Wie dem eifrigen Nocturnal Hall Leser - sollte es den überhaupt geben - bereits aufgefallen sein mag, so stehe ich dem Gothic Genre allgemein nicht besonders positiv gegeüber. So war ich natürlich auch skeptisch, als ich das Werk Decay der Wiener FLOODLAND zum ersten Mal in meinen CD Player eingelegt habe, jedoch wurde ich hier positiv überrascht (siehe Review). So war es natürlich Ehrensache die Österreicher mit einigen Fragen zu löchern...

Dunja. Euer Album Decay handelt von Verfall - besonders dem menschlichen Verfall, soweit ich richtig interpretieren kann. Warum habt ihr gerade diese, für mich sehr interessante Thematik gewählt?
burn: Nun, es ist tatsächlich so, dass gerade in letzter Zeit meiner Meinung nach die Orientierungslosigkeit der Menschheit immer mehr zuzunehmen scheint. Dies geht auch einher mit einem Verfall der Strukturen, der moralischen Wertvorstellungen, der Gesellschaft im allgemeinen. Da bieten sich natürlich eine Fülle an Themen aus dem alltäglichen Leben an, die man behandeln kann. Und das haben wir versucht auch durch musikalische Stimmungen auszudrücken.
lv: ...und Verfall bedeutet ja auch üblicherweise das Ende eines Zustandes und darauf folgt dann normalerweise etwas Neues, was nicht heißen muß, daß es unbedingt besser sein muß, jedoch die Hoffnung bleibt...
8o8: Der Verfall ist eine ganz natürliche Sache. Wir werden geboren, wir altern, und wir sterben. Und anschließend kommt der Verfall. Wobei es immer wieder Exemplare unserer Spezies gibt, die schon verfallen, noch bevor sie tot sind. Aber grundsätzlich ist es ein immer wiederkehrender Kreislauf. Und da wir eigentlich immer realitätsbezogene Texte und Themen haben, war es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns dem Thema "Verfall" widmeten.
l.f.o.: Verfall ist etwas, dem sich nichts und niemand entziehen kann. Darum macht es Sinn, sich damit auseinander zu setzen, anstatt die Augen davor zu verschließen. Vielleicht lernt der Mensch so, all das besser zu schätzen, was ihm in diesem Leben gegeben ist.

Dunja: Die apokalyptische Stimmung habt ihr mit diversen Stilelementen gut hinbekommen, so wurden elektronische Akzente, wie auch ein Saxophon auf "coincidence" verwendet. Da ich Streicher und insbesondere Geigen sehr gerne habe, insbesondere, wenn es um Musik mit Endzeitstimmung geht (PUISSANCE setzen auf ihrer neuen CD ja ganz darauf) stellt sich mir natürlich die Frage mit welchen Instrumenten ihr noch experimentieren wollt und ob da vielleicht auch der Gedanke an einen Streicher gekommen ist?
lv: Der leidende Klang von Ivans Saxophon eignet sich meiner Meinung nach für unsere Musik, eine Streicherin hatten wir als Gast auf unserem letzten Album und manchmal klemmt sich burn auch hinter die Trompete oder eine Ziehharmonika *g* - wenn es zum Song passt. Das ist im übrigen - neben dem finanziellen - auch der Grund, wann welches Naturinstrument zum Einsatz kommt, es sollte zum Lied passen. Eventuell wird auf der nächsten CD ein Dudelsack oder ein Leierkasten seinen Einstand geben...
burn: Nun, wir verwenden auch immer wieder Streicher, allerdings kommen die zumeist ­ auch aus Gründen der Zeit- und Geldnot ­ zumeist vom Sampler. Natürlich würden wir gerne auch mal mit einem Streichquartett oder ähnlichem experimentieren, das ist meiner Meinung nach auch nur eine Frage der Zeit, dass wir uns noch mehr auf Naturinstrumente stürzen, und diese vielleicht auch in der einen oder anderen Weise verfremden. Grundsätzlich ist der Spannungsbogen bei einem Instrumentalisten bzw. Musiker natürlich ein anderer als wenn der Klang elektronisch hergestellt wird.
l.f.o.: Ich finde den Einsatz von Streichinstrumenten prinzipiell gut, aber sie müssen irgendwie sinnvoll in das Konzept des Liedes passen. Außerdem gehen wir zur Zeit einen Weg, der uns in eine Richtung von unkonventionellen Lösungen führt, da sollte die Ausprägung oder der Klang dieses Instruments auch entsprechend ausfallen.
8o8: Ja, wenn wir die Möglichkeit und die finanziellen Mittel hätten, ein kleines Streicher-Ensemble zu engagieren, dann wäre das ein weiterer riesiger Schritt nach vorne. Denn so sehr ich mich mit der Elektronik verbunden fühle, so weiß ich auch, dass es Instrumente gibt, die man besser nicht aus der Konserve ertönen lässt. Experimentieren wollen wir eigentlich mit allem, was dem jeweiligen Song dienlich ist. Und wer weiß, vielleicht erstelle ich mal ein "Drumloop" aus verschiedensten mechnischen Geräuschen. Mit dem Einsatz von Sampler und elektronischen Musikinstrumenten ist der Phantasie keine Grenzen gesetzt.

