David:
Die Vorgängeralben waren ja also alles andere als sanfter
Natur, so dass die hier zur Verwendung herangezogene Aussage
des Futurismus „Ein Werk ohne aggressiven Charakter
kann kein Meisterwerk sein“ durchaus nicht zwingend
mit purem Black Metal gleichgesetzt werden müsste. Wie
kam es von den eher elektronisch angehauchten Alben hin zu diesem
heftigen Black Metal Opus?
Cornelius: Ich würde schon sagen, dass das Massaker
in Finnland, wo jemand unter Verwendung des Namens Sturmgeist89
Amok gelaufen ist, eine wichtige Rolle gespielt hat. Plötzlich
war das, was eigentlich vom Prinzip her als lustig gedacht war,
alles andere als lustig. Und nach Über war
aus dieser Art der Musik, wie wir sie gespielt hatten, auch
irgendwie die Luft raus. Ich mag die beiden ersten STURMGEIST
Alben zwar, aber es war an der Zeit sich zu verändern,
sich weiter zu entwickeln. Meister Mephisto und
Über halte ich mehr und mehr quasi für
die „Tankard des Black Metal“ – ohne Scheiß!
Ich wollte jetzt einfach etwas Ernsthafteres, wenn man so will
„trues“, machen und mit Manifesto Futurista
ergab sich diese Möglichkeit wie von selbst. Die Einstellung
der Futuristen ist frisch, unverbraucht und sehr gut auf den
NBM (Norwegian Black Metal) zu übertragen.
David:
F.T. Marinetti (für die Leser: der Begründer des Futurismus)
zählte neben Mitstreitern im künstlerischen Bereich
ja auch solche zu seinem Kreis der Befürworter, die die
Umwälzung durchaus gewalttätig angingen und auch im
Bereich der damaligen Anarchisten zu finden waren. Auf Deiner
Myspace Seite hast Du bzgl. eines Amoklaufes in Finnland, welchen
ich noch mal erneut aufgreifen möchte, eine deutliche „No
Violence“ Haltung klar gemacht. Wie stehst Du also zu
dieser eher gewalttätigen Seite des Futurismus?
Cornelius: Es ist völlig klar, dass man bei einem solchen
Vorfall, der außerhalb jeglichen Einflusses oder Kontrolle
von einem liegt, eine deutlich „No Violence“ Haltung
beziehen muss! Das geht überhaupt nicht anders. Andererseits
glaube ich natürlich auch nicht, dass die Leute, um die
es wirklich geht, mir zuhören bzw. meinen Kommentar dazu
lesen. Als Künstler tue ich mich auch sehr schwer damit,
anderen Leuten vorzuschreiben, diese oder jenes zu tun oder
eben nicht. Wenn dann aber so etwas wie dieser Amoklauf des
Schülers passiert, ist es das Mindeste, was man tun kann
und auch muss. Um jetzt zur „gewalttätigen Seite
des Futurismus“ zurückzukommen, muss ich sagen, dass
man die Handlungen eines Individuums nicht befürworten
muss, aber natürlich dennoch die Kunst an sich. Bspw. kann
man Gangsta Rap hören ohne dadurch automatisch eine Pistole
zu besitzen oder gar zu benutzen. Hört sich blöde
an - ist aber nun mal so. Ich finde ausnahmslos jede Diskussion
über Kunst und Moral dumm und überflüssig. Ambivalenz
ist STURMGEIST höchstes Ziel und dieses durch klare
Aussagen zu ruinieren, kann nur in absoluten Notfällen
geschehen. Und im November 2007 führte daran kein Weg vorbei.
David:
Die doch sehr drastische und gewaltige Aussagekraft des Futuristischen
Manifests legt eine zerstörerische Musikrichtung sicher
nahe. Findest du es nicht auch verwunderlich, dass du –
zumindest meines Wissens nach – der erste Metal Musiker
bist, der sich dieses wirklich passende Thema als Konzept gewählt
hat?
