Acht
Mal habe ich bislang am alljährlichen Treffen schwarz gekleideter
Gestalten in Leipzig teilgenommen und bin – vom chaotischen
Treffen im Jahr 2000 ausgenommen – eigentlich immer mit
Erinnerungen an ein schönes Festival wehmütig zurückgefahren.
Das diesjährige WAVE GOTIK TREFFEN hat mich
allerdings nicht hundertprozentig überzeugt. Dies mag zum
einen an ein paar enttäuschenden Konzerten und dem Fehlen
eines für mich absoluten Konzerthighlights liegen (vielleicht
war ich ja einfach auf den falschen Konzerten?), aber darüber
hinaus definitiv auch an unschönen Vorfällen, auf die
ich später noch zu sprechen kommen werde. Jedenfalls war
die 16. Auflage des WAVE GOTIK TREFFEN alles
in allem ein dennoch schönes Festival mit zumeist trockenem,
aber manchmal doch etwas zu heißem Wetter. Das obligatorische
Schaulaufen auf dem „Laufsteg“ des AGRA-Geländes
offenbarte wieder einmal bestaunenswert fantasievolle Outfits.
Neonfarben und Puschel liegen anscheinend zum Glück nicht
mehr ganz so im Trend wie in den letzten Jahren. Darüber
hinaus hat man so manche alte Freunde wieder gesehen, die man
zumeist nur einmal im Jahr in Leipzig auf dem WGT
trifft und sich in der zentralen Shoppinghalle mit einer weltweit
wohl einzigen Angebotsvielfalt mit Musik und Klamotten eingedeckt.
Konzerttechnisch stand der Besucher wie immer vor der Qual der
Wahl und Murphy’s Law schlug immer mal wieder zu, wenn zwei
Bands, die man sehen wollte, zeitgleich an unterschiedlichen Orten
in der Stadt spielen. Leider mussten Besucher auch dieses Jahr
wieder lange Wartezeiten aufgrund des großen Andrangs zu
einzelnen Konzerten am Einlass einplanen, besonders am Kohlrabizirkus
und im Werk II.
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Fotos ::
FREITAG
25.05.2007
Die AGRA-Halle,
Mainstage des Hauptgeländes, wurde entgegen den Vorjahren
erst ab ein 1.00h bespielt. Somit fiel die traditionelle Eröffnungszeremonie
weg. Ein mehr als adäquater Ersatz fand am späten Abend
am Völkerschlachtsdenkmal statt, das, unterlegt mit Wagnerianischen
Bombast von IN THE NURSERY, im Rahmen einer Lichtperformance
in verschiedenen Farben angestrahlt wurde. Ich war diesem Zeitpunkt
allerdings im Werk II, in dem bereits ab 15.00h Konzerte stattfanden.
Mangels Konzertalternativen am Nachmittag war es in der alten
Industriehalle auch dementsprechend voll und stickig, während
unter freiem Himmel am Völkerschlachtsdenkmal im strömenden
Regen vor 10.000 Menschen – die Veranstaltung war für
alle zugänglich - getrommelt und geleuchtet wurde.
So spielten PZYCHOBITCH im Werk II bereits vor
einem zahlreichen Publikum auf. Sina, Femme Fatale und Frontfrau
der Elektro-Ruhrpöttler stolzierte dieses Mal im Kleid auf
der Bühne herum und nicht mehr im Schlabberlook wie bei früheren
Auftritten der Formation. Die Dame zog mal wieder die Blicke der
männlichen Besucher auf sich und lieferte eine routinierte
Show ab. Keine Wunder, ist Sina ja mittlerweile auch schon ein
paar Jährchen in der Electro- und Industrialszene dabei.
Insgesamt war es ein guter Gig ohne Höhen und Tiefen, auch
wenn mich die Musik, die ja genreübergreifend mit Hip-Hop-Elementen
flirtet, nicht unbedingt anspricht. Sinas zwei Kompagnons hinter
der Technik hielten sich eher im Hintergrund und zappelten Artig
hinter ihren Equipment. Nur einmal gab es einen Ausbruch in Form
einer trashigen Luftgitarrenperformance. Aktuelle Songs wie Pussy
Gang wurden vom Publikum wohlwollend aufgenommen, fleißig
beklatscht und betanzt, nur der damals von [:SITD:]
veredelte Hit Wake Me Up blieb leider außen vor.