Der Song Dorian handelt von Dorian Gray, und seiner speziellen Geschichte des Verfalls, er passt somit hervorragend in das Konzept des Albums. Ich nehme an, ihr wolltet damit eine Anspielung auf die Gesellschaft machen, die sich doch noch immer nach denselben Prinzipien verhält. Liege ich da richtig? Teilt ihr meine doch eher pessimistische Meinung, dass sich dies in Zukunft eher verschlechtern als verbessern wird?
burn: Ich denke, dass der Song ganz gut den Wahn der bestehenden Generation ausdrückt, immer jünger, besser und modekonformer auszusehen. Wenn ich mir ansehe, wie die Zahl der Schönheitsoperationen und der Konsumrausch vor allem der Jugendlichen immer weiter ansteigt, wird mir ziemlich übel. Aber Chris, der den Song eigentlich geschrieben hat, wird sicher mehr darüber zu erzählen haben, was er damit eigentlich ausdrücken wollte ...
lv: Natürlich geht es in diesem Song vordergründig um die angesprochene Gestalt und die ihr innewohnende Thematik. Jedoch ein Aspekt sei noch angesprochen, nämlich der Wunsch vieler Menschen, so zu sein wie ihre Umwelt. Der Spiegel steht für die Mitmenschen - sie sehen, und damit entwickeln sie sich immer weiter weg von dem was sie sind, eigenständige Individuen mit besonderen Eigenschaften und natürlich auch Fehlern. Irgendwann lebt dann nur mehr die von den anderen verlangte Maske ...
l.f.o.: Die Geschichte von Dorian Gray liest sich so, als ob der moderne Lebensstil schon vorweg genommen worden wäre. Jeder versucht, sein Älterwerden möglichst perfekt zu verbergen und auch vor sich selbst zu verleugnen. Bis man eines Tages vor der Erkenntnis steht, dass es keine Ewigkeit gibt.

Wie seht ihr die Entwicklung der politischen Geschehnisse im Bezug auf das Fortbestehen des Menschen an? Mittlerweile ist es ja schon fast Standard jeden Tag von Terroranschlägen zu hören, und auch der Gewöhnungseffekt scheint schon stark verbreitet zu sein, was ebenfalls auf einen gesellschaftlichen Verfall zurückgeht.
8o8: Natürlich haben wir alle unsere politschen Meinungen. Aber ich sehe die Musik eigentlich unabhängig davon, obwohl sie in ihrer Rolle, eine Art universelle Sprache zu sein, Vorreiter für die Politik sein könnte, bzw. sein müsste. Ich würde allerdings nicht die Politik alleine für diverse Terroranschläge verantwortlich machen. Ein ausgesprochen starker Glaube kann auch grausame Wunder bewirken. Ich stelle mir vor, wenn die ganze Menschheit mehr Respekt, Achtung und Verständnis aufbringen würde, dann wäre uns allen (vielleicht) schon ein wenig geholfen. Aber das ist nur meine Theorie ...
l.f.o.: Ich glaube, dass die Menschheit heute dem gesellschaftlichen Verfall um nichts näher ist als beispielsweise im Mittelalter oder zur Zeit der Kreuzzüge. Was damals im Namen einer vermeintlich guten Sache alles passiert sein muss, ist sicher im negativen Sinn beeindruckend. Es ist halt nicht so viel überliefert und bekannt. Der tägliche Terror passierte da statt mit Bomben und Gewehren eben mit Morgenstern und Streitaxt. Ich will den aktuellen Zustand der Welt damit keinesfalls beschönigen, dazu gibt es ja keinen Grund. Meiner Meinung nach sieht man aber keine negative Tendenz, wenn man die Umgangsformen unter den Menschen betrachtet. Oder wäre z.B. der Verlauf des 20. Jahrhundert besser zu bewerten als der Anfang des 21.? Wenn es in der Geschichte der Menschheit mal bessere Zeiten gegeben hat, wie das z.B. Ovid beschrieben hat, dann muss das schon lange her sein. burn: Nun, ich denke, der Gewöhnungseffekt ist eine Art Selbstschutz. Wenn du alle Nachrichten aufnimmst und nicht filtern würdest, explodiert dir irgendwann der Schädel. Die Menschheit konnte sicherlich nur bis heute überleben, indem sie negative Einflüsse verdrängte und die positiven innerlich verstärkte. Das wird vielleicht einige Psychologen bzw. Psychiater beschäftigen, aber ich hoffe noch immer, dass die Menschheit stark und klug genug ist, um auch die kommenden Generationen zu überdauern ...
lv: Als Musiker/Texter wandelt man ständig auf einem schmalen Grat. Wenn man aktuelle Geschehen wie etwa Terrorakte in eine CD einfließen lässt, wird das manchmal als Effekthascherei ausgelegt, wenn man es nicht tut, gilt man als weltfremd. Manche Geschehen erfordern auch eine gewisse Distanz um sie kommentieren zu können. Und eines noch, Politik sollte die Sache des Einzelnen bleiben und hat in Songtexten - vor allem wenn eindeutig für eine Richtung Partei ergriffen wird - meiner Meinung nach definitiv NICHTS zu suchen ...

