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2007-05-25-28 DE – Leipzig

Acht Mal habe ich bislang am alljährlichen Treffen schwarz gekleideter Gestalten in Leipzig teilgenommen und bin – vom chaotischen Treffen im Jahr 2000 ausgenommen – eigentlich immer mit Erinnerungen an ein schönes Festival wehmütig zurückgefahren. Das diesjährige WAVE GOTIK TREFFEN hat mich allerdings nicht hundertprozentig überzeugt. Dies mag zum einen an ein paar enttäuschenden Konzerten und dem Fehlen eines für mich absoluten Konzerthighlights liegen (vielleicht war ich ja einfach auf den falschen Konzerten?), aber darüber hinaus definitiv auch an unschönen Vorfällen, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Jedenfalls war die 16. Auflage des WAVE GOTIK TREFFEN alles in allem ein dennoch schönes Festival mit zumeist trockenem, aber manchmal doch etwas zu heißem Wetter. Das obligatorische Schaulaufen auf dem „Laufsteg“ des AGRA-Geländes offenbarte wieder einmal bestaunenswert fantasievolle Outfits. Neonfarben und Puschel liegen anscheinend zum Glück nicht mehr ganz so im Trend wie in den letzten Jahren. Darüber hinaus hat man so manche alte Freunde wieder gesehen, die man zumeist nur einmal im Jahr in Leipzig auf dem WGT trifft und sich in der zentralen Shoppinghalle mit einer weltweit wohl einzigen Angebotsvielfalt mit Musik und Klamotten eingedeckt. Konzerttechnisch stand der Besucher wie immer vor der Qual der Wahl und Murphy’s Law schlug immer mal wieder zu, wenn zwei Bands, die man sehen wollte, zeitgleich an unterschiedlichen Orten in der Stadt spielen. Leider mussten Besucher auch dieses Jahr wieder lange Wartezeiten aufgrund des großen Andrangs zu einzelnen Konzerten am Einlass einplanen, besonders am Kohlrabizirkus und im Werk II.

:: Fotos ::

FREITAG 25.05.2007

Die AGRA-Halle, Mainstage des Hauptgeländes, wurde entgegen den Vorjahren erst ab ein 1.00h bespielt. Somit fiel die traditionelle Eröffnungszeremonie weg. Ein mehr als adäquater Ersatz fand am späten Abend am Völkerschlachtsdenkmal statt, das, unterlegt mit Wagnerianischen Bombast von IN THE NURSERY, im Rahmen einer Lichtperformance in verschiedenen Farben angestrahlt wurde. Ich war diesem Zeitpunkt allerdings im Werk II, in dem bereits ab 15.00h Konzerte stattfanden. Mangels Konzertalternativen am Nachmittag war es in der alten Industriehalle auch dementsprechend voll und stickig, während unter freiem Himmel am Völkerschlachtsdenkmal im strömenden Regen vor 10.000 Menschen – die Veranstaltung war für alle zugänglich - getrommelt und geleuchtet wurde.
So spielten PZYCHOBITCH im Werk II bereits vor einem zahlreichen Publikum auf. Sina, Femme Fatale und Frontfrau der Elektro-Ruhrpöttler stolzierte dieses Mal im Kleid auf der Bühne herum und nicht mehr im Schlabberlook wie bei früheren Auftritten der Formation. Die Dame zog mal wieder die Blicke der männlichen Besucher auf sich und lieferte eine routinierte Show ab. Keine Wunder, ist Sina ja mittlerweile auch schon ein paar Jährchen in der Electro- und Industrialszene dabei. Insgesamt war es ein guter Gig ohne Höhen und Tiefen, auch wenn mich die Musik, die ja genreübergreifend mit Hip-Hop-Elementen flirtet, nicht unbedingt anspricht. Sinas zwei Kompagnons hinter der Technik hielten sich eher im Hintergrund und zappelten Artig hinter ihren Equipment. Nur einmal gab es einen Ausbruch in Form einer trashigen Luftgitarrenperformance. Aktuelle Songs wie Pussy Gang wurden vom Publikum wohlwollend aufgenommen, fleißig beklatscht und betanzt, nur der damals von [:SITD:] veredelte Hit Wake Me Up blieb leider außen vor.