Konnte man sich über den Konzertsound von PZYCHOBITCH
absolut nicht beklagen, hatten die folgenden IN STRICT
CONFIDENCE leider unter dem soundtechnischen Griff ins
Klo zu leiden. Mit etlichen Hits im Gepäck konnte aber dennoch
nicht viel anbrennen. So ging das Hitfeuerwerk der Formation um
Sänger Dennis Ostermann des Öfteren im Soundmatsch unter.
Der Opener Promised Land, eines meiner Lieblingslieder
des letzten Jahres, war ärgerlicherweise auch davon betroffen.
Den von Sängerin Anje Schultz getragenen Refrain konnte man
leider überhaupt nicht hören - ihr Mikro war wohl nicht
genug ausgesteuert. Der Sound bessert sich leider erst spät,
so dass nach und nach die Sängerin wie auch Schlagzeug und
E-Gitarre besser zur Geltung kamen und die Songs endlich mit Schmackes
durch die Halle rummsten. Hits wie Zauberschloss und
Engelsstaub durften in der Setlist natürlich nicht
fehlen und wurden von den Fans gebührend abgefeiert. Offenbar
waren viele der Zuschauer wegen IN STRICT CONFIDENCE
im Werk II, denn ein nicht geringer Teil verließ nach dem
Gig die Halle; man konnte schon fast von einem teilweisen Austausch
des Publikums sprechen.
Nun drängten Fans von Oswald Henke und seinem Projekt FETISCH:MENSCH
in die stickige Location und ich musste erst einmal flüchten,
um frische Luft zu schnappen. Draußen bauten sich nach einiger
Zeit dunkle Wolkenungetüme auf – Zeit wieder zurück
in die Halle zu gehen. Das dachten sich auch wohl einige EBMler,
die offensichtlich wegen ABSOLUTE BODY CONTROL
vor der Halle warteten. Jedenfalls bekam ich so noch zwei Songs
von FETISCH:MENSCH mit, darunter eine Coverversion
von Ideals Erschießen und eine weitere Bestätigung,
das mir Projekte mit Henke nicht zusagen. Die anwesende treue
Fanbase zeigte sich aber begeistert. Gig fertig, Henke-Anhänger
aus der Halle raus und EBMler zumeist älteren Semesters rein.
Deshalb die Frage, weshalb das Projekt nicht irgendwo anders,
zusammen mit artverwandten Kapellen platziert werden konnte?
Zeit also für Elektro der etwas oldschooligeren Art in der
nicht mehr ganz so vollen Halle unter nun etwas angenehmeren Temperaturen.
Die Electrourgesteine Dirk Ivens und sein Kollege Eric van Wonterghem
haben sich zusammengetan, um die 1980 gegründete jedoch wenige
Jahre später wieder aufgelöste Legende ABSOLUTE
BODY CONTROL für ein paar Livegigs wieder aufleben
zu lassen und eine Geschichtsstunde in Sachen wegweisenden Electros
abzuhalten. Im fahlen Bühnenlicht des Werk II gab Dirk Ivens
eine Kostprobe seiner jahrzehntelangen Bühnenerfahrung. Man
merkte sofort, dass jede Pose des Belgiers saß. Zum Glück
blieb das Publikum von den sonst so typischen und etwas anstrengenden
Stroboskopattacken seiner Soloauftritte verschont. Die Musik von
ABSOLUTE BODY CONTROL dröhnte nicht so finster
wie Dirks späteres Projekt The Klinik aus der PA, hatte aber
manchmal fast poppige Momente. Die anwesenden Electroheads zeigten
sich angesichts der kultigen Sounds und des seltenen Auftritts
glücklich. Sie konnten äußerst zufrieden nach
draußen entlassen werden.
Nachdem die Agra-Halle den ganzen Tag konzerttechnisch nicht beansprucht
wurde, luden THE RETROSIC, die deutschen Endzeit-Elektroniker
und einstigen :Wumpscut:-Klone bzw. designierten Nachfolger der
Ikone zu ihrer weit im Vorfeld und mit viel Tamtam angekündigten
Livepremiere in die größte Konzertlocation des WGTs.