Cornelius: Ich danke dir für diese pfiffige und hintergründige
Frage. Es ist allerdings nicht ganz leicht, sie zu beantworten
ohne arrogant zu klingen. Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit
in Interviews oft so rübergekommen bin und irgendwie ist
das alles andere als cool. Aber so ist es nun einmal, wenn man
in einem Genre aktiv ist, welches so voller Konventionen und
auch so frei von Fantasie oder Vorstellungskraft ist. Keine
Frage – seit Mitte der 90er sind fast explosionsartig
wirklich kreative und experimentelle Bands aufgetaucht, aber
wie kann es sein, dass der so kleine und einfache Grundgedanke
des Futurismus seit den gut vierzig Jahren Rockgeschichte noch
nie aufgegriffen wurde? WTF? Futurismus ist eigentlich doch
der Black Metal der Kunst… Pure Provokation, pure ursprüngliche
Kraft! Vielleicht wären Thrash oder Speed Metal das eigentliche
Ausdrucksmittel (gewesen), wenn man einen Blick auf bspw. Megadeth
oder Nuclear Assault wirft… aber zur Hölle, was soll's
- jetzt hat sich STURMGEIST diesem angenommen, und ich
bin ziemlich glücklich darüber.
David:
Eine der wichtigsten bzw. stärksten Aussagen des Futuristischen
Manifests ist meiner Meinung nach „Wir wollen den Krieg
verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –
den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der
Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt,
und die Verachtung des Weibes.“
Viel deutlicher konnte man damals wohl kaum werden. Wenn überhaupt,
wie würdest Du diese Aussage auf die heutige Zeit anpassen
wollen?
Cornelius:
Zuerst einmal vergessen wir direkt die “Verachtung des
Weibes”. Viele Frauen waren unter den Futuristi zu finden.
Ich persönlich denke, dass damit vielmehr solch verabscheuungswürdige
Züge wie Passivität und Gehorsam gemeint waren, und
die damals als „weiblich“ bezeichnet wurden. Natürlich
würde ich solch einen Satz, wenn er wirklich so direkt
gemeint wäre, niemals unterstützen. Im Futurismus
ging es um Aktion, Kraft und Technologie. Geschwindigkeit! Bewegung!
Raserei! Aggression! Alles, nur nicht die eintönige Ruhe
der spießbürgerlichen Gesellschaft. Versetzt man
die Ästhetik des Futurismus nun in die heutige Zeit, muss
man natürlich andere Maßstäbe im Sinne der Moral
anführen. Wenn man nun also die Kunst an sich als freie
Zone betrachtet, liegt die Straße zum Neo Futurismus offen
vor einem. Ich meine, alle unsere Länder sind gegenwärtig
im Krieg. Jens Stoltenberg, Norwegens wiedergewählter Premierminister,
ist ein Sozialdemokrat und trotzdem führt er zu diesem
Zeitpunkt Soldaten im Irak und in Afghanistan in den Krieg.
Dänemark, Deutschland, Großbritannien, die USA –
alle befinden sie sich irgendwo in irgendeinem Krieg. Genau
deswegen finde ich es mehr als heuchlerisch, Künstler,
die über Krieg und Gewalt singen, schreiben oder malen,
an den Pranger zu stellen. Wir töten niemanden –
wir übersetzen und interpretieren die Gewalt, der wir direkt
oder indirekt ausgesetzt sind.
David:
Haben Dich spezielle Künstler, sei es lyrisch, malerisch
oder musikalisch der damaligen Zeit deutlich beeinflusst oder
fasziniert Dich eher das eigentliche Konzept des Futurismus?
Cornelius: Mein Hauptinteresse liegt schon eher im Bereich
der Ästhetik des Futuristischen Manifests. Aber ich mag
auch die Dichtungen F.T. Marinettis und die Gemälde Giacomo
Ballas – pure Geschwindigkeit in zwei Dimensionen! Die
Kreativität und die Vorstellungskraft der Futuristen sind
einfach nur atemberaubend – werft auf jeden Fall mal einen
Blick ins „Futurist Cookbook“.
David:
Kommen wir zur eigentlichen Musik auf Manifesto Futurista
- Was sind neben dem Titeltrack die sowohl textlich als auch
musikalisch am deutlichsten von der Bewegung beeinflussten Tracks?
Cornelius: Ganz eindeutig natürlich der Titeltrack
Manifesto Futurista. Thematisch ist er nicht weit entfernt
von Deep Purples Speed King oder Metallicas Motorbreath. Über
Geschwindigkeit und Motoren zu singen ist irgendwann in den
80ern aus der Mode gekommen. Was eine echte Schande ist, denn
es macht so was von Spaß!
David:
Was mich besonders an Manifesto Futurista beeindruckt hat, ist
dieser lodernde Geist der Rebellion, ein musikalisch entfachtes
Feuer. Vielen der heutigen Black Metal Bands ist irgendwie gerade
dieses Feuer verloren gegangen, und mehr und mehr finden sich
von Trostlosigkeit und Verzweifelung geprägte Alben. Was
hältst Du persönlich von diesem so genannten Ambient-
oder auch Suicide Black Metal?
