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2007-08-11-12 DE – Hildesheim - Flugplatz

[Kerstin] Dieses Jahr liefen wir sehr früh auf dem Festivalgelände auf, gaben doch die hoch gelobten Newcomer JESUS ON EXTASY ihr M’era-Luna-Debüt um 12:35h auf der Hauptbühne, was wir auf keinen Fall verpassen wollten. Für diese frühe Uhrzeit war der Platz vor der Bühne schon sehr gut gefüllt und man sah viele gespannte Gesichter. JOE rockten dann auch direkt mit Drowning los und das Publikum ging begeistert mit. Sänger Dorian Deveraux verkniff sich laut eigener Aussage jeden Kommentar übers Wetter und machte eine Anspielung auf den Bochum Total Gig, wo es doch ziemlich geschüttet hat. Aber diesmal hatte der Wettergott ein Einsehen und es gab strahlenden Sonnenschein. Das Set musste für den Festivalauftritt eingekürzt werden, aber es gab Holy Beauty, Neochrome und natürlich Assassinate Me in sehr guter stimmlicher und musikalischer Qualität zu hören. Kurz vor Schluss unternahm Frontbeau Dorian mit einem angespielten C+C Music Factory „Gonna make you sweat (Everybody dance now)“ Cover noch einen Ausflug in die frühen Neunziger in bester Eierkneifmanier und sorgte für Belustigung und ratlose Blicke im Publikum. Ein gelungener Auftakt des Festivals.

[Daniel] „Where’s the fucking moshpit?“ beklagte sich NECRO FACILITY-Frontmann Henrik Bäckström relativ bald, als sich abzeichnete, dass die Meute vor der Bühne im prallen Sonnenschein nicht so abgehen wollte, wie es sich das junge schwedische Electroduo gedacht hatte. Auf dem M’era Luna machten ihnen zum Glück keine technischen Probleme wie damals auf dem WGT einen Strich durch die Rechnung, sondern die beiden konnten ihr Set unbeirrbar durchziehen. Selbst ein im Eifer des Gefechts heruntergefallener Synthie verweigerte nicht seinen Dienst. Neben Knallern wie Nurse oder Intense ihres Debütalbums The Black Paintings kamen auch etliche Songs des im Frühjahr veröffentlichten und von der Musikpresse mit dem Prädikat „So hätte das neue Skinny Puppy Album klingen sollen“ bedachten Albums The Room zum Einsatz. Wenn das Publikum zu den anspruchsvollen Klängen schon nicht so richtig feiern wollte, dann mussten es eben die Musiker selbst tun. Oscar Holter leerte hinter der Technik so einige Bierchen, während sein aggressiv agierender Fronter gleich eine Pulle Sekt köpfte und munter Ausflüge in den Bühnengraben unternahm. Da die beiden Schweden gerade mal Anfang 20 sind, darf man von ihnen angesichts des momentan schon hohen Qualitätslevels wohl noch einiges erwarten.

Die norwegischen Rocker ANIMAL ALPHA traten im Hangar leider gar nicht erst auf, so dass es zu ersten Programmverschiebungen kam. Dafür hat es die Band allerdings in die Rubrik „gurke des tages“ der taz geschafft. Die Formation kam nicht rechtzeitig in Hildesheim an, weil sie ihr Navi offenbar nicht richtig bedient hatte und wegen dieses Fehlers erst irgendwo in Thüringen landete. Laut taz wurde das Festivalgelände erst am späten Abend erreicht. Dann war der Tag allerdings schon gelaufen. Kein Kommentar...

Etwas gesetzter ging es im Vergleich zu NECRO FACILITY da schon bei den drei Damen von CLIENT zu. Die Britinnen plus männliche Verstärkung an den Drums hatten spontaner weise ihren Slot mit ASSEMBLAGE 23 getauscht, die zu diesem Zeitpunkt noch im Stau standen. Wie es die Promobilder erahnen lassen, lieferten die drei beblusten Vorzeigesekretärinnen eine stark unterkühlte Electropopshow im Analoggewand ab, der es an lasziven Gesten aber nicht mangelte – hier und da ein leichter Hüftschwung oder ein zartes Streichen mit dem Handschuh über das Mikrofonkabel. Songs wie das monotone Down To The Underground würden normalerweise sofort in der Hildesheimer Sonne verdampfen, entfalteten dank der wohl einzigartigen Bühnenpräsenz dennoch ihren speziellen Charme, der den Publikumsreaktionen nach auch angekommen sein musste.