In Erwartung eines großen Besucheransturms gebot es sich,
rechtzeitig zur Halle zu pilgern. Vor Ort dann die Entwarnung:
Keine wartenden Menschenmassen, sondern ein relaxter Einlass.
Drinnen war die große Halle schon ordentlich gefüllt,
aber alles andere als picke packe voll und auf zwei Großbildleinwänden
im Widescreenformat wurde ein Countdown eingeleitet. Rudy Ratzinger
aka :Wumpscut: als einstiger König des Endzeit-Elektros hat
ja den Schritt auf die Konzertbühne nie vollzogen. Dementsprechend
hoch waren die Erwartungen, die an die Jungs von THE RETROSIC
geknüpft wurden. Diejenigen, die auf dem Campingplatz lieber
ihr Bier oder ihren Met gezischt haben, sollten es jedenfalls
bereuen, nicht in der AGRA-Halle gewesen zu sein. THE
RETROSIC gingen entgegen meiner Befürchtungen nicht
baden und fuhren einiges an Showelementen auf. Allein das Bühnenlayout
mit Schlagzeug und Synthies auf zwei riesigen Podesten und mittig
postierte Großleinwände machten einiges her. Doch damit
nicht genug: Tänzerinnen, merkwürdige fahnenschwenkende
Fetischwesen und ein später herein geschobenes Rednerpult
komplettierten die Arrangements. Als geschmacklich für manche
der Anwesenden sicherlich grenzwertiger Höhepunkt wurde ganz
im Stil des Desperate-Youth-Videos ein Mann mit Fleischerhaken
in den Armen an Ketten in die Höhe gezogen. Mittendrin auf
der großen Bühne wuselte Sänger Cyrus herum, der
im Vorfeld offenbar lange an seiner Performance gefeilt hatte.
Leider wirkte aber manchmal alles etwas zu einstudiert –
bis auf etwas unbeholfene Einlagen seiner Bandmitglieder. Cyrus
brachte genau jene Posen, die man von Promofotos der Band her
erwartet hatte, betrieb aber kaum Interaktion mit dem Publikum,
weshalb alles etwas steif wirkte und eine zu starke Choreographiertheit
Spontaneität vermissen ließ. Vielleicht war dies auch
ein Grund, weshalb der Funke will trotz großartiger Songs
in für AGRA-Verhältnisse exzellenter Soundqualität
wie Maneater, Bloodsport, Antichrist, The Storm, Dragonfire,
New World Order etc. bei einem nicht gerade kleinen Teil
des Publikums kaum überspringen wollte. Irgendwann war das
Set am Ende angelangt. Keine Zugaben. Dennoch kann man von einem
beeindruckenden Live-Debüt einer der führenden deutschen
Elektroformationen sprechen und hoffen, dass dies nicht deren
erste und letzte Livedarbietung war.
Samstag,
26.05.07
Die Italienische
Neoklassik-Formation ATARAXIA trat auf diesem
WGT gleich zweimal auf. Statt des meist übel
überfüllten und dementsprechend stickigen Ankers entschied
ich mich für die mit Paris Spleen betitelten Performance
im Schauspielhaus. Wie sich herausstellen sollte, war dies eine
gute Entscheidung, denn das Schauspielhaus bot ein opulentes Ambiente
und beste Rahmenbedingungen für die Show der Legende mit
der so charakteristischen Stimme von Sängerin Franceska.
Auf der gleichnamigen CD huldigen ATARAXIA einer
imaginären und exzentrischen Künstlergruppe und ihres
Kabarett-Auftritts im Paris des Jahres 1906. Also genau das Richtige
für den späten Nachmittag. Da fehlte nur noch das Glas
Absinth und ein Gedichtband von Baudelaire. Nachdem gute Plätze
gesichert und die Sitznachbarn gleich nach dem ersten Lied geflüchtet
waren, konnte es also richtig losgehen. Die Italiener zogen in
den kommenden anderthalb Stunden jedenfalls alle Register, um
das Auditorium um mehr als hundert Jahre zurück zu versetzen.
