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2008-03-16 DE – Oberhausen - König Pilsener Arena

Ähnlich wie Depeche Mode gehören auch THE CURE zu den wenigen Bands, die trotz teilweiser massiver Radio-Präsenz und etlichen weltweiten Hits nicht mit dem ständigen Vorwurf der Kommerzialisierung leben müssen, sondern seit nunmehr ca. 30 Jahren immer noch von der "Szene" akzeptiert und geschätzt werden. Und obwohl es in der Zwischenzeit nun wirklich genügend Gelegenheiten dazu gegeben hätte, habe ich es doch in den ganzen Jahren nicht einmal geschafft, die Band um Wuschelkopf Robert Smith auch nur einmal live zu sehen.

Insofern stellte das Konzert in der Arena in Oberhausen für mich eine kleine Premiere dar. Interessanterweise waren THE CURE nicht hauptsächlich unterwegs, um ihr neues Album zu promoten, sondern wohl eher, um die Zwischenzeit bis zum Release desselben sinnvoll zu überbrücken. Ich hatte keine rechte Vorstellung davon, welches Publikum mich wohl in der Halle erwarten würde, war aber dann nicht wirklich überrascht, als wir feststellen mussten, dass der Altersschnitt im Bereich zwischen Endzwanziger bis Mitte Vierzig lag. Also wie wir ... ;-) Mit Sicherheit das "älteste" Konzert, das ich jemals besucht habe ...
Die Organisation vor Ort war vorbildlich, und ich kann mich nicht entsinnen, schon einmal so viele freundliche und hilfreiche Ordner angetroffen zu haben. Daran können sich andere Veranstalter/Hallen gerne orientieren!

Zunächst aber galt es, die mir bis dato völlig unbekannte Vorband anzuchecken. 65 DAYS OF STATIC spielen reinen, Alternative geprägten Instrumentalrock, der zumindest live sowohl wüste als auch progressiv-psychedelische Elemente in einer knackigen Wall of Sound zusammen mischt, während auf den CDs elektronische Sounds wohl eine größere Rolle spielen. Dazu gab es wilde Action auf der Bühne (der Schlagzeuger könnte auch mit jeder Metalcore- oder Death Metal-Kappelle auftreten), über mehr als einen Achtungserfolg kam die Band allerdings nicht hinaus. Zum Teil lag das sicherlich daran, dass praktisch niemand im Publikum auch nur eines der Stücke kannte (obwohl man bereits mehrere Alben veröffentlich hat), aber gerade in der klassischen Live-Situation eines Rock-Konzertes erzeugt der fehlende Gesang eine zusätzliche befremdende Wirkung. Das liegt zwar in der Natur der Dinge, machte die Sache für 65 DAYS OF STATIC aber natürlich nicht leichter. Insgesamt also nicht schlecht, und für einen Support-Slot einer "großen" Band sogar überraschend originell und gut.

65 Days Of Static

Mit einer sehr dezenten Backline, die den Eindruck vermittelte, eigentlich für einen Club gedacht zu sein, wurde das Konzert von THE CURE dann schließlich mit dem sehr passenden Plainsong eröffnet. Passend deshalb, weil das Stück mit seinem (verlängerten) Sternenfall-Intro und der schwebenden Atmosphäre prima mit der sparsamen, aber doch geschickt den Eindruck eines Sternenhimmels vermittelnden Lightshow korrespondierte. Wer die Band vielleicht hauptsächlich in der Stilistik "keyboardgestützte Pop-Musik mit leichten Gitarren" kannte, sollte übrigens eine Überraschung erleben: einen Tastenmann hatte man nämlich erst gar nicht mitgenommen, so dass zwar einige Effekte etc. vom Band/per Festplatte eingespielt wurden, aber ansonsten wurde die entsprechenden Passagen einfach so umarrangiert, dass sie auch von der klassischen Rockbesetzung gemeistert werden konnten.
Diesen Umstand nutzten die somit verbliebenen vier Musiker auch reichlich aus und spielten ein hauptsächlich auf älteren Alben basierendes, sehr Gitarren-lastiges Set, was aber niemanden gestört haben dürfte. Wie auch, wenn man dadurch in den Genuss von Klassikern wie z.B. Lovesong, Inbetween Days, Primary oder dem Kyoto Song kommt? Mit Please Come Home und A Boy I Never Knew wurden mitten im Set versteckt auch zwei neue Songs gespielt, die mir beide recht gut gefielen (Mischung aus den Stilistiken von Disintegration und Wish), während Never Enough und Wrong Number für mich eher überraschend in der Playlist auftauchten.

