem diese Konstellation irgendwie bekannt vor? Zum Glück war die Stimmung trotz Durst und Gedränge die meiste Zeit über noch relativ entspannt und die Besucher, gemessen an den Verhältnissen, zueinander sehr rücksichtsvoll. Es ist aber ein absoluter Witz, wenn der Geschäftsführer der Arena hinterher angibt, aufgrund behördlicher Anordnungen hätte man nicht mehr Stände zur Versorgung der Zuschauer aufbauen dürfen, sich über eine mögliche Eskalation etc. im Innenraum aber anscheinend niemand Gedanken gemacht hat. Dass die Kassenhäuschen teilweise mitten in den Laufwegen zu den Tunneleingängen standen, hat daher wohl auch nicht weiter gestört...
Die Aussage, dass man an sich wisse, wie solche Veranstaltungen durchzuführen seien, mutet angesichts der tatsächlichen Durchführung wie blanker Hohn an. Denn dann muss man einfach die Frage stellen, warum diese Erkenntnisse nicht auch zu Ergebnissen geführt haben?


(Foto: Marek Lieberberg Konzertagentur)

Immerhin wurde die Halle während des gesamten Zeitraums gut belüftet, um mal was Positives zu sagen. Bauart bedingt war der Sound eigentlich bei keinem Act optimal, aber die Leute am Mischpult haben da zumindest das Beste rausgeholt. Wir standen in der Regel zwischen den beiden Kamera-Podesten, und da war es mit Abstrichen ok. Gewisse Probleme mit Reflexionen und Hall traten zwar trotzdem auf, dafür wurde zum Glück darauf verzichtet, das durch pure Lautstärke wieder auszugleichen.
Für die sich weiter hinten befindlichen Zuschauer (also ca. 80% aller Anwesenden) gab es jeweils seitlich der Bühne große Leinwände, beim Headliner sogar eine noch größere Leinwand direkt hinter dem Drumkit. So konnte man eigentlich von jedem Platz aus dem Geschehen auf der Bühne gut folgen. Aufgrund des lichtdurchlässigen Daches kam allerdings erst bei METALLICA die Lightshow zur Geltung und damit so richtiges Konzertfeeling auf, vorher war es dafür einfach noch zu hell.

Überpünktlich um 16:56 begannen :: ANTHRAX :: mit ihrem Auftritt. Meine persönliche Erwartungshaltung war dabei im Vorfeld gleich Null. Der unsympathische Umgang mit einem meiner Lieblingsmusiker und das darauf folgende weitere Sänger-Chaos haben mein Interesse an der Band beinahe zum Erliegen gebracht. Dafür war es dann aber eigentlich ganz ok. Ich will jetzt nicht gleich von einer Überraschung sprechen, aber solide war es immerhin.
Andreas Kisser (Sepultura) vertrat den sich im "Vaterschaftsurlaub" befindlichen Scott Ian mehr als ordentlich und lieferte sich einige wilde Bang-Duelle mit Frank Bello. ANTHRAX spielten, wie erwartet, ausschließlich Songs aus der Belladonna-Ära – und wer etwas gehässig sein will, kann Joey Belladonna auch gerne absprechen, John Bush-Songs vernünftig hinzukriegen. Also vielleicht durchaus sinnvoll, so was erst gar nicht zu versuchen. Weiterhin gab es mit Fight'Em Till You Can't noch einen neuen Song, der aber ganz klar die klassische Linie verfolgte und z.B. auf State Of Euphoria nicht weiter aufgefallen wäre.
Ansonsten war die Songauswahl, bis auf die genannte Einschränkung, ganz gut, zumal meine beiden Faves aus dieser Zeit gespielt wurden, nämlich Madhouse und Medusa. Trotzdem konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass sich ein großer Teil des Publikums nicht die Bohne für die Band interessierte…
Setlist: Caught In A Mosh, Madhouse, Got The Time, Among The Living, Antisocial, Indians, Fight 'Em Till You Can't, Metal Thrashing Mad, Medusa, I Am The Law