Konnte man sich über den Konzertsound von PZYCHOBITCH absolut nicht beklagen, hatten die folgenden IN STRICT CONFIDENCE leider unter dem soundtechnischen Griff ins Klo zu leiden. Mit etlichen Hits im Gepäck konnte aber dennoch nicht viel anbrennen. So ging das Hitfeuerwerk der Formation um Sänger Dennis Ostermann des Öfteren im Soundmatsch unter. Der Opener Promised Land, eines meiner Lieblingslieder des letzten Jahres, war ärgerlicherweise auch davon betroffen. Den von Sängerin Anje Schultz getragenen Refrain konnte man leider überhaupt nicht hören - ihr Mikro war wohl nicht genug ausgesteuert. Der Sound bessert sich leider erst spät, so dass nach und nach die Sängerin wie auch Schlagzeug und E-Gitarre besser zur Geltung kamen und die Songs endlich mit Schmackes durch die Halle rummsten. Hits wie Zauberschloss und Engelsstaub durften in der Setlist natürlich nicht fehlen und wurden von den Fans gebührend abgefeiert. Offenbar waren viele der Zuschauer wegen IN STRICT CONFIDENCE im Werk II, denn ein nicht geringer Teil verließ nach dem Gig die Halle; man konnte schon fast von einem teilweisen Austausch des Publikums sprechen.
Nun drängten Fans von Oswald Henke und seinem Projekt FETISCH:MENSCH in die stickige Location und ich musste erst einmal flüchten, um frische Luft zu schnappen. Draußen bauten sich nach einiger Zeit dunkle Wolkenungetüme auf – Zeit wieder zurück in die Halle zu gehen. Das dachten sich auch wohl einige EBMler, die offensichtlich wegen ABSOLUTE BODY CONTROL vor der Halle warteten. Jedenfalls bekam ich so noch zwei Songs von FETISCH:MENSCH mit, darunter eine Coverversion von Ideals Erschießen und eine weitere Bestätigung, das mir Projekte mit Henke nicht zusagen. Die anwesende treue Fanbase zeigte sich aber begeistert. Gig fertig, Henke-Anhänger aus der Halle raus und EBMler zumeist älteren Semesters rein. Deshalb die Frage, weshalb das Projekt nicht irgendwo anders, zusammen mit artverwandten Kapellen platziert werden konnte?
Zeit also für Elektro der etwas oldschooligeren Art in der nicht mehr ganz so vollen Halle unter nun etwas angenehmeren Temperaturen. Die Electrourgesteine Dirk Ivens und sein Kollege Eric van Wonterghem haben sich zusammengetan, um die 1980 gegründete jedoch wenige Jahre später wieder aufgelöste Legende ABSOLUTE BODY CONTROL für ein paar Livegigs wieder aufleben zu lassen und eine Geschichtsstunde in Sachen wegweisenden Electros abzuhalten. Im fahlen Bühnenlicht des Werk II gab Dirk Ivens eine Kostprobe seiner jahrzehntelangen Bühnenerfahrung. Man merkte sofort, dass jede Pose des Belgiers saß. Zum Glück blieb das Publikum von den sonst so typischen und etwas anstrengenden Stroboskopattacken seiner Soloauftritte verschont. Die Musik von ABSOLUTE BODY CONTROL dröhnte nicht so finster wie Dirks späteres Projekt The Klinik aus der PA, hatte aber manchmal fast poppige Momente. Die anwesenden Electroheads zeigten sich angesichts der kultigen Sounds und des seltenen Auftritts glücklich. Sie konnten äußerst zufrieden nach draußen entlassen werden.