Nun, eigentlich mache ich um Gothicbands eher einen weiten Bogen, bis auf spezielle Ausnahmen, zu denen ihr zweifelsohne auch dazugehört. Ich persönlich glaube ja, dass es daran liegt, dass mir der normale Gothicstil zu schwächlich und klagend erscheint, und dass ich in eurer Musik doch die Stärke finde, die ich bei der Musik suche. Interpretiere ich da zu viel hinein oder könnt ihr das nachvollziehen? Was denkt ihr macht eure Musik auch für den "normalen Musikliebhaber" besonders?
lv: Wir versuchen eine homogene Einheit zwischen Lyrics und Songs zu schaffen. Wenn ein Thema latent agressiver Natur ist, so sollte das auch die Musik widerspiegeln. Andererseits passt ein melancholischer Text wohl kaum zu Double-bass und Riffing. Und was sind schon 'normale Musikliebhaber' anderes als - hoffentlich - denkende und fühlende Menschen ...
8o8: Ich weiß nicht, was unsere Musik "besonders" macht. Wir sind 4 Individuen, die auch ihre eigenen Gefühle haben, und die die Welt mit ihren eigenen Augen sehen. Ich kann schon auch behaupten, dass wir eine ehrliche Band sind, und immer das sagen, was uns gerade bewegt. Das wirkt sich bei mir natürlich anders aus als bei den anderen. Wie wir Decay aufgenommen haben, saß ich ganz alleine mit meinem Schlagzeug im Aufnahmeraum und als z.B. Dorian an der Reihe war, habe ich diese Energie in diesem hymnenhaften Refrain in mich aufgenommen und gleich wieder in Form meines Schlagzeug spielens herausgelassen. Wo die Energie herkam, kann ich gar nicht genau sagen. Vielleicht ist es die Energie, die zuvor Harald bei der Programmierung der elektronischen Parts "hineinverwoben" hat, oder es ist die Energie, die wir uns innerhalb der Band immer wieder geben. Ehrlich, keine Ahnung.... nennen wir es mal "Magie"... ;)
burn: Für mich ist es einfach Ausdruck meiner Gefühle, die ich da in die Musik hinein lege. Besonders die negativen Aspekte des Lebens beschäftigen uns immer wieder, und ich glaube, dass wir trotzdem eine gewisse Art von Energie rüber bringen.
l.f.o.: Unsere Musik wird sicherlich nie auf ungeteilte Begeisterung in breiten Hörerschichten treffen. Dazu ist die Aussage viel zu speziell. Zum Glück gibt es aber einige Menschen, die sich angesprochen fühlen, weil sie ihre eigenen Gefühle und Gedanken in unseren Werken widerspiegelt finden. Für diese Leute sind unsere Alben wertvoll, denke ich, weil den Liedern Ehrlichkeit innewohnt. Wir arbeiten an unseren Stücken nie mit dem Vorsatz, "jetzt mal einen Song zu schreiben", sondern immer dann, wenn es Gemütszustand und Befindlichkeit ermöglichen oder sogar "befehlen". Nur dann können Lieder entstehen, mit denen wir uns selbst identifizieren.

