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Final

Olivier Manchion

2005-11-7 GB – London - Scala

JARBOE ist ohne Zweifel eine der charismatischsten, innovativsten und ausdruckstärksten Künstlerinnen unserer Zeit. Die grande Dame der extremen Musik elektrisierte schon zu Swans Zeiten das Publikum und konnte nach ihrer Trennung 1997 vor allen durch ihre Zusammenarbeit mit Neurosis auf ihre Soloarbeit aufmerksam machen. Nun steht ihre aktuelle Doppel-CD The Men in den Regalen und JARBOE überquerte den Atlantik für ihre allererste europäische Solotour.
Die finale Show dieser einmonatigen Tour fand in London in der ehrwürdigen Scala statt, eines der vielen wunderbaren alten Theater, die nun Schauplatz fantastischer Konzerte sind. Die Scala ist nicht besonders groß, aber sehr gemütlich, stufig angeordnet und daher sehr übersichtlich. Es roch zwar die ganze Zeit nach Chlor wie bei einem Hotelswimmingpool, aber gestört hat es keinen. Es waren vielleicht 100 Leute anwesend, was selbst für die Scala recht wenig ist, aber diese waren um so mehr berührt von der Show und brachten dies auch zum Ausdruck...

:: Fotos ::

:. OLIVIER MANCHION ~ seines Zeichens begnadeter Gitarist und vielbeschäftigter, umtriebiger Musiker (Permanent Fatal Error, Faust, Ulan Bator, Bias) schlüpfte zunächst völlig unbemerkt auf die Bühne (jeder dachte wohl, das ist ein Roadie zum Gitarren-Soundcheck) und gab überraschenderweise eine seiner Solo Shows. Das er hier (und zum erstenmal in UK) als Support auftauchte kommt aber nicht von ungefähr, denn unter dem Permanent Fatal Error-Banner ist für 2006 eine Collaborations-CD namens Little Red Piano geplant, auf der auch Jarboe wiederzufinden sein wird. Olivier präsentierte eine halbe Stunde lang wunderschönen Gitarren Post Rock (erinnerte an die Chicago-Szene oder Bands wie Shellac und Tortoise), quasi als Essenz von PFE ohne die Jazz-Anteile. OLIVIER MANCHION kreierte vielschichtige Loops und legte immer wieder neue Melodien darüber, so dass sich der Hörer am Ende in dichte und intensive Gitarrenkollagen verfing. Gelegentlich griff Olivier auch mal zum Mikro. Eine musikalisch sehr schöne Performance und für mich wieder einmal was Neues! Davon muss ich mehr haben! ;)

:. FINAL ~ ist das „Ambient“ (er selbst dürfte diese Kategorisierung hassen...) Projekt von Justin K. Broadrick (ex-Godflesh, ex-Napalm Death), der eigentlich hier mit Jesu auf der Bühne stehen sollte. Basser Diarmuid Dalton war zwar auch anwesend, aber Drummer Ted Parsons war es offensichtlich nicht möglich, heute Nacht mit von der Partie zu sein. So stand Justin also allein und gebeugt hinter seinem Apple auf der Bühne (was optisch nun überhaupt nicht spannend war) und entführte das Publikum, welches weitestgehend im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen auf dem Parkett bzw. den Rängen saß, in seine Welt experimenteller Musik. Nicht zu straight, aber auch nicht zu krass oder experimentell bauten sich immer wieder schöne, melodische aber auch düstere und teils recht harsche und extreme Soundkollagen auf. Ich gehe mal davon aus, das dieses Material auf dem Album Three zufinden sein wird, welches im Februar 2006 via Neurot Recordings rauskommen wird. Im Übrigen war dieses Konzert das aller erste in 20 Jahren FINAL Existenz!!!

:. THE LIVING JARBOE ~ wurde auf ihrer Tour von Bassistin/Violinistin Paz Lenchantin (A Perfect Circle, Zwan), Gitarist Nic Le Ban und den beiden Drummern Phil Petrocelli und Mike Rollins begleitet. JARBOE eröffnete das Set mit Feral, dem einzigen Track vom aktuellen Album The Men und strahlte vom ersten Augenblick an ein unglaubliche Energie und Transzendenz aus. Jede Note, jeder Ton und jede Zeile wurden von solch intensiver Emotion interpretiert, das es einem den Atem verschlug. Das Publikum war wie hypnotisiert, hing an ihren Lippen und Körper. Diese Emotionalität zu sehen und zu fühlen war für mich schon nahezu beängstigend ... Die beiden Drummer erzeugten dazu noch einen unglaublichen Druck und pure Energieschübe mit ihren tribalartigen Rhythmen. Erstaunlicherweise kam das Gros der Songs an diesem Abend vom 2000er Album Disburden Disciple. JARBOE interagierte intensiv mit dem Publikum (allerdings ausschließlich mit den männlichen Fans, die Frauen ignorierte sie total), schien gleichermaßen Energie und Schwingungen aufzusaugen wie zu spenden, sprang sogar zwischendurch mitten unter die Fans.
Nach nur einer Stunde war Schluss, die Band aber mit entsprechendem Applaus wieder auf die Bühne zu bewegen, wo es leider nur einen Song als Zugabe gab, nämlich Mother/Father von den Swans (neben Song For Dead Time und I Will Swallow You), eingeleitet mit den Worten: „This is for Michael“. Danach war JARBOE so tief bewegt und außer Atem, das sie ihre Dankesrede vom Blatt ablesen musste, riss sich symbolisch das Herz aus der Brust und reichte es den Fans, verneigte sich dankend und verließ (Stage-)Türen knallend die Bühne.
Setlist: Feral, Pure War, Song For Dead Time, Scarification, Seduce And Destroy, Dear 666, Sinner, I Will Swallow You // Mother/Father

Leider war danach wirklich Schluss. Obwohl es die letzte Show der allerersten THE LIVING JARBOE Europatour war, gab es weder eine Aftershow Party, noch ein Meet & Greet oder eine Autogramm Stunde. Das Publikum zerstreute sich sehr schnell, der Tresen war schon geschlossen und die wenigen verbliebenen Fans wurden recht eilig von der Security rausbefördert. Sehr, sehr schade... Nun ja, Montag Abend in London... Ich hatte eigentlich auch noch einen Interview Termin, der leider auch nicht stattfand, obwohl es schon sehr interessant gewesen wäre zu erfahren, wie denn die Tour so gelaufen ist.
Am Ende muss ich dennoch sagen, das es diese Show allemal wert war, dafür extra nach London zu fliegen. Im Nachgang schon wegen FINAL und OLIVIER MANCHION aber vor allem natürlich wegen JARBOE. Diese Frau ist einfach... faszinierend, prägend, atemberaubend, unglaublich...!

 

story & pics © Dajana