Nachdem die Agra-Halle den ganzen Tag konzerttechnisch nicht beansprucht wurde, luden THE RETROSIC, die deutschen Endzeit-Elektroniker und einstigen :Wumpscut:-Klone bzw. designierten Nachfolger der Ikone zu ihrer weit im Vorfeld und mit viel Tamtam angekündigten Livepremiere in die größte Konzertlocation des WGTs. In Erwartung eines großen Besucheransturms gebot es sich, rechtzeitig zur Halle zu pilgern. Vor Ort dann die Entwarnung: Keine wartenden Menschenmassen, sondern ein relaxter Einlass. Drinnen war die große Halle schon ordentlich gefüllt, aber alles andere als picke packe voll und auf zwei Großbildleinwänden im Widescreenformat wurde ein Countdown eingeleitet. Rudy Ratzinger aka :Wumpscut: als einstiger König des Endzeit-Elektros hat ja den Schritt auf die Konzertbühne nie vollzogen. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen, die an die Jungs von THE RETROSIC geknüpft wurden. Diejenigen, die auf dem Campingplatz lieber ihr Bier oder ihren Met gezischt haben, sollten es jedenfalls bereuen, nicht in der AGRA-Halle gewesen zu sein. THE RETROSIC gingen entgegen meiner Befürchtungen nicht baden und fuhren einiges an Showelementen auf. Allein das Bühnenlayout mit Schlagzeug und Synthies auf zwei riesigen Podesten und mittig postierte Großleinwände machten einiges her. Doch damit nicht genug: Tänzerinnen, merkwürdige fahnenschwenkende Fetischwesen und ein später herein geschobenes Rednerpult komplettierten die Arrangements. Als geschmacklich für manche der Anwesenden sicherlich grenzwertiger Höhepunkt wurde ganz im Stil des Desperate-Youth-Videos ein Mann mit Fleischerhaken in den Armen an Ketten in die Höhe gezogen. Mittendrin auf der großen Bühne wuselte Sänger Cyrus herum, der im Vorfeld offenbar lange an seiner Performance gefeilt hatte. Leider wirkte aber manchmal alles etwas zu einstudiert – bis auf etwas unbeholfene Einlagen seiner Bandmitglieder. Cyrus brachte genau jene Posen, die man von Promofotos der Band her erwartet hatte, betrieb aber kaum Interaktion mit dem Publikum, weshalb alles etwas steif wirkte und eine zu starke Choreographiertheit Spontaneität vermissen ließ. Vielleicht war dies auch ein Grund, weshalb der Funke will trotz großartiger Songs in für AGRA-Verhältnisse exzellenter Soundqualität wie Maneater, Bloodsport, Antichrist, The Storm, Dragonfire, New World Order etc. bei einem nicht gerade kleinen Teil des Publikums kaum überspringen wollte. Irgendwann war das Set am Ende angelangt. Keine Zugaben. Dennoch kann man von einem beeindruckenden Live-Debüt einer der führenden deutschen Elektroformationen sprechen und hoffen, dass dies nicht deren erste und letzte Livedarbietung war.

Samstag, 26.05.07

Die Italienische Neoklassik-Formation ATARAXIA trat auf diesem WGT gleich zweimal auf. Statt des meist übel überfüllten und dementsprechend stickigen Ankers entschied ich mich für die mit Paris Spleen betitelten Performance im Schauspielhaus. Wie sich herausstellen sollte, war dies eine gute Entscheidung, denn das Schauspielhaus bot ein opulentes Ambiente und beste Rahmenbedingungen für die Show der Legende mit der so charakteristischen Stimme von Sängerin Franceska. Auf der gleichnamigen CD huldigen ATARAXIA einer imaginären und exzentrischen Künstlergruppe und ihres Kabarett-Auftritts im Paris des Jahres 1906. Also genau das Richtige für den späten Nachmittag. Da fehlte nur noch das Glas Absinth und ein Gedichtband von Baudelaire. Nachdem gute Plätze gesichert und die Sitznachbarn gleich nach dem ersten Lied geflüchtet waren, konnte es also richtig losgehen. Die Italiener zogen in den kommenden anderthalb Stunden jedenfalls alle Register, um das Auditorium um mehr als hundert Jahre zurück zu versetzen. In unzähligen, teils grotesken Kostümierungen spielte das Ensemble mit vielfältigen, kaum zu beschreibenden musikalischen Elementen und baute in seine Darbietung immer wieder schauspielerische Einlagen ein. Franceska sang größtenteils auf Französisch und war wie auf CD ein absoluter Ohrenschmaus, wenngleich manche Kiekser etwas anstrengend wirkten. Ihre Bandkollegen an Gitarre, Percussions und Keyboard zeigten technische Versiertheit und schauspielerisches Geschick, das vom Publikum mit Gelächter und tosendem Applaus am Ende der Show entsprechend honoriert wurde. So waren die Italiener ganz verlegen, weil sie keine Zugabe mehr einstudiert hatten. So musste eben der durch die Doors bekannt gewordene Alabama Song von Kurt Weill und Bertolt Brecht gleich zweimal gespielt werden. Schön und reichlich abgefahren war’s.