Wie auch andere österreichischen Bands habt ihr Decay und bereits euer Vorgängerwerk Oceans Of The Lost in Tschechien aufgenommen. Wie kam es dazu? Kennt ihr dort besondere Leute oder ging es um den Preis? Wie waren die Aufnahmen im allgemeinen, die ja soundmäßig als wirklich gelungen betrachtet werden müssen.
burn: Also den Anfang unserer "Beziehung" zu Producer Dodo Dolezal markierte unsere damalige Plattenfirma NSM, die uns nahe lege, in seinem Hacienda Studio das Album ocean of the lost aufzunehmen. Nicht nur wegen des Geldes, sondern weil der Mann einfach gut ist. Wir waren zugegebenermaßen am Anfang ein bisserl skeptisch, das hat sich aber bald gelegt, als wir merkten, dass Dodo ein Mensch ist, der 100%ig für die Musik lebt und sich auch wahnsinnig toll in unsere Art von Musik rein versetzen kann. Eines Nachts hat er sogar Geister gesehen *g*. Anyway, wir sind mit seiner Herangehensweise an das Produzieren von Platten nun vertraut und ohne große Geheimnisse zu verraten denke ich, dass auch das nächste Album unter seinen Fittichen entstehen wird. Vor allem ist er ein Mensch, von dem man irrsinnig viel lernen kann ­ in Terms of Musik verstehen, Musik atmen, Musik leben, seinen Horizont erweitern, nicht stehen bleiben und so weiter. Ich könnte jetzt noch 1000 Wörter schreiben, aber irgendwie soll das ja wer lesen auch noch, also schließe ich mit den Worten: Er hat uns ein großes Stück weiter gebracht. Und er macht einen coolen Sound ...
lv: Die Zeit in Tschechien ist immer sehr Klausur-ähnlich, was zwar manchmal Konflikte herbeiruft - wie immer wenn man 4 Individuen auf engem Raum einsperrt - andererseits lebt man in diesen Wochen nur für die Musik und wird nicht von anderen Dingen 'abgelenkt'...
8o8: Ich kann dazu nur sagen, dass mir Dodo in meiner Entwicklung als Musiker sehr geholfen hat. Ich habe schon immer die Tür gesehen, die mich zu dem Ort führt, der nach meinem damals noch etwas kleineren Horizont kommt, aber ich habe mich nie getraut, durchzugehen. Wenn man eine Art "Guidance" hat, dann ist auch die Angst vor dem, was da auf einen zukommt, oder vor dem Versagen, nicht so groß. Ich bin sehr froh, die Studioarbeit unter der Führung von Dodo zu erledigen. Außerdem kann er super kochen ...
l.f.o.: Ich nehme mal an, dass es unserem damaligen Label bei ocean of the lost tatsächlich um den Preis gegangen ist. Was die Leute anscheinend nicht so genau gewusst haben, ist die Tatsache, dass Dodo ein bisschen was von einem Visionär hat. Er weiss lange vor Abschluß der Produktion bereits, wie dies oder das klingen sollte (und auch wird). Wir haben bei der Aufnahme des ersten Albums schon über die nächsten Schritte gesprochen (also wie es bis decay weitergehen soll). Außerdem kennt er ziemlich viele Leute, auch in den USA, wovon man manchmal profitieren kann. Bei den Aufnahmen hält es Dodo ein bisschen wie manche von uns: er arbeitet nur dann, wenn er sich wirklich fit genug dafür fühlt und die Gedanken auf die laufende Produktion fokussiert sind. Mir gefällt die Methode, für manche ist das ein bisschen aufreibend, aber im Endeffekt ist das die beste Art, um höchstmögliche Qualität zu erreichen. Wie man auf decay hören kann.

