Drei
lange, lange Jahre hat es gedauert, bis sich die Düsterrocker
KATATONIA im Ghost Ward Studio zu Stockholm eingenistet
haben, um ihr achtes Langeisen aufzunehmen. Ich muss ehrlich
zugeben, dass ich von den Schweden anno 2009 etwas ganz anderes
erwartet hatte. War The Great Cold Distance im
direkten Vergleich zum Vorgänger Viva Emptiness
wesentlich ruhiger, nahezu bedächtig komponiert und bei
weitem weniger brutal, vermutete ich im Vorfeld, KATATONIA
würden mit Night Is The New Day wieder einen
Schritt zurück und deftiger zu Werke gehen. Die in Stockholm
ansässige Band hat jedoch auf dem vorliegenden Album das
ruhige, verspielte Element von The Great Cold Distance
noch weiter in den Vordergrund gerückt. Dabei wandern sie
öfter denn je auf progressiv rockigen Pfaden der Marke
Porcupine Tree oder Opeth.
Forsaker wurde bereits vor dem offiziellen Release via
Peaceville Records zum freien Download angeboten. Ein kluger
Schachzug, denn der Song erinnert noch am ehesten an den Vorgänger
mit seinen brutalen, Stakkato-Rhythmusgitarren und dem äußerst
komplexen Songwriting. Der folgende Track The Longest Year
schlägt noch in dieselbe Kerbe, kann mit einem Jahrhundertrefrain
und einer trip-rockigen Strophe mit fantastischen cleanen Gitarren
(Anders und Fred haben mal wieder alle Register ihres Talents
gezogen und mit die besten Riffs der gesamten Karriere eingezockt)
punkten. Diejenigen, die sich jedoch in Sicherheit wähnten
und The Great Cold Distance Teil 2 erwartet hätten,
werden jedoch spätestens mit dem dritten Song Idle Blood
eines besseren belehrt. KATATONIA hatten bereits in der
Vergangenheit ein Faible für balladeske, poppige Songs
(Day auf Brave Murder Day oder Omerta
auf Viva Emptiness). Der besagte Song erinnert
in seiner legeren, unaufdringlichen, aber dennoch fesselnden
Melancholie an Opeth zu Damnation-Zeiten oder eben auch an Porcupine
Tree ab In Absentia. Wie in eigentlich jedem Lied auf Night
Is The New Day besticht auch Idle Blood durch
einen unglaublichen Kehrvers, in dem Jonas einmal mehr beweist,
warum er als Gastsänger bei Größen wie Ayreon,
Swallow The Sun oder Pantheon I so gefragt ist. Einfach zum
niederknien. Und es nimmt einfach kein Ende... Onward Into
Battle (laut Anders und Jonas ein Tribut an The Cures Disintegration-Album
– geht zumindest von der Strophe her durch...) ist wiederum
angereichert mit einem Gänsehautkehrvers und eine an Follower
und In The White vom Vorgänger erinnernde Strophe
– nur eben, ja, reifer... Ein ausgelutschter Begriff,
aber bei keiner anderen Band wie KATATONIA kann man sonst
einen derartig inflationären Gebrauch von Superlativen
rechtfertigen. Weiter geht’s mit Liberation. Meine
Fresse, das Anfangsriff pumpt so dermaßen heavy durch
die Boxen. Und im nächsten Moment nimmt Jonas den Hörer
wieder mit einer bezaubernden Gesangsmelodie runter auf den
Teppich, ehe das Anfangsthema als Pre-Chorus herhalten darf.
Von der Grundstimmung erinnert der Song ein wenig an düstere
Perlen der Marke Ghost Of The Sun und Leaders.
In der Strophe von The Promise Of Deceit wird, für
KATATONIA Verhältnisse bislang sträflichst
vernachlässigt, ordentlich gegroovt und es ist ein Traum,
zu hören, dass die drei Jahre, die zwischen der letzten
Platte und Night Is The New Day liegen, genutzt
wurden, um an jedem noch so kleinen Detail zu feilen, bis die
Mannen um Jonas Renkse mit dem Ergebnis zufrieden sind. So düster
wie auf Nephilim hat man die Schweden jüngst selten
erlebt – das Intro-Riff kriegen selbst zertifizierte Melo-Doomsters
wie My Dying Bride nicht mehr hin. Unglaublich, wie es Jonas
immer wieder schafft, die Grundstimmung, die ein Riff vorgibt,
mit seinem Gesang zu durchsprengen, neue Facetten einzufügen
und damit den ganzen Charakter des jeweiligen Parts nach seinem
Gusto zu verändern – er hält sozusagen die Zügel
in der Hand... New Night ist wieder mit einem mörderischen
Groove versehen und das verträumte Inheritance könnte
als Fortsetzung des ruhigen Idle Blood durchgehen. Day
And Then The Shade atmet Gothic-Rock-Luft, jedoch, ohne
nach einem simplen Abklatsch nach irgendwas zu klingen –
KATATONIA haben das auch nicht nötig. Das von der
Akkordfolge an Evidence erinnernde Departer setzt
dann den Schlusspunkt. Der Song eignet sich perfekt für
diese Position in der Tracklist, fasst er doch recht gut zusammen,
für was der Sound der Schweden anno 2009 steht: herzerwärmende
Melancholie, Experimentierfreude, Sonnenschein, Unberechenbarkeit
und Spielfreude en masse. Und mit der Wahl des Gastsängers
Krister Linder, der zwar in derselben Tonlage wie Jonas singt,
aber dessen Stimme noch zerbrechlicher wirkt, haben die Schweden
voll ins Schwarze getroffen.
Langer Rede, kurzer Sinn: habe ich vor einigen Tagen in einem
Gespräch mit meinem besten Spezl Holla noch gezweifelt,
was ich letztlich von Night Is The New Day halten
soll, steht für mich jetzt nach unzähligen Durchläufenfest:
das ist neben Sólstafirs Köld, Amorphis Skyforger
und MEWs No More Stories... DAS Album des Jahres 2009!!!!