Weiter ging es mit einem absoluten Kontrastprogramm. ROTERSAND, die gefeierten deutschen Electrohelden, deren neues Album 10 23 in den Startlöchern steht, sorgten für eine gut gefüllte AGRA-Halle und reichlich stickige Luft. Sänger Rasc und seine beiden Mitstreiter Gun und Krischan liefern einen professionellen wie routinierten Gig ab und hatten durch das sympathisch lockere Auftreten das Publikum im Gegensatz zu The Retrosic in der Nacht zuvor sofort im Griff – ausgestreckte Hände bis in die hintersten Reihen. Die Ruhrpöttler ballerten einen Hit nach den anderen ins Publikum und konnten so überhaupt nichts falsch machen. Zu Electronic World Transmission stieg Tom von [:SITD:] mit ins Boot ein und lieferte sich auf der Bühne mit Rasc ein Laufduell. Da konnten selbst technische Probleme keinen Strick aus der Sache mehr machen. So wurde der Einstieg zu Undone mal eben schnell a capella durchgezogen. Als Bonus zockten ROTERSAND einen neuen Song namens Lost vom kommenden Album – eine solide Nummer mit ordentlichem Beat, die mich jetzt allerdings beim ersten Hören nicht vom Hocker haute. Die miesen Luftverhältnisse ließen mich jedoch gleich nach den letzten Tönen aus der Halle flüchten.

Sonntag, 27.05.07

Der dritte Festivaltag sollte ganz im Zeichen des schwedischen Labels Cold Meat Industry stehen. Leider waren Bands dieses Labels in den letzten Jahren eher spärlich bis gar nicht vertreten. Früher gab es dagegen in Leipzig eigentlich regelmäßig Cold Meat zum Fraß. Vom Nachmittag bis in den frühen Abend hinein standen Konzerte im UT Connewitz auf dem Plan, einem alten Kino, wohl aus den goldenen 20ern, das nun im total heruntergekommenen Zustand einen unglaublich coolen, morbiden Charme versprüht. Teilweise befinden sich an den Seiten des Kinosaals noch Sitzreihen, die Leinwand ist von Stuckresten umrahmt. Bereits vor Beginn des ersten Konzertes war die Luft zum Zerschneiden und es wurde gleich klar, dass heute Standvermögen gefragt war.