Cornelius: Mein Drummer Vincent hat mir kürzlich Xasthur
vorgespielt. Ist schon echt hart, sich das anzuhören. Depressionen
sickern wirklich durch jede Pore. Ich selbst stehe mehr auf
intensive und energiegeladene Musik. Dieses ganze Suicide-Ding
ist nix für mich, obwohl ich mir wohl vorstellen könnte,
dabei an einem Buch oder so zu arbeiten. Auf jeden Fall kann
man aber schon sagen, dass wenn Musik gefährlich (im psychologischen
Sinne) wäre, es auf jeden Fall diese langsame und traurige
wäre. So etwas kann einen schon depressiv machen. Dagegen
ist STURMGEIST wirklich Partymusik. Ich wollte schon
immer von der, hmmm, Passivität (nicht ganz das richtige
Wort, aber ich hoffe, du weißt, was ich meine) des Black
Metals wegzukommen und eine eher extrovertierte Form zu finden.
Geschwindigkeit, Technologie, Macht, Krieg usw. halt. Mehr so
in der Art, die Joggingschuhe anzuziehen und durch den Wald
zu laufen als auf dem Boden zu hocken und sich die Arme aufzuschlitzen.
Hmm, vielleicht sollte ich mal eine Art Sport- oder Athletik-Album
machen – wäre das nicht super? (auf jeden Fall!;
der Autor) Ich denke, dem Großteil der Black Metaller
läuft es bei dem Gedanken kalt den Rücken runter –
und genau das gefällt mir! Musik sollte einen überraschen,
durchschütteln, aufrütteln – bring some STURM
into your life!
David:
Aus den sehr schnellen und harten Black Metal Tracks stechen
The Siegfried Order und Let Us Be The Suns Of Our
Time mit am deutlichsten heraus. Um was genau handelt es
sich bei der „Siegfried Order“ und wie können
wir im übertragenen Sinne zu strahlenden Sonnen werden?
Cornelius:
The Siegfried Order ist ein erfundener Bund von Kriegern
oder Warlords, einfach eine weitere Art der angriffslustigen
Rhetorik derer sich extremer Metal so gerne bedient. Let
Us Be The Suns Of Our Time dagegen behandelt die extrovertierte
Einstellung, die ich bereits angesprochen habe. Ein Song, der
Gemeinschaft und Brüderlichkeit verherrlicht, eine Bewegung,
die nach vorne, nach draußen, zu neuen Ufern hin, strebt:
Let Us
Be the Suns Of Our Time (lyric excerpt)
Victors
and villains come with me
Let us be the suns of our time
Pull the golden strings of empire
Deliver light to minded darkness
March with
me across the map
We shall make emotion known
Comrades,
brothers we will climb
Skyscrapers mountains cities of the world
Crawl the desert like lizards and panzers
Roam the ocean like dolphins and subs
Capitals
await us with open arms
Vent the joy of conquered honey
Wie also
wird man so jemand? Obwohl das hier so glorreich und heroisch
klingen mag, ist die Grundidee des Songs, sich allen Gefühlen
und Erfahrungen zu öffnen, das Unbekannte zu umarmen, das
Leben voller Leidenschaft und Gefühl auszukosten. Wenn
ich so weitermache, klinge ich noch wie ein Typ aus der Werbebranche,
aber was soll’s: Leb dein Leben im Hier und Jetzt, vergiss
alles und jeden, der dich irgendwie unterdrückt. Suche
die Freuden der Freiheit! Wenn ich je eine Botschaft zu vermitteln
hatte, dann wohl diese.
David:
Neben diesen Songs muss meiner Meinung nach auch Ritorno
Glorioso (ein bombastischer Neo-Klassik Song) explizit erwähnt
werden. Als Freund solcher Genres wie Martial Industrial und
Neo-Klassik gefällt er mir besonders gut. Hörst Du
persönlich viel aus dieser Musikrichtung oder bist Du hauptsächlich
von den alten Klassikern beeinflusst?
Cornelius: Ehrlich gesagt höre ich hauptsächlich
klassische Musik. Gut, früher hab ich auch Sachen wie Arcana
und Dead Can Dance gehört. Lisa Gerrads The Mirror Pool
ist auch immer noch eines meiner am meist geschätzten Alben
im Regal. Michael Berberian von Season Of Mist hat mir neulich
mal Karjalan Sissit vorgespielt – schon ziemlich monumentale
und bewegende finnische Wildheit!
David:
Wie würdest Du versuchsweise Deinen Musikgeschmack bezeichnen,
und was packst Du privat in Deinen CD- oder MP3 Player?