In unzähligen, teils grotesken Kostümierungen spielte
das Ensemble mit vielfältigen, kaum zu beschreibenden musikalischen
Elementen und baute in seine Darbietung immer wieder schauspielerische
Einlagen ein. Franceska sang größtenteils auf Französisch
und war wie auf CD ein absoluter Ohrenschmaus, wenngleich manche
Kiekser etwas anstrengend wirkten. Ihre Bandkollegen an Gitarre,
Percussions und Keyboard zeigten technische Versiertheit und schauspielerisches
Geschick, das vom Publikum mit Gelächter und tosendem Applaus
am Ende der Show entsprechend honoriert wurde. So waren die Italiener
ganz verlegen, weil sie keine Zugabe mehr einstudiert hatten.
So musste eben der durch die Doors bekannt gewordene Alabama
Song von Kurt Weill und Bertolt Brecht gleich zweimal gespielt
werden. Schön und reichlich abgefahren war’s.
Weiter ging
es mit einem absoluten Kontrastprogramm. ROTERSAND,
die gefeierten deutschen Electrohelden, deren neues Album 10 23
in den Startlöchern steht, sorgten für eine gut gefüllte
AGRA-Halle und reichlich stickige Luft. Sänger Rasc und seine
beiden Mitstreiter Gun und Krischan liefern einen professionellen
wie routinierten Gig ab und hatten durch das sympathisch lockere
Auftreten das Publikum im Gegensatz zu The Retrosic in der Nacht
zuvor sofort im Griff – ausgestreckte Hände bis in
die hintersten Reihen. Die Ruhrpöttler ballerten einen Hit
nach den anderen ins Publikum und konnten so überhaupt nichts
falsch machen. Zu Electronic World Transmission stieg
Tom von [:SITD:] mit ins Boot ein und lieferte
sich auf der Bühne mit Rasc ein Laufduell. Da konnten selbst
technische Probleme keinen Strick aus der Sache mehr machen. So
wurde der Einstieg zu Undone mal eben schnell a capella
durchgezogen. Als Bonus zockten ROTERSAND einen
neuen Song namens Lost vom kommenden Album – eine
solide Nummer mit ordentlichem Beat, die mich jetzt allerdings
beim ersten Hören nicht vom Hocker haute. Die miesen Luftverhältnisse
ließen mich jedoch gleich nach den letzten Tönen aus
der Halle flüchten.
Sonntag,
27.05.07
Der dritte
Festivaltag sollte ganz im Zeichen des schwedischen Labels Cold
Meat Industry stehen. Leider waren Bands dieses Labels in den
letzten Jahren eher spärlich bis gar nicht vertreten. Früher
gab es dagegen in Leipzig eigentlich regelmäßig Cold
Meat zum Fraß. Vom Nachmittag bis in den frühen Abend
hinein standen Konzerte im UT Connewitz auf dem Plan, einem alten
Kino, wohl aus den goldenen 20ern, das nun im total heruntergekommenen
Zustand einen unglaublich coolen, morbiden Charme versprüht.
Teilweise befinden sich an den Seiten des Kinosaals noch Sitzreihen,
die Leinwand ist von Stuckresten umrahmt. Bereits vor Beginn des
ersten Konzertes war die Luft zum Zerschneiden und es wurde gleich
klar, dass heute Standvermögen gefragt war.
Draußen spielten sich allerdings äußerst unschöne
Szenen ab. Bei meinem Eintreffen befand sich ein kleineres Grüppchen
von offenbar linksautonomen Gestalten vor dem Veranstaltungsort,
das vor dem Einlass wartende Besucher anpöbelte und als „scheiß
Nazis“ beschimpfte. Habe ich da irgendwas verpasst? Weder
das Label Cold Meat Industry noch die vier an diesem Nachmittag
auftretenden Bands sind mir durch irgendwelche rechten Tendenzen
oder durch entsprechende Anschuldigungen aus der antifaschistischen
Ecke bekannt. Wenige Jahre zuvor traten im unweit entfernten Werk
II regelmäßig Bands des Labels auf und es gab nie Probleme.
Jedenfalls hatten sich die Aktivisten aus unerfindlichen Gründen
offenbar auf STORMFÅGEL eingeschossen,
denn es wurde an der gegenüberliegenden Hauswand ein Transparent
mit dem Aufdruck „STORMFÅGEL abschießen.