Draußen spielten sich allerdings äußerst unschöne Szenen ab. Bei meinem Eintreffen befand sich ein kleineres Grüppchen von offenbar linksautonomen Gestalten vor dem Veranstaltungsort, das vor dem Einlass wartende Besucher anpöbelte und als „scheiß Nazis“ beschimpfte. Habe ich da irgendwas verpasst? Weder das Label Cold Meat Industry noch die vier an diesem Nachmittag auftretenden Bands sind mir durch irgendwelche rechten Tendenzen oder durch entsprechende Anschuldigungen aus der antifaschistischen Ecke bekannt. Wenige Jahre zuvor traten im unweit entfernten Werk II regelmäßig Bands des Labels auf und es gab nie Probleme. Jedenfalls hatten sich die Aktivisten aus unerfindlichen Gründen offenbar auf STORMFÅGEL eingeschossen, denn es wurde an der gegenüberliegenden Hauswand ein Transparent mit dem Aufdruck „STORMFÅGEL abschießen. WGT – nazifrei“ befestigt. Umgehend distanzierte sich die Formation auf ihrer Website (http://www.stormfagel.com/) von den Vorwürfen. So weit, so gut. Schlechte Recherche und ungerechtfertigte Anschuldigungen samt Protestaktionen ist man ja aus der antifaschistischen Ecke gewohnt, aber was sich später in Connewitz abspielte, schlug dem Fass dann den Boden aus. Wie Polizei, lokale Presse und Betroffene berichteten, kam es wenig später zu gewalttätigen Angriffen auf wartende Festivalbesucher durch etwa 70 gewaltbereite Radikale. Des Weiteren flogen Steine auf zwei Straßenbahnen. Als Folge der Krawallaktionen mussten mehrere verletzte WGT-Besucher ärztlich behandelt werden. Später dann erhöhte Polizeipräsenz vor Ort. Der Stadtteil Connewitz gilt als Hochburg der linken Szene Leipzigs. Deshalb sollte sich der Veranstalter gut überlegen, künftig keine Konzerte aus der Neofolk- und Industrial-Ecke in Connewitz mehr zu veranstalten, da die Sicherheit der Festivalbesucher offenbar nicht gewährleistet werden kann. In anderen Gebieten der Stadt, wie beispielsweise bei Konzerten im Anker im Norden Leipzigs, gab es dieses Jahr dagegen keine Probleme. Es lässt sich natürlich nicht leugnen, dass einzelne Bands aus der Neofolk- und Industrial- wie auch Blackmetalszene unter Umständen auch Publikum mit braunem Gedankengut anziehen und Konzertbesucher teilweise uniformartig gekleidet waren, aber hier sind Kontrollen durch die Veranstalter und fundiert recherchierte Aufklärungsarbeit gefordert. So wurden z. B. im Konzertsaal einzelne Besucher mit einer Taschenlampe nach verdächtigen Symbolen untersucht. Das Tragen einer Uniform allein lässt jedoch in keiner Weise Rückschlüsse auf die politische Gesinnung der Person dahinter zu. Mit dieser Aktion hat sich die Antifa durch ideologisch motivierte Gewalt gegen friedliche Musikfans auf die gleiche Stufe mit geistig unterbelichteten Neonazis gestellt, sich somit ein dickes Eigentor geleistet und dem ansonsten seit vielen Jahren friedlichen WGT für so manchen Besucher (mich eingeschlossen) einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.
So, jetzt endlich wieder zurück zur Musik! STORMFÅGEL, der Stein des Anstoßes, eröffneten den Reigen im UT Connewitz. Mir vorher gänzlich unbekannt, lieferten die Skandinavier einen unspektakulären Auftritt ab. Sängerin Eva im folkoristisch anmutenden Outfit trug die Texte auf ungarisch und schwedisch vor, wobei ihre Stimme recht dominant im Vordergrund stand und so der restliche, teils martialische Neofolk, angereichert mit orchestralem Bombast etwas ins Hintertreffen geriet und den Gig mit zunehmender Dauer zu einer anstrengenden Angelegenheit machte. Ein langsames Herantasten mit der heimischen Musikanlage an die mit Sicherheit nicht schlechte Musik STORMFÅGELs erscheint da als der leichtere Weg. Kurios das Hintergrundvideo: Eine geschlagene Stunde lang gab es Handkameraaufnahmen in Blair-Witch-Manier zu sehen.
Der darauf folgende Auftritt von COPH NIA geriet glücklicherweise zu einer kurzweilig lockeren Angelegenheit. Sänger Aldenon Sartorial machte im schwarzen Anzug auf der Bühne einen sympathischen Eindruck beim Rezitieren seiner Botschaften zu getragenen Synthieflächen aus der Konserve und hatte bei tropischen Temperaturen die Ruhe weg, selbst als ihm zwischendurch ein obskur anmutendes Streichinstrument Probleme bereitete. Kompagnon Linus Andersson setzte durch leichtes Getrommel die nötigen Akzente und bekam ab und zu einen Schluck Wein vom Sänger ab, bevor Aldenon die Flasche ins Publikum reichte. Insgesamt spielten die beiden ein ruhiges Set mit einer äußerst coolen, nur durch Synthieflächen getragenen Coverversion von Sympathy For The Devil. Beim Klassiker To Fix The Shadow besang er die „Flowers Made Of Snow“. Eine Bühnenshow in dem Sinne gibt es keine, nur ab und an ging der Sänger gemächlich zu seinem am Bühnenrand stehenden Powerbook, um die Songs zu starten. Nur einmal entfesseln COPH NIA das Biest. Bei Holy War von der gleichnamigen EP wurde aus dem verschmitzt freundlichen Gesicht eine hässliche, wutentbrannte Fratze. Das Publikum zeigte sich begeistert!
