[Kerstin]
Dieses Jahr liefen wir sehr früh auf dem Festivalgelände
auf, gaben doch die hoch gelobten Newcomer JESUS ON EXTASY
ihr M’era-Luna-Debüt um 12:35h auf der Hauptbühne,
was wir auf keinen Fall verpassen wollten. Für diese frühe
Uhrzeit war der Platz vor der Bühne schon sehr gut gefüllt
und man sah viele gespannte Gesichter. JOE rockten
dann auch direkt mit Drowning los und das Publikum ging
begeistert mit. Sänger Dorian Deveraux verkniff sich laut
eigener Aussage jeden Kommentar übers Wetter und machte eine
Anspielung auf den Bochum Total Gig, wo es doch ziemlich geschüttet
hat. Aber diesmal hatte der Wettergott ein Einsehen und es gab
strahlenden Sonnenschein. Das Set musste für den Festivalauftritt
eingekürzt werden, aber es gab Holy Beauty, Neochrome
und natürlich Assassinate Me in sehr guter stimmlicher
und musikalischer Qualität zu hören. Kurz vor Schluss
unternahm Frontbeau Dorian mit einem angespielten C+C Music Factory
„Gonna make you sweat (Everybody dance now)“ Cover
noch einen Ausflug in die frühen Neunziger in bester Eierkneifmanier
und sorgte für Belustigung und ratlose Blicke im Publikum.
Ein gelungener Auftakt des Festivals.
[Daniel]
„Where’s the fucking moshpit?“ beklagte sich
NECRO FACILITY-Frontmann Henrik Bäckström
relativ bald, als sich abzeichnete, dass die Meute vor der Bühne
im prallen Sonnenschein nicht so abgehen wollte, wie es sich das
junge schwedische Electroduo gedacht hatte. Auf dem M’era
Luna machten ihnen zum Glück keine technischen Probleme
wie damals auf dem WGT einen Strich durch die Rechnung, sondern
die beiden konnten ihr Set unbeirrbar durchziehen. Selbst ein
im Eifer des Gefechts heruntergefallener Synthie verweigerte nicht
seinen Dienst. Neben Knallern wie Nurse oder Intense
ihres Debütalbums The Black Paintings kamen
auch etliche Songs des im Frühjahr veröffentlichten
und von der Musikpresse mit dem Prädikat „So hätte
das neue Skinny Puppy Album klingen sollen“ bedachten Albums
The Room zum Einsatz. Wenn das Publikum
zu den anspruchsvollen Klängen schon nicht so richtig feiern
wollte, dann mussten es eben die Musiker selbst tun. Oscar Holter
leerte hinter der Technik so einige Bierchen, während sein
aggressiv agierender Fronter gleich eine Pulle Sekt köpfte
und munter Ausflüge in den Bühnengraben unternahm. Da
die beiden Schweden gerade mal Anfang 20 sind, darf man von ihnen
angesichts des momentan schon hohen Qualitätslevels wohl
noch einiges erwarten.
Die norwegischen
Rocker ANIMAL ALPHA traten im Hangar leider gar
nicht erst auf, so dass es zu ersten Programmverschiebungen kam.
Dafür hat es die Band allerdings in die Rubrik „gurke
des tages“ der taz geschafft. Die Formation kam nicht rechtzeitig
in Hildesheim an, weil sie ihr Navi offenbar nicht richtig bedient
hatte und wegen dieses Fehlers erst irgendwo in Thüringen
landete. Laut taz wurde das Festivalgelände erst am späten
Abend erreicht. Dann war der Tag allerdings schon gelaufen. Kein
Kommentar...
Etwas gesetzter
ging es im Vergleich zu NECRO FACILITY da schon
bei den drei Damen von CLIENT zu. Die Britinnen
plus männliche Verstärkung an den Drums hatten spontaner
weise ihren Slot mit ASSEMBLAGE 23 getauscht,
die zu diesem Zeitpunkt noch im Stau standen. Wie es die Promobilder
erahnen lassen, lieferten die drei beblusten Vorzeigesekretärinnen
eine stark unterkühlte Electropopshow im Analoggewand ab,
der es an lasziven Gesten aber nicht mangelte – hier und
da ein leichter Hüftschwung oder ein zartes Streichen mit
dem Handschuh über das Mikrofonkabel. Songs wie das monotone
Down To The Underground würden normalerweise sofort
in der Hildesheimer Sonne verdampfen, entfalteten dank der wohl
einzigartigen Bühnenpräsenz dennoch ihren speziellen
Charme, der den Publikumsreaktionen nach auch angekommen sein
musste.