WGT – nazifrei“ befestigt. Umgehend
distanzierte sich die Formation auf ihrer Website (http://www.stormfagel.com/)
von den Vorwürfen. So weit, so gut. Schlechte Recherche und
ungerechtfertigte Anschuldigungen samt Protestaktionen ist man
ja aus der antifaschistischen Ecke gewohnt, aber was sich später
in Connewitz abspielte, schlug dem Fass dann den Boden aus. Wie
Polizei, lokale Presse und Betroffene berichteten, kam es wenig
später zu gewalttätigen Angriffen auf wartende Festivalbesucher
durch etwa 70 gewaltbereite Radikale. Des Weiteren flogen Steine
auf zwei Straßenbahnen. Als Folge der Krawallaktionen mussten
mehrere verletzte WGT-Besucher ärztlich
behandelt werden. Später dann erhöhte Polizeipräsenz
vor Ort. Der Stadtteil Connewitz gilt als Hochburg der linken
Szene Leipzigs. Deshalb sollte sich der Veranstalter gut überlegen,
künftig keine Konzerte aus der Neofolk- und Industrial-Ecke
in Connewitz mehr zu veranstalten, da die Sicherheit der Festivalbesucher
offenbar nicht gewährleistet werden kann. In anderen Gebieten
der Stadt, wie beispielsweise bei Konzerten im Anker im Norden
Leipzigs, gab es dieses Jahr dagegen keine Probleme. Es lässt
sich natürlich nicht leugnen, dass einzelne Bands aus der
Neofolk- und Industrial- wie auch Blackmetalszene unter Umständen
auch Publikum mit braunem Gedankengut anziehen und Konzertbesucher
teilweise uniformartig gekleidet waren, aber hier sind Kontrollen
durch die Veranstalter und fundiert recherchierte Aufklärungsarbeit
gefordert. So wurden z. B. im Konzertsaal einzelne Besucher mit
einer Taschenlampe nach verdächtigen Symbolen untersucht.
Das Tragen einer Uniform allein lässt jedoch in keiner Weise
Rückschlüsse auf die politische Gesinnung der Person
dahinter zu. Mit dieser Aktion hat sich die Antifa durch ideologisch
motivierte Gewalt gegen friedliche Musikfans auf die gleiche Stufe
mit geistig unterbelichteten Neonazis gestellt, sich somit ein
dickes Eigentor geleistet und dem ansonsten seit vielen Jahren
friedlichen WGT für so manchen Besucher (mich eingeschlossen)
einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.
So, jetzt endlich wieder zurück zur Musik! STORMFÅGEL,
der Stein des Anstoßes, eröffneten den Reigen im UT
Connewitz. Mir vorher gänzlich unbekannt, lieferten die Skandinavier
einen unspektakulären Auftritt ab. Sängerin Eva im folkoristisch
anmutenden Outfit trug die Texte auf ungarisch und schwedisch
vor, wobei ihre Stimme recht dominant im Vordergrund stand und
so der restliche, teils martialische Neofolk, angereichert mit
orchestralem Bombast etwas ins Hintertreffen geriet und den Gig
mit zunehmender Dauer zu einer anstrengenden Angelegenheit machte.
Ein langsames Herantasten mit der heimischen Musikanlage an die
mit Sicherheit nicht schlechte Musik STORMFÅGELs
erscheint da als der leichtere Weg. Kurios das Hintergrundvideo:
Eine geschlagene Stunde lang gab es Handkameraaufnahmen in Blair-Witch-Manier
zu sehen.
Der darauf folgende Auftritt von COPH NIA geriet
glücklicherweise zu einer kurzweilig lockeren Angelegenheit.
Sänger Aldenon Sartorial machte im schwarzen Anzug auf der
Bühne einen sympathischen Eindruck beim Rezitieren seiner
Botschaften zu getragenen Synthieflächen aus der Konserve
und hatte bei tropischen Temperaturen die Ruhe weg, selbst als
ihm zwischendurch ein obskur anmutendes Streichinstrument Probleme
bereitete. Kompagnon Linus Andersson setzte durch leichtes Getrommel
die nötigen Akzente und bekam ab und zu einen Schluck Wein
vom Sänger ab, bevor Aldenon die Flasche ins Publikum reichte.
