Nein, Bescheidenheit gehörte noch nie zum Vokabular von RAMMSTEIN. Was für ein Gigantismus! Typisch für RAMMSTEIN und - selbstredend - erwartet.
Nach 10 Jahren Pause, Nebenprojekten und kreativen Neuorientierungen der einzelnen Bandmitglieder, veröffentlichten die Berliner Industrial Metaller am 17. Mai ihr neues Album, das siebte in der 25-jährigenBandgeschichte, unbetitelt, oder selbstbetitelt, ganz wie man mag, und auch das letzte soll es sein. Natürlich stürmte dieses Album umgehend auf Platz 1 der deutschen Albumcharts (auch in anderen Ländern) und hat sich in Deutschland schon jetzt besser verkauft, als irgendein anderes Album in diesem Jahrtausend. Ich sagte ja: Gigantismus. Da wundert es kaum, dass die zum Album angekündigte Tour die größte Produktion in der Bandgeschichte werden soll.
Die Shows sind im Handumdrehen ausverkauft. Und die Europatour beginnt hier, in NRW, in Gelsenkirchen, auf Schalke, in der :: VELTINS Arena ::.
Bereits die Vorbereitungen sorgten für Aufsehen, als im Laufe der Woche riesige Rauchsäulen und donnernde Klänge über der Arena bei den Anwohnern für Schrecken und Verwirrung sorgten ;)
An zwei Tagen pilgerten 110.000 Fans nach Gelsenkirchen - ein wahnsinnig großer logistischer Aufwand. Das Verkehrschaos war vorhersehbar (ich hatte zum Glück eine bessere Idee, die sich als perfektes An- und Abreisemanagement erwies), aber die Schlangen und Wartezeiten bei den peniblen Eingangskontrollen hielten sich erfreulicherweise in Grenzen. Ich war in 5 Minuten drin. Ich hatte vielmehr Probleme meinen Sitzplatz zu finden, war allerdings auch zum ersten Mal in der Schalke-Arena.
Noch erstaunlicher fand ich die zivilen Merch-Preise: 25/30 Euro für Tanks/T-Shirts – da hab ich schon viel kleinere Bands mit größenwahnsinnigen Preisen gesehen. Was die Food- und Getränkepreise angeht, vermute ich mal, dass es sich um Arena-Preise handelt. Das Veltins im 0,4l Becher für 4,50 Euro (Softdrinks 4,40 Euro). Die RAMMSTEIN Fanbecher (3 Designs) gab es für 2 Euro. Nur mit der (Presse-)Sitzplatzauszeichnung hatte ich als Schalke-Neuling so meine Probleme ;)
Okay, Bier: check, Fanbecher: check (konnte nicht widerstehen), Sitzplatz: check. Es ist viertel vor Sieben und ich bin bis in die Haarspitzen gespannt. Kann losgehen. Überhaupt ist die Erwartungshaltung enorm. Man kann sie überall und jederzeit beinahe mit den Händen fassen. Noch 45 Minuten warten. Ah, stop, da tut sich was… Lange vor dem eigentlichen Konzert gab es bereits das erste Highlight, denn um Punkt 19 Uhr wurde den Fans exklusiv das neue RAMMSTEIN Video zu Ausländer gezeigt.
Endlich. Halb acht, das Licht geht aus, aber auf der Bühne tut sich nichts. Stattdessen wird eine kleine Bühne mitten in der Halle beleuchtet. Darauf 2 Damen und zwei Pianos, das :: DUO JATEKOK :: (die auch schon 2017 für Rammstein in Nîmes eröffneten). Das französische Duo aus Paris, bestehend aus den zwei klassischen Pianistinnen Adélaïde Panaget und Naïri Badal, war für viele eine ambivalente Angelegenheit. Der musikalische Kontrast hätte kaum größer sein können, war sicherlich so gewollt und hatte natürlich auch seinen Grund.
Nach dem überaus passenden Intro aus Händels Feuerwerksmusik präsentierte das Duo 45 Minuten lang wunderbar grazile Klavierstücke aus dem Rammstein – XXI – Klavier Album, die aber vom Publikum nur halbherzig aufgenommen wurden. Der Klaviersound war gewaltig, apokalyptisch und harsch, ganz im Kontrast zu den beiden zierlichen Damen, täuschte aber nicht darüber hinweg, dass die gesamte Performance eher wie Pausenmusik rüberkam.
Dennoch, wer klassische Musik für Klavier mal anders interpretiert mag, sollte unbedingt mal beim DUO JATEKOK reinhören.
Während der letzten beiden Stücke wurde das Dach der Veltins-Arena aufgefahren und die 6 Feuerschlote schon mal sichtbar vorgewärmt.
Band: Adélaïde Panaget & Naïri Badal
Setlist: Klavier, Engel, Mein Herz Brennt, Du hast, Ohne dich, Frühling in Paris, Seemann, Sonne
Danach ging es ratzfatz weiter. Keine 15 Minuten später startete bereits das Intro für :: RAMMSTEIN ::. Mit lautem Kanonenknall und Feuerregen brach um halb neun ein musikalisches Inferno los. Das Volk johlte und grölte. Die Feuerlanzen pusteten schwarzen Qualm in die Arena – ohne das offene Dach wären wir vermutlich alle an einer Rauchvergiftung zu Grunde gegangen. Die Feinstaubwerte für GE dürften für Jahre ruiniert sein.