Nun wurde es Zeit für den Cold Meat Label Chef persönlich. Nach dem Durchlesen von Konzertberichten über halbnackte Männer in Strumpfhosen auf der Bühne war die Erwartungshaltung an Roger Karmaniks Industrialprojekt BRIGHTER DEATH NOW in gewisser Hinsicht hoch. Statt einer biergeschwängerten Performance mit hohem Kinkyfaktor gab es für die letzten Überlebenden der stickigen Luft im Saal aber dennoch eine gehörige Portion auf Augen und Ohren. Roger kam mit zwei Bier und einer Wasserflasche bewaffnet auf die Bühne, sein Equipment stand auf einem alten Küchentisch, machte sich flugs ein Bier an der Tischkante auf, sprach eine Widmung aus und los ging’s. Film ab! Der Auftritt von BRIGHTER DEATH NOW bot ordentlich Gesprächsstoff, denn was man auf der alten Leinwand sah, war nichts für Zartbesaitete sondern eher was für Hartgesottene. Rogers Performance konnte man eher als Livesoundtrack zum auf der Leinwand gezeigten Film verstehen. Ab und an fummelte der Chef an seinem Equipment herum, trank einen Schluck Bier oder strich über seinen Bart. Währenddessen verließ etwa ein Drittel den Saal. Wegen des Films oder wegen der mittlerweile wirklich üblen klimatischen Verhältnisse? Und was wurde auf der Leinwand nun gezeigt? Ein obskurer Film über einen Pathologen - eine ältere Gestalt mit meist getönter großdimensionierter Brille auf der Nase. Der Blick auf seinen Arbeitsalltag gestaltete sich am Anfang noch recht harmlos, bis dann später stark verweste (Wasser-)Leichen seziert, in Einzelteile zerlegt und in Flüssigkeit eingelegt wurden. Passend dazu steigerte sich die Musik von Anfangs wummernden Ambientcollagen, hin zu einem gesteigerten Lärmanteil, währenddessen auf der Leinwand immer wieder Nahaufnahmen der wippenden, schmutzigweißen Arztlatschen zu sehen waren.... Also eine Performance für Leute mit krankem, rabenschwarzem Humor. Diese dankten dem Schweden jubelnder weise und ließen mit der Videofunktion ihrer Digicams die Speicherkarten glühen. Roger prostete am Ende dem Publikum zu, ging von der Bühne und freute sich wahrscheinlich diebisch über jeden einzelnen, der die Show wegen des expliziten Bildmaterials nicht durchgehalten hat. Das folgende Dark Ambient Projekt DESIDERII MARGINIS habe ich mir wegen der unerträglichen Luft im Laden dann nicht mehr gegeben.
Draußen vor dem UT Connewitz hatte sich nun Polizei in Kampfmontur postiert und die Security im Eingangsbereich der Location schien verstärkt. Zum Glück hielten sich keine offensichtlichen Antifa-Aktivisten mehr vor dem Laden auf, so dass ich ohne Probleme, mit einem Shirt des „Nazi-Labels“ Cold Meat Industry bekleidet, die Straßenbahn erreichen konnte. Berichten zufolge soll es zu diesem Zeitpunkt jedoch im weiteren Umfeld des UT Connewitz noch Übergriffe gegeben haben. Nach einer kurzen Stärkung ging’s weiter zum Anker in den Norden Leipzigs zum Teil zwei des Konzertprogramms. Dort waren zum Glück keine Aktivisten vor Ort, so dass einem ruhigen und friedlichen Konzertabend nichts mehr im Wege stehen konnte.