Insgesamt spielten die beiden ein ruhiges Set mit einer äußerst
coolen, nur durch Synthieflächen getragenen Coverversion
von Sympathy For The Devil. Beim Klassiker To Fix
The Shadow besang er die „Flowers Made Of Snow“.
Eine Bühnenshow in dem Sinne gibt es keine, nur ab und an
ging der Sänger gemächlich zu seinem am Bühnenrand
stehenden Powerbook, um die Songs zu starten. Nur einmal entfesseln
COPH NIA das Biest. Bei Holy War von
der gleichnamigen EP wurde aus dem verschmitzt freundlichen Gesicht
eine hässliche, wutentbrannte Fratze. Das Publikum zeigte
sich begeistert!
Nun wurde es Zeit für den Cold Meat Label Chef persönlich.
Nach dem Durchlesen von Konzertberichten über halbnackte
Männer in Strumpfhosen auf der Bühne war die Erwartungshaltung
an Roger Karmaniks Industrialprojekt BRIGHTER DEATH NOW
in gewisser Hinsicht hoch. Statt einer biergeschwängerten
Performance mit hohem Kinkyfaktor gab es für die letzten
Überlebenden der stickigen Luft im Saal aber dennoch eine
gehörige Portion auf Augen und Ohren. Roger kam mit zwei
Bier und einer Wasserflasche bewaffnet auf die Bühne, sein
Equipment stand auf einem alten Küchentisch, machte sich
flugs ein Bier an der Tischkante auf, sprach eine Widmung aus
und los ging’s. Film ab! Der Auftritt von BRIGHTER
DEATH NOW bot ordentlich Gesprächsstoff, denn was
man auf der alten Leinwand sah, war nichts für Zartbesaitete
sondern eher was für Hartgesottene. Rogers Performance konnte
man eher als Livesoundtrack zum auf der Leinwand gezeigten Film
verstehen. Ab und an fummelte der Chef an seinem Equipment herum,
trank einen Schluck Bier oder strich über seinen Bart. Währenddessen
verließ etwa ein Drittel den Saal. Wegen des Films oder
wegen der mittlerweile wirklich üblen klimatischen Verhältnisse?
Und was wurde auf der Leinwand nun gezeigt? Ein obskurer Film
über einen Pathologen - eine ältere Gestalt mit meist
getönter großdimensionierter Brille auf der Nase. Der
Blick auf seinen Arbeitsalltag gestaltete sich am Anfang noch
recht harmlos, bis dann später stark verweste (Wasser-)Leichen
seziert, in Einzelteile zerlegt und in Flüssigkeit eingelegt
wurden. Passend dazu steigerte sich die Musik von Anfangs wummernden
Ambientcollagen, hin zu einem gesteigerten Lärmanteil, währenddessen
auf der Leinwand immer wieder Nahaufnahmen der wippenden, schmutzigweißen
Arztlatschen zu sehen waren.... Also eine Performance für
Leute mit krankem, rabenschwarzem Humor. Diese dankten dem Schweden
jubelnder weise und ließen mit der Videofunktion ihrer Digicams
die Speicherkarten glühen. Roger prostete am Ende dem Publikum
zu, ging von der Bühne und freute sich wahrscheinlich diebisch
über jeden einzelnen, der die Show wegen des expliziten Bildmaterials
nicht durchgehalten hat. Das folgende Dark Ambient Projekt DESIDERII
MARGINIS habe ich mir wegen der unerträglichen Luft
im Laden dann nicht mehr gegeben.
Draußen vor dem UT Connewitz hatte sich nun Polizei in Kampfmontur
postiert und die Security im Eingangsbereich der Location schien
verstärkt. Zum Glück hielten sich keine offensichtlichen
Antifa-Aktivisten mehr vor dem Laden auf, so dass ich ohne Probleme,
mit einem Shirt des „Nazi-Labels“ Cold Meat Industry
bekleidet, die Straßenbahn erreichen konnte. Berichten zufolge
soll es zu diesem Zeitpunkt jedoch im weiteren Umfeld des UT Connewitz
noch Übergriffe gegeben haben. Nach einer kurzen Stärkung
ging’s weiter zum Anker in den Norden Leipzigs zum Teil
zwei des Konzertprogramms. Dort waren zum Glück keine Aktivisten
vor Ort, so dass einem ruhigen und friedlichen Konzertabend nichts
mehr im Wege stehen konnte.