Durch den Tausch von CLIENT mit ASSEMBLAGE 23 ergab sich nun eine interessante Konstellation. Mit ASSEMBLAGE 23 und COVENANT sollten zwei der einstigen Futurpopgrößen direkt hintereinander auf der großen Bühne stehen. Frisch aus dem Stau auf die Bühne des M’era Lunas heizte Mastermind Tom Shear dem Publikum mit einer ordentlichen, mit etlichen Hits gespickten Setlist ein. Unterstützung bekam Tom von keinem Geringeren als dem Electrofrickler Daniel Myer von Haujobb und einer zusätzlichen, nicht namentlich zu identifizierenden Dame. Wurde in der Vergangenheit des Öfteren Toms Live-Gesang kritisiert, so gab es hier kaum etwas zu bemängeln. Bei neueren Songs variiert er sogar seinen sonst etwas eintönigen Gesangsstil. Der glatzköpfige Sänger aus Seattle hatte unter der prallen Sonne zu leiden. Man konnte beim Sichten der Livefotos in etwa nachvollziehen, wie sich seine Blässe mehr und mehr in Rot wandelte. Im Publikum kam dagegen endlich so etwas wie eine größere Tanzbewegung auf. Kein Wunder bei Klassikern wie Document, Naked oder Disappoint.

[Kerstin] Mit zwiespältigen Gefühlen und den katastrophalen Auftritt in Dortmund im Rahmen der letzten Tour noch im Gedächtnis machte ich mich auf zu COVENANT. Würden meine alten Helden ihren Ruf endgültig ruinieren? Würde der charismatische Frontmann Eskil wieder seine Einsätze verpassen und es schaffen, von der gefährlich hohen M’era-Luna-Bühne zu fallen? Nichts von alledem war der Fall. COVENANT hatten sich wieder gefangen, lieferten einen Auftritt wie in alten Zeiten ab und das Publikum feierte sie dementsprechend. Eingeleitet wurde das Set mit dem obligatorischen Leiermann, Eskil, mal wieder in feinem Zwirn, ganz in Weiß und mit Dandyhut, ließ sich feiern und zeigte sich ob der Begeisterung sehr gerührt. Ältere Sachen wie Stalker oder Figurehead haben schon ein bisschen in der Setlist gefehlt. Der Focus lag mehr auf den letzten beiden Alben Northern Light und Skyshaper – mit We Stand Alone und Bullet oder Ritual Noise und laut eigener Aussage Eskils Lieblingsballade Invisible And Silent. Alles in allem ein sehr geiler Auftritt und für mich mit großer Erleichterung und einem fiesen Sonnenbrand verbunden, da sollte auf jeden Fall das nächste Mal eine bessere Auftrittzeit drin sein.
[Daniel] Die Schweden hatte ich das letzte Mal noch in den 90ern gesehen – meine Erinnerungen an den Auftritt aus dem WGT weniger Jahre später sind nach dem Konsum diverser flüssiger Substanzen sehr bruchstückhaft. Das zähle ich jetzt mal besser nicht mit. Mister Myer von Haujobb durfte sozusagen gleich auf der Bühne bleiben, hatte sich schnell dem COVENANT-Look gemäß in einen Anzug gehüllt und die vorübergehend zum Trio geschrumpften COVENANT an den Keys unterstützt. Bei Ritual Noise und The Men setzte er zusätzlich durch Live-Drums Akzente. Insgesamt überzeugte mich der Gig ebenso wie Kerstin, auch wenn mir das gewisse I-Tüpfelchen in Form älterer Songs fehlte – oder waren es doch die kultig ungelenkten Tanzeinlagen des nun fehlenden festen dritten Mannes...

Bei ihrem Auftritt auf dem Amphi-Festival konnten mich EMILIE AUTUMN und ihre pompös gewandeten Kolleginnen nicht so recht überzeugen. Zeit also für einen neuen Anlauf im Hangar in Hildesheim. Die Setlist schien die gleiche wie auf dem Amphi-Festival zu sein. Nach einem kurzen Intro ertönten die Klänge von Opheliac, wobei Hauptchanteuse Emilie dem Synthie Cembaloklänge entlockte. Früher Höhepunkt für die Fans war das relativ eingängige Liar, das eifrig mitgesungen wurde. Emilie und ihre Truppe boten einen optisch fast schon überladenen Anblick. Der Kitschfaktor wurde fast schon bis ins unermessliche gesteigert. Man muss den Amerikanerinnen aber zugute halten, dass die Outfits selbst kreiert und durchaus originell rüberkommen, ebenso wie die sehr aufwändig choreographierte Bühnenshow. Die Frauen gaben sich insgesamt sehr stimmgewaltig in den ungewöhnlichen Kompositionen, die im sehr sehr weiten Feld zwischen poppiger Klassik und Electro pendeln. Man kann etwas überspitzt formuliert gar von einer vom übergeordneten Konzept (fast Vollplayback plus schauspielerische Elemente) her Blutengelartigen Performance sprechen – allerdings musikalisch wie showtechnisch 1000mal anspruchsvoller. Das war einigen Neugierigen in der Halle wohl zu viel, denn nicht wenige verließen den Hangar, während die treuen Fans ihre Stilikonen gnadenlos abfeierten. Insgesamt war der Publikumszuspruch aber überschaubar. Ich hätte etwas mehr Zuschauer erwartet.
[Kerstin] EMILIE AUTUMN konnten mich diesmal etwas mehr als auf dem Amphi Festival überzeugen. Das ist Musik mit der man sich vorher auseinandersetzen muss und somit keine leichte Festivalkost.