Ihr seid nun auf W.A.B Records, ein Label, dass soweit ich weiß auch von Leuten von euch betrieben wird? Ich habe ja bis vor kurzem von dessen Existenz nichts gewusst, und bin eher durch einen Zufall drauf gestoßen, darum stellt sich natürlich die Frage wie lange es WAB Records schon gibt und welche Ziele im Speziellen damit erreicht werden sollen, denn wie ich sehe handelt es sich bei den Bands ausschließlich um Österreicher, die zudem auch musikalisch zumindest ansatzweise vergleichbar sind.
burn: Also eigentlich ging das Label W.A.B. (steht übrigens für Wait And Bleed) aus unserem ex-Label NSM hervor, Martin Wagner hat sich quasi selbständig gemacht und mit Napalm als Vertriebspartner und einem potenten Finanzier im Hintergrund es sich zur Aufgabe gemacht, die heimische Musikszene, vor allem in den Bereichen Gothic Rock und Gothic Metal unter Vertrag zu nehmen. Ich habe dabei auch die Ehre, für das Label Promotion machen zu dürfen, andere Jungs der diversen Bands sind allerdings nicht involviert ­ soweit ich weiß *ggg*

Was könnt ihr über die österreichische Musikszene berichten? Ich finde ja, dass es gerade hier komplett unterschätzte und ziemlich besondere Bands gibt, wie z.B. ANGIZIA oder das neue Projekt STERNENSTAUB, das ja zusammen mit Stefan von GOLDEN DAWN gemacht wurde (auch ein erwähnenswerter Name).
burn: Tja, was soll ich sagen: Shame on me, ich kenne die beiden Projekte nicht wirklich, aber generell denke ich, dass es sicher auch bei uns in Österreich genug Talent und auch Willen gibt, um musikalisch was auf die Beine zu stellen. Auf der anderen Seite kommt mir immer wieder vor, dass das Umfeld nicht wirklich sehr professionell arbeitet. Das beginnt bei den meisten Labels, setzt sich bei den Veranstaltern fort und endet meist beim Publikum selbst, das meist Scheuklappen trägt und sich für Neues oder auch nur "Anderes" wenig begeistert. Ich denke, dass wir da extrem konservativ geprägt sind, und das hat nichts mit Politik zu tun ...
lv: Unterschätzte und besondere Bands gibt es überall. Was Österreich ein wenig einzigartig macht, ist die Tatsache, dass der Bekanntheitsgrad nicht in direktem Zusammenhang mit der Anzahl von Konzertbesuchern stehen muss *g* ...
l.f.o.: Musikszene? Was für eine Musikszene? Achso, ja, es gibt viele ambitionierte Leute, die sich hinstellen und sich vor den leeren österreichischen Hallen die Finger wund spielen. Unsere "Szene" besteht aus vielen Musikern und ziemlich wenig Publikum. Für das Publikum sind wir alle enttäuschend, weil wir nicht wie exakte Kopien großer, berühmter Bands sind. Und darum könnten die "Fans" nachher nicht lästern, dass wir es doch nicht so 100%ig drauf hätten wie die echten Stars ... und darum kommen sie erst gar nicht zu den (teilweise kostenlosen!!!) Konzerten.