Der Anker war schon ganz gut gefüllt, als die italienische
Formation ALL MY FAITH LOST aufspielte und den
Hörer mit sanft anmutenden neoklassischen Klängen umschmeichelte.
Das Klangbild war leider so fein und ruhig, dass es mich aus der
Hektik dieses Tages nicht mehr herauskitzeln konnte. Violas zarte
Stimme und Erscheinung hinter dem Keyboard, Federico an der Gitarre
plus Unterstützung an der Violine zauberten ein dichtes und
differenziertes Klangbild, das zum Träumen verleiten sollte.
Bei mir wollte und wollte der Funke aber nicht überspringen.
Schade. Dem Publikum hat es dem Applaus nach zu urteilen aber
ganz gut gefallen.
Etwas kraftvoller und akzentuierter gingen LUX INTERNA
zu Werke. Die fünf US-Amerikaner boten netten Folk Noir feil,
wobei die Songs in der Gesamtschau Abwechslungsreichtum vermissen
ließen, durch die reiche Instrumentierung auf der Bühne
aber ein volles Klangbild wie zum Beispiel bei Horizon erschufen,
das in Sachen Soundqualität Studioveröffentlichungen
kaum nachstand. Bei einigen Liedern stand Henryk Vogel der Dresdner
Neofolkern Darkwood hinter den Percussions und performte an dieser
Stelle zur großen Freude des Publikums den „Hit“
Der Falken Flug. Dennoch fand ich den Auftritt von LUX
INTERNA leicht ermüdend.
Der Anker füllte sich mehr und mehr. Vermutlich kamen viele
wegen des späteren Headliners Ataraxia. Offenbar nicht wenige
allerdings wegen des Senkrechtstarters ROME.
Der Luxemburger Jerome Reuter gründete das Projekt in 2005
und war in kurzer Zeit äußerst produktiv: Zwei Alben
und eine EP sind auf dem Markt, wobei das letzte Album Confessions
d’Un Voleur d’Ame wirklich exzellent
ist. Jeromes Verständnis apokalyptischer und martialischer
Musik steht zwischen allen Genre-Schubladen. Dies und eine Gewisse
poppige Note einiger Kompositionen machen den Reiz des Projektes
aus. Die Bühnenperformance von ROME war
aber eine eher flaue Angelegenheit. Man konnte von einem eher
zurückhaltenden Auftritt sprechen. Jerome stand auf der Bühne
im Mittelpunkt - ohne viele Gesten und Mimik trug er seine Songs
vor. Die vielen Feinheiten im Sound gingen allerdings live etwas
unter. Wenigstens wurde er an den Percussions und am E-Bass unterstützt.
Einzelne Songs wie Querkraft werden spontan bejubelt.
Insgesamt zeigte sich das Publikum mit ROME sehr
zufrieden. Am Ende des regulären Sets stellten sich die drei
Musiker mit dem Rücken zum Publikum und schauten auf die
Tausende von Soldaten, die auf der Videoprojektion in Reih und
Glied durchs Bild marschierten. ROME kehrten
jedoch für eine Zugabe zurück und gaben noch einen neuen
Song zum Besten. Ein Ende der Produktivität ist zum Glück
also noch nicht abzusehen!
Die folgenden ATARAXIA hatten am Vortag ja schon
im Schauspielhaus alles gegeben, so dass ich nach diesem langen
und ereignisreichen Konzerttag in einem letzten Schlusssprint
noch einmal alle verbliebenen Kräfte mobilisieren musste,
um die Straßenbahn zum Schlafquartier zu erreichen.
Montag,
28.05.07
Nach der geballten
Ladung Musik abseits des schwarzen Mainstreams vom Vortage ging
es zum Abschluss dieses WGTs noch einmal zu einem
ordentlichen Schuss Elektro in den Kohlrabizirkus. Die riesige
Kuppelhalle dürfte nach der AGRA-Halle als Ablösung
des sehr weit von der City entfernt liegenden Haus Auensee die
zweitgrößte Konzerthalle des Festivals sein. Draußen
vor der Halle hatte sich eine riesige Schlange gebildet, da sich
der Einlass anscheinend äußerst schleppend vollzog,
so dass wohl nicht wenige Besucher HEIMATAERDE
verpasst haben.