Durch den
Tausch von CLIENT mit ASSEMBLAGE 23
ergab sich nun eine interessante Konstellation. Mit ASSEMBLAGE
23 und COVENANT sollten zwei der einstigen
Futurpopgrößen direkt hintereinander auf der großen
Bühne stehen. Frisch aus dem Stau auf die Bühne des
M’era Lunas heizte Mastermind Tom Shear
dem Publikum mit einer ordentlichen, mit etlichen Hits gespickten
Setlist ein. Unterstützung bekam Tom von keinem Geringeren
als dem Electrofrickler Daniel Myer von Haujobb und einer zusätzlichen,
nicht namentlich zu identifizierenden Dame. Wurde in der Vergangenheit
des Öfteren Toms Live-Gesang kritisiert, so gab es hier kaum
etwas zu bemängeln. Bei neueren Songs variiert er sogar seinen
sonst etwas eintönigen Gesangsstil. Der glatzköpfige
Sänger aus Seattle hatte unter der prallen Sonne zu leiden.
Man konnte beim Sichten der Livefotos in etwa nachvollziehen,
wie sich seine Blässe mehr und mehr in Rot wandelte. Im Publikum
kam dagegen endlich so etwas wie eine größere Tanzbewegung
auf. Kein Wunder bei Klassikern wie Document, Naked
oder Disappoint.
[Kerstin]
Mit zwiespältigen Gefühlen und den katastrophalen Auftritt
in Dortmund im Rahmen der letzten Tour noch im Gedächtnis machte
ich mich auf zu COVENANT. Würden meine alten
Helden ihren Ruf endgültig ruinieren? Würde der charismatische
Frontmann Eskil wieder seine Einsätze verpassen und es schaffen,
von der gefährlich hohen M’era-Luna-Bühne
zu fallen? Nichts von alledem war der Fall. COVENANT
hatten sich wieder gefangen, lieferten einen Auftritt wie in alten
Zeiten ab und das Publikum feierte sie dementsprechend. Eingeleitet
wurde das Set mit dem obligatorischen Leiermann, Eskil,
mal wieder in feinem Zwirn, ganz in Weiß und mit Dandyhut,
ließ sich feiern und zeigte sich ob der Begeisterung sehr
gerührt. Ältere Sachen wie Stalker oder Figurehead
haben schon ein bisschen in der Setlist gefehlt. Der Focus lag mehr
auf den letzten beiden Alben Northern Light und
Skyshaper – mit We Stand Alone
und Bullet oder Ritual Noise und laut eigener
Aussage Eskils Lieblingsballade Invisible And Silent. Alles
in allem ein sehr geiler Auftritt und für mich mit großer
Erleichterung und einem fiesen Sonnenbrand verbunden, da sollte
auf jeden Fall das nächste Mal eine bessere Auftrittzeit drin
sein.
[Daniel] Die Schweden hatte ich das letzte Mal
noch in den 90ern gesehen – meine Erinnerungen an den Auftritt
aus dem WGT weniger Jahre später sind nach dem Konsum diverser
flüssiger Substanzen sehr bruchstückhaft. Das zähle
ich jetzt mal besser nicht mit. Mister Myer von Haujobb durfte sozusagen
gleich auf der Bühne bleiben, hatte sich schnell dem COVENANT-Look
gemäß in einen Anzug gehüllt und die vorübergehend
zum Trio geschrumpften COVENANT an den Keys unterstützt.
Bei Ritual Noise und The Men setzte er zusätzlich
durch Live-Drums Akzente. Insgesamt überzeugte mich der Gig
ebenso wie Kerstin, auch wenn mir das gewisse I-Tüpfelchen
in Form älterer Songs fehlte – oder waren es doch die
kultig ungelenkten Tanzeinlagen des nun fehlenden festen dritten
Mannes...
Bei ihrem
Auftritt auf dem Amphi-Festival konnten mich EMILIE AUTUMN
und ihre pompös gewandeten Kolleginnen nicht so recht überzeugen.
Zeit also für einen neuen Anlauf im Hangar in Hildesheim.
Die Setlist schien die gleiche wie auf dem Amphi-Festival zu sein.
Nach einem kurzen Intro ertönten die Klänge von Opheliac,
wobei Hauptchanteuse Emilie dem Synthie Cembaloklänge entlockte.
Früher Höhepunkt für die Fans war das relativ eingängige
Liar, das eifrig mitgesungen wurde. Emilie und ihre Truppe
boten einen optisch fast schon überladenen Anblick. Der Kitschfaktor
wurde fast schon bis ins unermessliche gesteigert. Man muss den
Amerikanerinnen aber zugute halten, dass die Outfits selbst kreiert
und durchaus originell rüberkommen, ebenso wie die sehr aufwändig
choreographierte Bühnenshow. Die Frauen gaben sich insgesamt
sehr stimmgewaltig in den ungewöhnlichen Kompositionen, die
im sehr sehr weiten Feld zwischen poppiger Klassik und Electro
pendeln. Man kann etwas überspitzt formuliert gar von einer
vom übergeordneten Konzept (fast Vollplayback plus schauspielerische
Elemente) her Blutengelartigen Performance sprechen – allerdings
musikalisch wie showtechnisch 1000mal anspruchsvoller. Das war
einigen Neugierigen in der Halle wohl zu viel, denn nicht wenige
verließen den Hangar, während die treuen Fans ihre
Stilikonen gnadenlos abfeierten. Insgesamt war der Publikumszuspruch
aber überschaubar. Ich hätte etwas mehr Zuschauer erwartet.