Der Anker war schon ganz gut gefüllt, als die italienische Formation ALL MY FAITH LOST aufspielte und den Hörer mit sanft anmutenden neoklassischen Klängen umschmeichelte. Das Klangbild war leider so fein und ruhig, dass es mich aus der Hektik dieses Tages nicht mehr herauskitzeln konnte. Violas zarte Stimme und Erscheinung hinter dem Keyboard, Federico an der Gitarre plus Unterstützung an der Violine zauberten ein dichtes und differenziertes Klangbild, das zum Träumen verleiten sollte. Bei mir wollte und wollte der Funke aber nicht überspringen. Schade. Dem Publikum hat es dem Applaus nach zu urteilen aber ganz gut gefallen.
Etwas kraftvoller und akzentuierter gingen LUX INTERNA zu Werke. Die fünf US-Amerikaner boten netten Folk Noir feil, wobei die Songs in der Gesamtschau Abwechslungsreichtum vermissen ließen, durch die reiche Instrumentierung auf der Bühne aber ein volles Klangbild wie zum Beispiel bei Horizon erschufen, das in Sachen Soundqualität Studioveröffentlichungen kaum nachstand. Bei einigen Liedern stand Henryk Vogel der Dresdner Neofolkern Darkwood hinter den Percussions und performte an dieser Stelle zur großen Freude des Publikums den „Hit“ Der Falken Flug. Dennoch fand ich den Auftritt von LUX INTERNA leicht ermüdend.
Der Anker füllte sich mehr und mehr. Vermutlich kamen viele wegen des späteren Headliners Ataraxia. Offenbar nicht wenige allerdings wegen des Senkrechtstarters ROME. Der Luxemburger Jerome Reuter gründete das Projekt in 2005 und war in kurzer Zeit äußerst produktiv: Zwei Alben und eine EP sind auf dem Markt, wobei das letzte Album Confessions d’Un Voleur d’Ame wirklich exzellent ist. Jeromes Verständnis apokalyptischer und martialischer Musik steht zwischen allen Genre-Schubladen. Dies und eine Gewisse poppige Note einiger Kompositionen machen den Reiz des Projektes aus. Die Bühnenperformance von ROME war aber eine eher flaue Angelegenheit. Man konnte von einem eher zurückhaltenden Auftritt sprechen. Jerome stand auf der Bühne im Mittelpunkt - ohne viele Gesten und Mimik trug er seine Songs vor. Die vielen Feinheiten im Sound gingen allerdings live etwas unter. Wenigstens wurde er an den Percussions und am E-Bass unterstützt. Einzelne Songs wie Querkraft werden spontan bejubelt. Insgesamt zeigte sich das Publikum mit ROME sehr zufrieden. Am Ende des regulären Sets stellten sich die drei Musiker mit dem Rücken zum Publikum und schauten auf die Tausende von Soldaten, die auf der Videoprojektion in Reih und Glied durchs Bild marschierten. ROME kehrten jedoch für eine Zugabe zurück und gaben noch einen neuen Song zum Besten. Ein Ende der Produktivität ist zum Glück also noch nicht abzusehen!
Die folgenden ATARAXIA hatten am Vortag ja schon im Schauspielhaus alles gegeben, so dass ich nach diesem langen und ereignisreichen Konzerttag in einem letzten Schlusssprint noch einmal alle verbliebenen Kräfte mobilisieren musste, um die Straßenbahn zum Schlafquartier zu erreichen.

Montag, 28.05.07

Nach der geballten Ladung Musik abseits des schwarzen Mainstreams vom Vortage ging es zum Abschluss dieses WGTs noch einmal zu einem ordentlichen Schuss Elektro in den Kohlrabizirkus. Die riesige Kuppelhalle dürfte nach der AGRA-Halle als Ablösung des sehr weit von der City entfernt liegenden Haus Auensee die zweitgrößte Konzerthalle des Festivals sein. Draußen vor der Halle hatte sich eine riesige Schlange gebildet, da sich der Einlass anscheinend äußerst schleppend vollzog, so dass wohl nicht wenige Besucher HEIMATAERDE verpasst haben.