Bzgl. meiner Erwartungshaltung im Vorfeld hatten :: MEGADETH :: eigentlich alle Trümpfe in der Hand. Schließlich veröffentlicht die Band ja nach einer langen Durststrecke wieder starke Alben, und technisch zählte man ja immer zum Besten im gesamten Metalbereich.
Trotzdem war dieser Auftritt mit Abstand der schlechteste des heutigen Tages, was man leider an Bandleader Dave Mustaine festmachen muss. Wegen der Leinwände konnte man nämlich gut verfolgen, dass der Rotschopf die meiste Zeit irgendwo hin sang… nur eben nicht in das dafür vorgesehene Mikro. Als Folge war der Gesang über weite Strecken kaum oder gar nicht zu vernehmen. Ok, viele MEGADETH-Songs sind auch rein instrumental interessant, aber muss man das auf einem Konzert haben?
Dazu kamen noch einige weitere Punkte: warum wählte man z.B. einen dermaßen lahmen Opener? Warum verschwand die Band in der ersten Hälfte des Sets nach jedem Song hinter der Bühne, anstatt z.B. einfach mal das Publikum zu begrüßen?
Die Stimmung in der Menge ging infolge dessen immer weiter runter, obwohl die Band technisch wie erwartet nichts anbrennen ließ. Vor allem Chris Broderick konnte mich mit seinem Gitarrenspiel absolut begeistern, wohingegen Dave Ellefson eher blass blieb.
Ein missglückter Auftritt also, und es konnte nur noch besser werden…
Setlist: Trust, In My Darkest Hour, Hangar 18, Wake Up Dead, Head Crusher, Rattlehead, Symphony Of Destruction, Peace Sells… But Who's Buying, Holy Wars... The Punishment Due

Eigentlich müsste es ja nicht The Big Four, sondern The Big One + Three heißen, zumindest, wenn man sowohl die Rahmenbedingungen für die drei ersten Bands und auch deren heutigen Publikumszuspruch betrachtet. Nun, :: SLAYER :: stachen lieber auf ihre Art aus dem sonstigen Programm heraus, da sie einfach extremer als ihre Kollegen sind.
Das betrifft sowohl die Riffs bzw. Songs als auch das ganze Auftreten an sich. Bei den Ansagen überzeugte Tom Araya hingegen ein ums andere Mal als Charming Man und hatte damit die Massen schnell im Griff. Konsequenter Weise kamen SLAYER deutlich besser an als ihre beiden Vorgänger, da war zum ersten Mal richtig Leben in der Bude. Spätestens ab War Ensemble gab es kein Halten mehr, aber auch South Of Heaven oder Raining Blood sorgten für deutlich sichtbare Begeisterung, zum ersten Mal an diesem Abend auch auf den Rängen. Als Ersatz für den immer noch durch eine Arachniden-Attacke außer Gefecht gesetzten Jeff Hannemann hatte man Gary Holt (Exodus) mitgebracht, der seinen Job mehr als ordentlich erledigte und gut mit Kerry King harmonierte.
Leider gab es aber auch hier keine Zugabe, dafür ließ man nach dem alles vernichtenden Abschluss Angel Of Death ein zufriedenes, aber um so durstigeres Publikum zurück. Spätestens jetzt ging an den Ständen gar nichts mehr…
Setlist: World Painted Blood, Hate Worldwide, War Ensemble, Postmortem, Stain Of Mind, Disciple, Dead Skin Mask, Snuff, South Of Heaven, Raining Blood, Black Magic, Angel Of Death