Wie ich gesehen habe, seit ihr Konzertmäßig momentan doch recht viel unterwegs. Wie geht es euch mit diesem, wenn auch noch in kleineren Rahmen vorhandenem Tourleben? Welche wichtigen Erfahrungen habt ihr bereits gesammelt und wo würdet ihr gerne (wieder) auftreten und warum?
burn: Also wo wir sicher bald wieder spielen werden, ist Kärnten. Nach meiner Erfahrung bisher das einzige Bundesland, wo die Leute sich echt noch begeistern können, wenn ein lokaler Veranstalter was auf die Beine stellt. Und da spielen dann durchaus auch Black Metal, Hardcore und Gothic-Bands miteinander und alle haben ihren Spaß ... Geplant sind auf alle Fälle drei Konzerte im Frühjahr in Kärnten, darüber hinaus ein Gig im Posthof Linz und ein paar in Niederösterreich. Aber natürlich wollen wir auch mal wieder raus aus Österreich, es stehen ein paar Gigs in Ungarn und der Tschechischen Republik sowie eventuell ein paar Konzerte in den Benelux-Staaten an, daran arbeite ich gerade. Und dann ist natürlich das nächste große Ziel, dass wir eine Booking-Agency für uns begeistern können, und dann eine Europa-.Tournee anschließen können. Auch die großen Festivals im Sommer sind eventuell eine Überlegung wert, auch wenn ich die Hitze hasse, und das Sonnenlicht während Auftritten ... das passt irgendwie nicht zu unserer Musik ...
lv: Die wichtigste Erfahrung, die ich persönlich bis jetzt gemacht habe, ist, dass es nur auf die Reaktionen der Hörer ankommt und nicht auf deren Zahl. Auch wenige Zuseher können einem das Gefühl geben, gute Musik zu machen, darum spielen wir vor 20 Leuten genau so engagiert wie vor 200 oder mehr ...
8o8: Nun ja, Tourleben kann man das nicht wirklich nennen, momentan. Wir kommen immer wieder in den sicheren Hafen des Zuhauses, was ja derzeit auch gar nicht anders geht, da wir alle berufstätig sind. Die Erfahrungen, die man im Laufe der Zeit sammelt, sind sehr unterschiedlich. Um in Extremen zu sprechen, da gibt es Bands, die wirklich schon einen Namen haben, und mit denen man wirklich sehr locker und normal reden kann, und dann gibt es Bands, die nicht wirklich bekannt sind, aber die großen Checker raushängen lassen. Das sind dann die Momente, die mich innerlich belustigen. Auf der Bühne selbst gibt es immer etwas zu lernen. Egal wie oft man schon gespielt hat. Die Umstände sind immer anders. Da steht auf einmal ein Schlagzeug vor mir, das ungefähr ein 6tel von dem ist, auf dem ich normalerweise spiele. Da muss ich dann schon immer wieder aufs Neue improvisieren, denn wenn ich theoretisch in einem Song jetzt einen Tomlauf spiele, und die Trommel aber nicht auf ihrem Platz hängt,.. nun ja... *ggg*
l.f.o.: Das Tourleben ist eine sehr willkommende Abwechslung zum sonstigen Alltag mit Job und all den üblichen Abhängigkeiten. Andererseits ist die Abwesenheit der geliebten Menschen auch nicht so schön. Zuletzt hab ich versucht, meine Familie auf die Reise mitzunehmen, aber es hat weder für die Familie noch für die Band funktioniert. Es ist besser, die Dinge zu trennen und sie dafür zu ihrer Zeit konsequent zu verfolgen. Im Konzert-Betrieb haben wir gelernt, mit den Menschen rundherum immer cool zu bleiben und den Spaß an der Sache zu fördern. Den Star raushängen lassen bringt gar nix außer den Unmut des Technikers. Das ist das letzte, was du auf der Bühne brauchen kannst. Normalerweise verstehen wir uns mit den Leuten sehr gut und bekommen im Gegenzug alles, was wir fürs Konzert brauchen. Zum Beispiel macht´s Sinn, es sich nicht mit dem Lichttechniker zu verscherzen, wenn man von ihm eine passende Show bekommen will. Ich denke wir können behaupten, dass wir auf jeder Bühne, die wir bereits bespielt haben, jederzeit wieder willkommen sind. Da könnten wir schon einige nennen, aber ich mag hier niemand den Vorzug geben oder benachteiligen...

Danke für das Beantworten der Fragen ­ die letzten Zeilen bleiben euch.
burn: Well, lebt Eure Träume, geht Euren Weg und lasst Euch von niemanden vorschreiben, wer oder was Ihr seid. Und wenn Ihr gerne Musik hört, die noch etwas zu sagen hat und aus dem Innersten kommt, dann hört in unser neues Album decay rein ­ und geht ein Stück mit uns des Weges, quasi "take a walk across the floodland with us" ...
lv: Danke an alle die sich durch dieses Intie lesender- oder schreibenderweise durchgekämpft haben. Falls jemand mit uns in Kontakt treten möchte, bietet unsere homepage (http://www.floodland.org) dazu alle Möglichkeiten, die das Internet so bietet. Stay dark and c u on stage...
l.f.o.: Es gibt ein großes Wort, das in unser aller Köpfen leider viel zu wenig manifestiert ist: T-O-L-E-R-A-N-Z! Was in Politik und Weltanschauung so wichtig wäre, betrifft auch uns Musikliebhaber! Wir sollten uns nicht darum streiten, ob ein fremdes Element in diesen oder jenen Musikstil passt, nur weil´s dann möglicherweise nicht mehr "true" ist. Die Vermengung bringt neue, oft sehr schöne Dinge hervor. In diesem Geist ist unser Album decay entstanden. Genießt es!

Das Interview führten: Christian Meyer (lv ­ low voice, vocals), Harald Schmid (l.f.o., bass & keyboards), Markus Schmid (808, drums & percussion) und Bernhard Wieser (burn, guitars)

November 2002, Dunja Edelman