Die waren mit ihrem Set allerdings schon fertig, als ich die Halle
erkundete, welche allerdings in ihrem hinteren Bereich noch viel
Platz für weitere Besucher bot. Die US-Amerikaner DISMANTLED
um Mastermind Gary Zon wurden von vielen Fans bereits sehnlich
erwartet, haben sie sich live bislang äußerst rar gemacht.
Nach dem Dependent-Festival in den Niederlanden am Freitag zuvor
müsste dies sozusagen ihr zweiter Europagig gewesen sein.
Die Erwartungshaltung des Elektropublikums war also hoch, hat
der noch recht junge Gary doch qualitativ recht beeindruckende
Veröffentlichungen am Start, von denen sein letztes Album
Standard Issue locker als DAS Electroalbum
des letzten Jahres durchgeht. Habe ich das Konzert von Frontline
Assembly, die den Amerikaner anfangs maßgeblich beeinflussten,
auf dem letzten M’Era Luna derbe verrissen, so war das,
was die drei oben auf der Bühne ablieferten eine wahrlich
stümperhafte Performance. Bereits beim Opener Anthem
offenbarten sich massive Probleme mit dem Gesamtsound und die
Stimme des Sängers ließ mehr als zu wünschen übrig.
So verpuffte auch aufgrund des schlechten Zusammenspiels der Drums
von Jon Siren sowie der Keys, die Brian DiDomenico waghalsig malträtierte,
der komplexe Sound von DISMANTLED unter der Kuppel
des Kohlrabizirkus. Gary gab sich auf der Bühne sichtlich
Mühe, den aggressiven Frontmann zu mimen, in dem er sich
auf dem Boden wälzte, eine im Hintergrund stehende Puppe
in ihre Einzelteile zerlegte und der Keyboarder zum Ende hin sein
Instrument zerkloppte, aber der absolut miese Sound erstickte
jegliche aufkeimende Stimmung in ihrem Kern. Die Setlist beschränkte
sich im Wesentlichen mit Songs wie Breed To Death oder
Thanks For Everything auf den letzten Longplayer, teils
wurden mit Purity (?) und The Swarm auch ältere
Werke mit einbezogen. Als die Amis von der Bühne gingen,
fiel das einstimmige Urteil im Bekanntenkreis milde formuliert
in etwa so aus: Das war wohl nichts!
Nach Dismantled erhielt nun der pure Minimalismus Einzug. Es benötigt
einzig ein Tischchen mit ein wenig Equipment drauf, einen kompetenten
DJ dahinter sowie die ultimative Rampensau des Electros davor,
um die komplette Halle in Ekstase zu versetzen. Das Duo Terence
FIXMER und Douglas MCCARTHY
war in absoluter Topform und ballerte in allerbester Soundqualität
Granaten der Techno Body Music wie Freefall, Destroy, Splitter
oder You Want It unter die Leipziger Donnerkuppel. Eine
technoisierte Fassung von Nitzer Ebbs Control I’m Here
tat ihr übriges. Es brauchte nur wenige Lieder bis Douglas
oberhalb der Gürtellinie nur noch mit seiner Pilotenbrille
bekleidet war und den Electrofans seinen gestählten Körper
präsentierte, was die Eindringlichkeit seiner Gesten nur
noch weiter bestärkte. Ach, was soll ich an dieser Stelle
noch weiter schreiben? Es war kurzum der beste Gig des Duos, den
ich bisher gesehen habe und das für mich beste Konzert dieses
WGTs. Punkt. Ende. Aus.
Fazit:
Mit einem Spitzengig ging ein leider etwas durchwachsenes 16.
Wave-Gotik-Treffen zu Ende. Die letztes Jahr oft vorgebrachte
Kritik bezüglich der Verlegung des heidnischen Dorfes auf
den Campingplatz wegen einer absolut unnötigen Konkurrenzveranstaltung
im Torhaus Dölitz hat offenbar gewirkt. Dieses Jahr hatten
die Mittelalteranhänger wieder ihren angestammten Platz und
die Zeltenden wieder etwas mehr Platz. Jetzt gilt es, die Planungen
für das 17. WGT so abzustimmen, dass unschöne
Vorfälle wie in Connewitz nicht wieder vorkommen.