Nach diesem absolut überzeugenden Auftritt hatten :: METALLICA :: allerdings trotzdem keine Probleme, das Ganze in Punkto Bombast und Publikumsreaktion zu toppen. Der überwiegende Teil war eben ganz klar nur wegen einer einzigen Band gekommen, und viele davon waren sicherlich keine originären Thrash-Fans. Jedenfalls ein beeindruckendes Bild, wenn man von unten die Ränge hoch schaute und überall feiernde Fans beobachten konnte.
METALLICA nutzten die jetzt deutlich verbreiterte Breite der Bühne wirklich gut aus und hatten dazu eine relativ abwechslungsreiche Light- und Pyroshow aufgefahren. Zum Glück spielten sie auch ein ziemlich gut zusammengestelltes Set mit einigen Überraschungen, sei es beim Opener Hit The Lights (wer hatte da schon mit so einem alten Song gerechnet?) oder z.B. der Tatsache, dass an sich gesetzte Hits wie z.B. Nothing Else Matters gar nicht gespielt wurden. Stattdessen gab es tatsächlich mal The Call Of Ktulu live, einen Song, den die Band wahrscheinlich in ihrer ganzen Karriere nicht ein Dutzend mal gespielt hat. Nicht verwunderlich war hingegen die Tatsache, dass die alten Klassiker wie Master Of Puppets oder For Whom The Bell Tolls deutlich besser ankamen als das gesamte neuere Material.
Am meisten gingen die Leute aber bei den Songs des Black Albums ab; es handelt sich einfach um die Stücke, die wirklich jeder kennt und mit denen METALLICA ihre größten Erfolge hatten. Somit endete der Hauptteil der Show konsequent mit einer fulminanten Version von Enter Sandman, aber natürlich machte die Menge danach so einen infernalischen Lärm, dass eine Zugabe nicht lange auf sich warten ließ.
Nach einigen Umbauten enterten dann alle Bands gemeinsam die Bühne, um diesmal nicht (wie sonst) Am I Evil, sondern stattdessen mal Helpless zu spielen. Lediglich Slayer konnten nicht dabei sein, da sie bereits zum nächsten Auftritt fahren mussten. Natürlich hatten sich danach aber alle furchtbar lieb, bevor der Abend mit zwei weiteren Stücken dann doch zu Ende ging. Allerdings nur musikalisch, denn das Publikum feierte seine Helden auch noch geraume Zeit, nachdem bereits die Oberlichter wieder angegangen waren. Kein Wunder also, dass sich METALLICA ob dieser enthusiastischen Reaktionen ein ums andere Mal extrem gerührt zeigten.
Setlist: Hit The Lights, Master Of Puppets, The Shortest Straw, Seek & Destroy, Welcome Home (Sanitarium), The Memory Remains, All Nightmare Long, Sad But True, Wherever I May Roam, The Call Of Ktulu, One, For Whom The Bell Tolls, Blackened, Fade To Black, Enter Sandman // Helpless (mit Megadeth und Anthrax), Battery, Creeping Death

Wenn man nur das Konzert betrachtet, muss man von einem gelungenen Abend sprechen, obwohl MEGADETH leider einen arg grottigen Tag erwischt hatten. Dafür fielen ANTHRAX nicht negativ auf, SLAYER rockten das Haus, und METALLICA bewiesen, dass man sie durchaus positiv gemeint als Stadionrock-Band bezeichnen kann/darf. Ich hatte jedenfalls vorher nicht gedacht, einen so guten Auftritt geboten zu bekommen.
Zieht man aber die gesamten organisatorischen Umstände mit dazu, so bleibt insgesamt doch ein eher zwiespältiges Fazit übrig. Für viele Leute war das sicherlich das Konzert ihres Lebens, da sollten halt einfach auch die Rahmenbedingungen passen.
Ich werde es mir auf jeden Fall gut überlegen, ob ich mir so ein Ereignis noch mal in der Veltins Arena anschauen werde, denn wenn ich ganz ehrlich sein soll: ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei einem nächsten Mal wirklich gravierende Änderungen geben wird. Die Bands als solches und auch die Big Four-Tour als Ganzes sind aber definitiv einen Besuch wert.

 

story © Psycho