Von oben betrachtet (wir Schreiberlinge saßen quasi unter dem Dach) sahen die Massen im Innenraum wie ein wimmelndes Madenfeld aus, sobald die Fans die nackten Arme reckten. Hatte was Gruseliges…
Es gab überall immer wieder kleine Moshpits, generell jedoch hatte ich das Gefühl, dass sowohl Band wie Publikum zu Beginn eher verhalten agierten bzw. reagierten. Erst bei Heirate mich kam das Publikum ein wenig in Wallung.
Es gab unglaublich viel Dynamik und Bewegung auf der Bühne. Das ganze Konzert war eher eine theatralische Inszenierung, ein Circus Extravaganza mit vielen Utensilien und Firlefanz auf der Bühne, wie zum Beispiel ein riesiger Kinderwagen, der angezündet wurde, oder der Suppentopf, in welchem Till Lindemann mit viel Feuer versuchte, bei Mein Teil seinen Tastenmann Flake zu kochen. Und es gab jede Menge akrobatischer Einlagen. Das alles war mal sehr provokativ, subversiv, machohaft, manchmal bizarr oder einfach nur lustig. Das hier ist eine Show, aber nicht das Konzert einer Rockband.
Obwohl RAMMSTEIN berüchtigt sind für ihre Pyro-lastigen Shows, waren sie hier extrem sparsam. Und das, obwohl sie extra zwei Tanklastzüge mit Sprit rechts und links der Bühne draußen abgestellt hatten. Außerdem war es durch das offene Stadiondach kalt und zugig. Da half nur eins: tanzen! Wie zum Beispiel zum Deutschland Remix von Richard Kruspe, dessen LED Strichmännchen Performance sehr an Kraftwerk angelehnt war. Am Ende klang sogar ein Hauch von Anne Clarks Our Darkness durch.
Und dann gab es endlich Feuer! Bei Sonne wurde das volle Programm an Pyros aufgefahren. Yeah, genau das wollte ich (und die zehntausenden Fans da unten) sehen (und spüren). Ansagen gab es derweil keine, gut, die Bandmitglieder hatten genug mit den Outfit-Wechseln und den Stage-Utensilien zu tun.
Natürlich lag der Fokus zunächst auf dem neuen und letzten unbetitelten Album Rammstein, von welchem 9 der 11 Tracks gespielt wurden. Drumherum kredenzte man dem Volk eine ganze Reihe Klassiker vom Debüt Herzeleid, Sehnsucht, Mutter und Reise, Reise. Die letzten beiden Veröffentlichungen ließ man bis auf einen Song (Pussy) außen vor.
Aber das Kernstück der gesamten Show war ohne Zweifel die gigantische Bühne, ein dystopisch anmutendes Meisterwerk, bedrohlich und martialisch, mit einer kühlen Ästhetik, die an die Nazizeit erinnerte. Eine weitere Provokation. Dazu erschufen eine perfekt abgestimmte Sinfonie aus gewaltigen Lichteffekten und verschiedenste Videosequenzen ein bildgewaltiges und atemberaubendes Spektakel. Leider konnte ich nur einen Teil der Bühne sehen. Den Mittelteil der Bühne und die Videos gar nicht. Ja, ich weiß, alle reden über die Show aber niemand über die Musik. Wie soll man auch bei dem Spektakel. Darüber hinaus war die Musik so laut, dass man eh keine technischen Finessen heraushören konnte. Sowas hebt man sich besser für Albumreviews auf ;) Die Stimme von Till Lindemann war gelegentlich zu leise oder zu dünn.
Nach einer atemberaubenden 90 Minuten Show endete der Hauptteil der Show mit Ohne Dich. Eine kurze Atempause, die noch nicht einmal für stimmgewaltige Zugabe-Rufe reichte, und schon ging es weiter. Hierfür erschien das DUO JATEKOK wieder auf der kleinen Bühne im Publikum und intonierte Engel, flankiert von den RAMMSTEIN Jungs. Ein Meer aus Handy- und Feuerzeuglichtern flammte auf. Das war unbeschreiblich. Danach segelten die Bandmitglieder in Schlauchboten vom Publikum getragen zurück zur Bühne, um noch einmal Ausländer zu präsentieren und zwei weitere Tracks. Aber auch das war noch nicht das Ende. Eine weitere Zugabe folgte, um mit den Klassikern Rammstein und Ich will eine extraordinäre Show endgültig zu beschließen und die Fans in eine kalte Nacht zu entlassen.
Haben sich Kosten und Aufwand gelohnt? Ich sage ja! RAMMSTEIN sind ein Phänomen. Sie sind einzigartig in der Metalwelt und ihre Shows muss man wenigstens einmal gesehen haben. Man muss kein Fan sein oder die Musik sonderlich mögen, die Show reißt alles raus. Hatte ich es schon erwähnt? Das war gigantisch!
Band: Till Lindemann (vox), Richard Kruspe (git), Paul Landers (git), Oliver Riedel (bass), Christoph „Doom“ Schneider (drums), Christian „Flake“ Lorenz (keys)
Setlist: Intro, Was ich liebe, Links 2-3-4, Sex, Tattoo, Sehnsucht, Zeig dich, Mein Herz brennt, Puppe, Heirate mich, Diamant, Deutschland (Rmx by Richard Z. Kruspe), Deutschland, Radio, Mein Teil, Du hast, Sonne, Ohne dich // Engel (Scala & Kolacny), Ausländer, Du riechst so gut, Pussy // Rammstein, Ich will
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