Die waren mit ihrem Set allerdings schon fertig, als ich die Halle erkundete, welche allerdings in ihrem hinteren Bereich noch viel Platz für weitere Besucher bot. Die US-Amerikaner DISMANTLED um Mastermind Gary Zon wurden von vielen Fans bereits sehnlich erwartet, haben sie sich live bislang äußerst rar gemacht. Nach dem Dependent-Festival in den Niederlanden am Freitag zuvor müsste dies sozusagen ihr zweiter Europagig gewesen sein. Die Erwartungshaltung des Elektropublikums war also hoch, hat der noch recht junge Gary doch qualitativ recht beeindruckende Veröffentlichungen am Start, von denen sein letztes Album Standard Issue locker als DAS Electroalbum des letzten Jahres durchgeht. Habe ich das Konzert von Frontline Assembly, die den Amerikaner anfangs maßgeblich beeinflussten, auf dem letzten M’Era Luna derbe verrissen, so war das, was die drei oben auf der Bühne ablieferten eine wahrlich stümperhafte Performance. Bereits beim Opener Anthem offenbarten sich massive Probleme mit dem Gesamtsound und die Stimme des Sängers ließ mehr als zu wünschen übrig. So verpuffte auch aufgrund des schlechten Zusammenspiels der Drums von Jon Siren sowie der Keys, die Brian DiDomenico waghalsig malträtierte, der komplexe Sound von DISMANTLED unter der Kuppel des Kohlrabizirkus. Gary gab sich auf der Bühne sichtlich Mühe, den aggressiven Frontmann zu mimen, in dem er sich auf dem Boden wälzte, eine im Hintergrund stehende Puppe in ihre Einzelteile zerlegte und der Keyboarder zum Ende hin sein Instrument zerkloppte, aber der absolut miese Sound erstickte jegliche aufkeimende Stimmung in ihrem Kern. Die Setlist beschränkte sich im Wesentlichen mit Songs wie Breed To Death oder Thanks For Everything auf den letzten Longplayer, teils wurden mit Purity (?) und The Swarm auch ältere Werke mit einbezogen. Als die Amis von der Bühne gingen, fiel das einstimmige Urteil im Bekanntenkreis milde formuliert in etwa so aus: Das war wohl nichts!
Nach Dismantled erhielt nun der pure Minimalismus Einzug. Es benötigt einzig ein Tischchen mit ein wenig Equipment drauf, einen kompetenten DJ dahinter sowie die ultimative Rampensau des Electros davor, um die komplette Halle in Ekstase zu versetzen. Das Duo Terence FIXMER und Douglas MCCARTHY war in absoluter Topform und ballerte in allerbester Soundqualität Granaten der Techno Body Music wie Freefall, Destroy, Splitter oder You Want It unter die Leipziger Donnerkuppel. Eine technoisierte Fassung von Nitzer Ebbs Control I’m Here tat ihr übriges. Es brauchte nur wenige Lieder bis Douglas oberhalb der Gürtellinie nur noch mit seiner Pilotenbrille bekleidet war und den Electrofans seinen gestählten Körper präsentierte, was die Eindringlichkeit seiner Gesten nur noch weiter bestärkte. Ach, was soll ich an dieser Stelle noch weiter schreiben? Es war kurzum der beste Gig des Duos, den ich bisher gesehen habe und das für mich beste Konzert dieses WGTs. Punkt. Ende. Aus.

Fazit: Mit einem Spitzengig ging ein leider etwas durchwachsenes 16. Wave-Gotik-Treffen zu Ende. Die letztes Jahr oft vorgebrachte Kritik bezüglich der Verlegung des heidnischen Dorfes auf den Campingplatz wegen einer absolut unnötigen Konkurrenzveranstaltung im Torhaus Dölitz hat offenbar gewirkt. Dieses Jahr hatten die Mittelalteranhänger wieder ihren angestammten Platz und die Zeltenden wieder etwas mehr Platz. Jetzt gilt es, die Planungen für das 17. WGT so abzustimmen, dass unschöne Vorfälle wie in Connewitz nicht wieder vorkommen.

 

story & pics © Daniel