[Kerstin] EMILIE AUTUMN konnten
mich diesmal etwas mehr als auf dem Amphi Festival überzeugen.
Das ist Musik mit der man sich vorher auseinandersetzen muss und
somit keine leichte Festivalkost.
[Daniel]
Dass Songs wie The Cry Of Mankind oder A
Kiss To Remember auch nach über zehn Jahren nichts von
ihrem Gänsehautfeeling verloren haben, bewies die britische
Doommetal-Legende MY DYING BRIDE mehr als eindrucksvoll.
Eigentlich passten die Metaller kaum ins restliche Lineup, dass
Interesse an den depressiven Metalsounds war aber dennoch groß.
Der charismatische Sänger Aaron verkörperte auf der
Bühne das Leiden Jesu persönlich und zog mit seinen
manischen Gesten alle Aufmerksamkeit auf sich. Selbst neuere Songs,
bei denen die Briten wieder ein Stück zurück zu ihren
Deathmetalwurzeln gehen, wurden von der Menge dankbar aufgenommen
und fleißig die Haare geschüttelt. Das war definitiv
eine runde und vor allem eindringliche Angelegenheit. Vielleicht
sollten die Veranstalter in Zukunft häufiger Bands aus der
metallischeren Gitarrenfraktion einladen. Das Interesse scheint
definitiv da zu sein.
Raus aus dem
Hangar und auf zur Hauptbühne – der Kontrast konnte
kaum größer sein. Langhaarige Metaller vs. Steve Naghavi,
der sich passend zum größten Gothic-Festival des Landes
in einen weißen Anzug geschmissen hatte. Die Electroinstitution
AND ONE war mitten im Set und Frontmann Steve
genoss die Ehre, Co-Headliner spielen zu dürfen sichtlich.
Dave-Gahan-like wirbelte er sich um sich selbst drehend über
die Bühne und sorgte für ein Hitfeuerwerk, dass es in
sich hatte. Ob nun ältere Songs wie Deutschmaschine,
Metalhammer, Für oder Knaller
vom aktuellen Erfolgsalbum Bodypop wie
Military Fashion Show oder streitbaren Stücken
wie das Cure-Cover The Walk oder Steine sind Steine
– der Andrang vor der Hauptbühne war groß und
die deutschen Synthiepopper wurden gnadenlos abgefeiert. Wie man
Steve auf der Bühne kennt, war er um den ein oder anderen
schlagfertigen Spruch nicht verlegen: Nach dem letzten Song So
klingt die Liebe verkündete er offiziell das Ende des
M’era Luna 2007 und forderte das Publikum
auf nach Hause zu gehen.
Die US-amerikanischen
Progressive-Rocker von TOOL wollten nicht so
ganz ins restliche Line-Up passen, weshalb der AND ONE-Frontmann
auch den ein oder anderen Spruch in Richtung der Rocker losließ
und sich durchaus Lücken in der Menschenmasse vor der Hauptbühne
bildeten. Für Unmut unter Pressevertretern sorgte ein kurzfristig
verhängtes totales Fotoverbot – ein seltsames Superstar-mäßiges
Gebaren gegenüber den Medienvertretern. Darüber hinaus
konnte man sich mit TOOL-Shirts zu 30 €
eindecken, auf dem offiziellen Festivalmerchandise fehlte dagegen
der Name TOOL aus welchen Gründen auch immer.
Auf der Bühne hätte es allerdings auch nicht viel zu
fotografieren gegeben, denn TOOL boten eine Liveperformance,
die ihren Schwerpunkt eher auf die optischen Komponenten in Form
mehrerer Videoleinwände mit aufwändigen Projektionen
hatte, wie man sie aus den Videos der Band kennt, als auf die
Menschen hinter der Musik. Einzig Gitarrist Adam Jones und Bassist
Justin Chancellor entlockten am vorderen Bühnenrand ihren
Instrumenten eindrucksvolle Geräusche, während sich
Sänger Maynard James Keenan an den hintersten Bühnenrand
verkrümelte und höchstens ansatzweise seinen Kopf Richtung
Publikum drehte. Nichtsdestotrotz war es eindrucksvoll zu beobachten,
wie der Vierer die schweren, überlangen und verschachtelten
TOOL-Kompositionen live auf technisch höchstem
Niveau performte und die Zuschauer zu Hits wie Stinkfist
begeistert hüpften. Kurz vor Schluss ließ die Kondition
des Schreiberlings nach diesem langen Konzerttag spürbar
nach. Ab zum Auto und ins weiche Bettchen des Hotelzimmers!
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