Herausragend im regulären Teil waren aber das frenetisch abgefeierte Lullaby, die grandiose Version von From The Edge Of The Deep Green Sea (schon immer eines meiner Lieblings-Stücke) und besonders One Hundred Years, welches fast schon mit zerstörerischer Wucht gespielt wurde und optisch von Bildern aus den düsteren Zeiten des letzten Jahrhunderts unterlegt war. Überhaupt muss man sagen, dass es geradezu auffällig war, wie zeitlos die meisten THE CURE-Stücke sind; irgendwelche Brüche zwischen altem und neuem Material traten kaum auf, auch wenn man eigentlich meint, die jeweiligen Alben stilistisch ganz unterschiedlich im Ohr zu haben.

Nach "nur" 23 Songs wurde dann mit Disintegration der reguläre Teil erst mal beendet. Andere Acts dieser Größenordnung wären nach dieser Zeit schon dabei gewesen, die Bühne wieder abzubauen. THE CURE ließen sich hingegen nicht lumpen und spielten noch drei Zugaben mit insgesamt 13 weiteren Stücken. Das machte dann in den ca. 3¼ Stunden zusammen 36 Titel und war damit das längste Konzert, das ich jemals von einer einzelnen Band gesehen habe. Respekt! Übrigens auch, weil dabei nicht eine Minute Langeweile aufkam.

Von den Zugabenblöcken hatten es vor allem der erste und der letzte dem Publikum besonders angetan. Kein Wunder bei der jeweiligen, auf spezifische Band-Phasen fokussierten Songauswahl (s.u.). Der zweite Teil begann zwar mit dem vermutlich bekanntesten Hit der Band, Friday I'm In Love, darauf folgte aber mit Freak Show das schwächste und sperrigste der neuen Stücke, und zum Ende hatte Herr Smith entweder den Text vergessen oder aber einfach keine Lust, Why Can't I Be You auch nur halbwegs korrekt zu singen. Das übernahm dann das Publikum für ihn, was vermutlich beiden Seiten recht war.
Für nochmalige Euphorie sorgte schließlich der letzte Block des Abends mit den ganz alten Klassikern, wobei vor allem Jumping Someone Else's Train und Killing On Arab noch mal so richtig gerockt haben. Ganz ehrlich: ich habe die Keyboards nicht vermisst, und von mir aus könnten THE CURE jetzt immer ohne auftreten. Genügend geile Songs haben sie ja in der Hinterhand …
Setlist: Plainsong, Prayers For Rain, A Strange Day, alt.end, A Night Like This, The End Of The World, Lovesong, Pictures Of You, Lullaby, From The Edge Of The Deep Green Sea, The Figurehead, Kyoto Song, Please Come Home, Push, Inbetween Days, Just Like Heaven, Primary, A Boy I Never Knew, Never Enough, Wrong Number, The Baby Screams, One Hundred Years, Disintegration // At Night, M, Play For Today, A Forest // Friday I'm In Love, Freak Show, Close to Me, Why Can't I Be You? // Boys Don't Cry, Jumping Someone Else's Train, Grinding Halt, 10:15 Saturday Night, Killing an Arab

Ein fantastischer Abend also mit einem gut aufgelegten Headliner und dem besten Value for Money-Verhältnis seit langem. Dazu kamen eine gelungene Songauswahl, die viele der bisherigen Veröffentlichungen berücksichtigte, der glasklare Sound und das Talent, wirklich eine ganz spezielle Live-Atmosphäre zu erzeugen, obwohl ich von den Ansagen kein Wort verstanden habe. In dieser Form gehören die Engländer noch lange nicht zum alten Eisen, und ich bin doch sehr auf die neue CD gespannt.

 

story © Psycho