[Daniel] Dass Songs wie The Cry Of Mankind oder A Kiss To Remember auch nach über zehn Jahren nichts von ihrem Gänsehautfeeling verloren haben, bewies die britische Doommetal-Legende MY DYING BRIDE mehr als eindrucksvoll. Eigentlich passten die Metaller kaum ins restliche Lineup, dass Interesse an den depressiven Metalsounds war aber dennoch groß. Der charismatische Sänger Aaron verkörperte auf der Bühne das Leiden Jesu persönlich und zog mit seinen manischen Gesten alle Aufmerksamkeit auf sich. Selbst neuere Songs, bei denen die Briten wieder ein Stück zurück zu ihren Deathmetalwurzeln gehen, wurden von der Menge dankbar aufgenommen und fleißig die Haare geschüttelt. Das war definitiv eine runde und vor allem eindringliche Angelegenheit. Vielleicht sollten die Veranstalter in Zukunft häufiger Bands aus der metallischeren Gitarrenfraktion einladen. Das Interesse scheint definitiv da zu sein.

Raus aus dem Hangar und auf zur Hauptbühne – der Kontrast konnte kaum größer sein. Langhaarige Metaller vs. Steve Naghavi, der sich passend zum größten Gothic-Festival des Landes in einen weißen Anzug geschmissen hatte. Die Electroinstitution AND ONE war mitten im Set und Frontmann Steve genoss die Ehre, Co-Headliner spielen zu dürfen sichtlich. Dave-Gahan-like wirbelte er sich um sich selbst drehend über die Bühne und sorgte für ein Hitfeuerwerk, dass es in sich hatte. Ob nun ältere Songs wie Deutschmaschine, Metalhammer, Für oder Knaller vom aktuellen Erfolgsalbum Bodypop wie Military Fashion Show oder streitbaren Stücken wie das Cure-Cover The Walk oder Steine sind Steine – der Andrang vor der Hauptbühne war groß und die deutschen Synthiepopper wurden gnadenlos abgefeiert. Wie man Steve auf der Bühne kennt, war er um den ein oder anderen schlagfertigen Spruch nicht verlegen: Nach dem letzten Song So klingt die Liebe verkündete er offiziell das Ende des M’era Luna 2007 und forderte das Publikum auf nach Hause zu gehen.

Die US-amerikanischen Progressive-Rocker von TOOL wollten nicht so ganz ins restliche Line-Up passen, weshalb der AND ONE-Frontmann auch den ein oder anderen Spruch in Richtung der Rocker losließ und sich durchaus Lücken in der Menschenmasse vor der Hauptbühne bildeten. Für Unmut unter Pressevertretern sorgte ein kurzfristig verhängtes totales Fotoverbot – ein seltsames Superstar-mäßiges Gebaren gegenüber den Medienvertretern. Darüber hinaus konnte man sich mit TOOL-Shirts zu 30 € eindecken, auf dem offiziellen Festivalmerchandise fehlte dagegen der Name TOOL aus welchen Gründen auch immer. Auf der Bühne hätte es allerdings auch nicht viel zu fotografieren gegeben, denn TOOL boten eine Liveperformance, die ihren Schwerpunkt eher auf die optischen Komponenten in Form mehrerer Videoleinwände mit aufwändigen Projektionen hatte, wie man sie aus den Videos der Band kennt, als auf die Menschen hinter der Musik. Einzig Gitarrist Adam Jones und Bassist Justin Chancellor entlockten am vorderen Bühnenrand ihren Instrumenten eindrucksvolle Geräusche, während sich Sänger Maynard James Keenan an den hintersten Bühnenrand verkrümelte und höchstens ansatzweise seinen Kopf Richtung Publikum drehte. Nichtsdestotrotz war es eindrucksvoll zu beobachten, wie der Vierer die schweren, überlangen und verschachtelten TOOL-Kompositionen live auf technisch höchstem Niveau performte und die Zuschauer zu Hits wie Stinkfist begeistert hüpften. Kurz vor Schluss ließ die Kondition des Schreiberlings nach diesem langen Konzerttag spürbar nach. Ab zum Auto und ins weiche Bettchen des Hotelzimmers!

 

story & pics © Daniel & Kerstin