Cornelius: Also zurzeit entdecke ich gerade Köld, das
aktuelle Album von Solstafir, für mich. Das sind gute Freunde
von mir und ich liebe die Jungs. Gerade jetzt höre ich
übrigens norwegische Folk Musik im radio, was mir dann
und wann schon sehr gefällt. Wie du dir vorstellen kannst,
ist meine Sammlung sowohl bekloppt als aber auch sehr vielseitig.
Eigentlich findet aus jedem Genre mindestens eine handvoll Alben,
egal ob Blues, Jazz, Klassik, Hip Hop, Electro, Pop, Indie –
und natürlich alle Formen von Metal, klar. Wobei ich Metal
hauptsächlich beim Joggen höre. Leider bin ich was
Metal betrifft irgendwie bei den Bands meiner Jugend hängen
gelblieben und mein Geschmack in dem bereich wiederholt sich
einfach phasenweise. Auf jeden Fall sind Motörheads Ace
Of Spades und At The Gates Slaughter Of The Soul meine absoluten
Lieblingsalben.
David:
Neben all Deiner musikalischen Aktivitäten bist Du ja auch
gleichzeitig im literarischen Bereich tätig und hast bereits
einige Bücher veröffentlicht. Leider scheint es weder
deutsche noch englische Fassungen Deiner Texte zu geben. Worum
handelt es sich bei diesen Werken und besteht vielleicht in
naher Zukunft die Chance auf eine Veröffentlichung?
Cornelius: Bisher habe ich sieben Bücher veröffentlicht
und arbeite gerade an einer philosophischen Abhandlung über
Wut. Ich bin selbst sehr gespannt darauf! Es ist eine Auftragsarbeit
und wird wohl irgendwann 2010 herauskommen. In meiner Bibliographie
finden sich Gedichte, Romane und auch ein Kinderbuch. Bisher
wurden die allerdings nur ins Finnische und Schwedische übersetzt.
Ich hoffe wirklich sehr, dass in naher zukunft auch eine Übersetzung
in andere Sprachen folgen wird. Viele meiner Freunde und Bekannten
sind nämlich keiner der skandinavischen Sprachen mächtig.
David:
Wenn Du bei all diesen Tätigkeiten noch so etwas wie Freizeit
hast, mit was für Büchern oder auch Filmen entspannst
Du Dich so? Findet man da auch eher triviale, unterhaltende
Sachen oder beschäftigst Du Dich auch dann mit eher philosophischen
oder spirituellen Themen?
Cornelius: Ich schaue schon sehr gerne Filme. Kürzlich
gesehen habe ich Inglourious Basterds, Eine Handvoll Dollar,
Full Metal Jacket, Fräulein Raffke und Alphaville –
das sollte einen groben Einblick geben. Mein guter Freund Gaston
zeigt regelmäßig Filme bei ihm zu Hause in Kreuzberg,
und ich finde, dass ist eine großartige Art, einen Abend
zu verbringen.
David:
All Deine Projekte sind ja schon in gewisser Weise spirituell
bzw. künstlerisch und anspruchsvoll. Bleibst Du eher in
Deinen eigenen vier Wänden oder schaltest Du auch mal ab
und stürzt Dich ins Nachtleben Berlins?
Cornelius: Sicherlich bestimmt die Arbeit, ob nun zu Hause
oder in Büchereien, eine Großteil meines Lebens.
Trotzdem finde ich auch oft zeit, um mit dem Rad durch Berlin
zu fahren und verschiedene Orte und Parties zu besuchen. Ich
versuche ein gutes Mittelmaß zwischen alleine sein und
raus gehen zu finden und eigentlich klappt das auch ganz gut.
Berlin ist so ein toller Ort zum Leben und es wäre einfach
dumm, das nicht auszunutzen. Wirklich!
David:
Gibt es sonst noch etwas, was Du unbedingt einmal loswerden
und der Öffentlichkeit mitteilen möchtest?
Cornelius: Danke für euer Interesse in STURMGEIST.
Schaut euch doch mal die Veröffentlichungen meines Labels
Inhuman Music an und hört mal in mein Darkcore/Electro
Projekt G.U.T., Album: My Only Drug Is Madness, und das SOLEFALD
Remix Album The Circular Drain rein. Und wenn ihr STURMGEIST
mögt, solltet ihr euch selbstverständlich auch Manifesto
Futurista zu Gemüte führen. Alle Alben sind auch online
bei itunes erhältlich.
David:
Vielen Dank für deine Zeit und die interessanten und ausführlichen
Antworten.